Vierzehntes Kapitel.

[327] Welches weniger Thatsachen als Gespräche enthält.


Amanzei setzte des andern Morgens seine Erzählung also fort:

»Da ich so wie Sie denke, Madame,« sagte Nasses zu Zulika, »müssen Sie sehr erstaunt sein, sich so empfindsam zu finden?«[328]

»Daran ist nicht zu zweifeln,« antwortete sie; »und das ist, ich versichere Sie, das sonderbarste Abenteuer in meinem Leben.«

»Ich staune nicht darüber, dass Sie geliebt haben,« erwiderte er, »denn es gibt sehr wenige Frauen, welche sich vor der Liebe bewahrt haben; aber dass es gerade Mazulhim gewesen ist, der den Sieg über Ihr Herz davongetragen hat, über dieses Herz, welches so wenig geschaffen schien die Liebe zu kennen, das ist, ich muss es Ihnen gestehen, was ich nicht verstehe.«

»Ich verstehe es selbst nicht,« antwortete sie, »und wirklich, wenn ich mich prüfe, kann ich es nicht begreifen, wie er mir gefallen und mich verführen konnte.«

»Ah, Madame,« rief er mit theilnehmender Miene aus, »welch ein trauriges Schicksal ist doch das Ihre! Sie lieben den, der Sie nicht mehr liebt, und ich liebe Diejenige, welche mich nie lieben wird. Warum verharren Sie immer bei dieser ungerechten Abneigung, die Sie, wie ich wohl wusste, gegen mich fühlen? hatte ich Ihnen nicht gesagt, bis zu welchem Punkte Sie einen[329] Eindruck auf mich gemacht? Vielleicht, ach! werden meine Bemühungen, meine Beständigkeit, meine Achtung Sie endlich entwaffnet haben.«

»Vielleicht,« sagte sie »würden Sie mich auch so behandelt haben, wie Mazulhim mich behandelt.«

»Nein,« antwortete er, indem er ihre Hand fasste; »nein, Zulika hätte sich so angebetet gesehen, wie sie es zu sein verdient.«

»Aber,« erwiderte sie, »Mazulhim hat gerade so zu mir gesprochen wie Sie; warum sollte ich glauben, Sie hätten nicht dieselben Dinge gethan wie er?«

»Sein ganzes Benehmen hätte Sie an der Wahrheit seiner Gefühle zweifeln lassen sollen,« antwortete er, »Mazulhim, der Unbeständige und Zerstreute, konnte keiner ernsten Liebe fähig sein. Darüber konnten Sie nicht in Ungewissheit sein, dass er rücksichtsloser und trügerischer ist, als es uns erlaubt ist zu sein. Es ist jedoch wahr, dass wie untreu er auch war, so hätten Sie doch, ohne zu sehr des Hochmuthes angeklagt zu werden, ihn an sich fesseln können. Die[330] Schwierigkeit, Ihnen zu gefallen, Ihre Reize, das so seltene Vergnügen in einem Herzen zu herrschen, das vor ihm niemanden sich unterworfen hatte, alles das hätte Sie von seiner Seite eine ewige Zärtlichkeit erwarten lassen können.«

Das, was für jede Andere eine lächerliche Eitelkeit gewesen wäre, gestaltete sich für Zulika zu einem so natürlichen Gedanken, dass sie nicht umhin konnte ihn zu haben.

»Es ist wenigstens sicher,« antwortete sie bescheiden, »dass ich durch meine edle Art zu denken einige Rücksicht verdient hätte.«

»Rücksicht! Sie!« rief er aus, »ersetzt sie Ihnen denn Alles das, was man Ihnen schuldet? Also Sie würden als Preis für all Ihre Güte nur das fordern, was man selbst einer Frau, die man nicht achtet, schuldig ist?«

»Sie sehen also,« erwiderte sie, »dass ich nicht zu viel gefordert habe.«

»Wenn es mir erlaubt wäre mit Ihnen zu sprechen ...« erwiderte Nasses.

»Sie können es,« unterbrach sie, »und[331] Sie sollen nicht daran zweifeln, dass das, was heute zwischen uns vorgeht, uns nicht mit der zartesten Freundschaft verbinden soll.«

»Ja, Madame,« sagte er lebhaft, »mit der zartesten; aber bin denn ich es, ist es denn Nasses, der so lang gehasste, dem Zulika die zarteste Freundschaft zu versprechen geruhte?«

»Ja, Nasses,« antwortete sie, »es ist Zulika, welche ihre Ungerechtigkeit erkennt, welche darüber verzweifelt ist und Ihnen schwört, sie wieder gut zu machen.«

Dann schaute sie ihn sehr gütig an, er hatte ein sehr einnehmendes Gesicht; und obzwar weniger in der Mode als Mazulhim, so stand er ihm dennoch in nichts nach.

»Was,« rief er aus, »Sie sind es, die mich zu lieben verspricht?«

»Ja,« antwortete sie, »mein Herz wird Ihnen angehören, meine geringsten Gedanken, meine Gefühle, alles wird Ihnen bekannt sein.«

»Ah, Zulika!« sagte er, indem er sich ihr zu Füßen warf und ihre Hand küsste, »wie wird Ihnen meine Zärtlichkeit entgelten,[332] was Sie für mich thun? Herrin meines Lebens, Ihre Befehle allein werden mein Betragen leiten.«[333]

»Lassen wir das,« sagte sie lächelnd, »und stehen Sie auf, ich sehe Sie nicht gern zu meinen Füßen; kommen wir auf das zurück, was Sie mir sagen wollten.«

Er stand auf, setzte sich neben sie, und indem er ihre Hand hielt, fuhr er folgendermaßen fort:

»Nun will ich Sie befragen, wenn Sie es mir gütigst erlauben. Wodurch konnte Mazulhim Ihnen denn gefallen? Durch welchen Zauber konnte die Frau die durch ihre Gefühle und ihr Betragen so einzunehmen weiß, Gefallen an ihm finden?«

»Wie konnte ein so eitler und ungestümer Mann einer so klugen und bescheidenen Frau, wie Sie sind, gefallen? Denn dass er Frauen gefalle, die seines Charakters sind, Frauen, die leichtfertig und flatterhaft sind, denen kein Gegenstand Liebe einflößt, und die von all denen, die sich ihren Blicken darbieten, besiegt werden, dass er solchen gefalle, das wundert mich nicht, aber Sie?«

»Um mit den Vertrauensbeweisen anzufangen, die ich Ihnen versprochen habe,« antwortete Zulika, »will ich es Ihnen aufrichtig[334] gestehen, dass ich es nicht zu fürchten brauchte, dass Mazulhim mir jemals theuer sein könnte. Denn ohne die grausame Erfahrung, die ich seitdem gemacht habe, wusste ich genau, dass es nur eines Augenblicks bedarf, um selbst die tugendhafteste Frau auf die verhängnisvollsten Abwege zu führen; aber beruhigt durch meine Gefühle, durch die Zeit selbst, während welcher ich in der Welt war, ohne gegen die geringsten Pflichten zu verstoßen, die uns vorgeschrieben sind, wagte ich es mir zu schmeicheln, dass dieser Ruhestand ewig dauern würde.«

»Ohne Zweifel,« sagte Nasses mit einer ernsten Miene, »nichts ist den Frauen so verhängnisvoll, als diese Sicherheit, von der Sie sprechen.«

»Das ist wenigstens wahr,« antwortete sie; »eine Frau ist dem nie mehr ausgesetzt zu unterliegen, als wenn sie sich für unbesiegbar hält.«

»Ich wiegte mich in dieser trügerischen Sicherheit,« fuhr sie fort »als Mazulhim mir vor die Augen kam; ich werde es Ihnen nicht erzählen, wie er es angestellt hat, um mich zu verführen. So viel ich weiß, nachdem[335] ich ihm lange widerstanden, war mein Herz bewegt und mein Kopf verwirrt. Ich fühlte Regungen, welche mich übermannten, umsomehr, als ich dieselben noch nicht empfunden. Mazulhim, der es besser als ich wusste, welcher Art diese Regungen wären, benutzte dieselben, um mich zu Schritten zu verleiten, deren Folgen ich nicht kannte; schließlich brachte er mich dahin, dass ich hierher kam. Ich glaubte, und er hatte mir es auch versprochen, dass er sich bloß ungezwungener unterhalten wolle, als wir es in dem öffentlichen Leben hoffen konnten. Ich kam hierher, seine Gegenwart hat mich mehr bewegt, als ich gedacht hatte; allein mit ihm fand ich mich weniger stark, als ich gedacht; ohne mir dessen bewusst zu sein, was ich gewährte, konnte ich ihm doch nichts verweigern; die Liebe hat mich endlich zum Äußersten verführt.«

Nachdem sie diese Worte beendigt, hatte sie die Augen von Thränen befeuchtet, die sie sich zu vergießen zwang.

Nasses, der an ihrem Schmerze den lebhaftesten Antheil zu nehmen schien, sagte ihr Dinge, um sie scheinbar zu trösten, die[336] geeignet dazu waren, sie in Verzweiflung zu bringen.

Besonders erwähnte er mit absichtlicher Bosheit die kurze Zeit, während der sie Mazulhim bei sich behielt.

»Es ist gewiss nicht der Fall, dass Sie nicht die Eigenschaft besäßen, einen Mann zu fesseln, und ihn glücklich zu machen, wenigstens muss man es so annehmen. Dennoch ließe diese Unbeständigkeit, die Mazulhim bewies, bei jeder anderen Frau, Sie ausgenommen auf die unvortheilhaftesten Dinge schließen.«

Zulika nahm bei dieser Erwähnung des Nasses eine Miene an, nach der man schließen konnte, dass sie sich in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen hatte.

»Man weiß wohl, dass die Männer oft so unglücklich sind, sich nicht lange selbst des liebenswürdigsten Gegenstandes erfreuen zu können, ohne dass sich ihre Wünsche schwächen; aber man liebt wenigstens drei Monate, sechs Wochen, selbst vierzehn Tage, mehr oder weniger. Man hat es sich nie einfallen lassen, eine Frau so plötzlich und rauh zu verlassen, wie Sie Mazulhim verließ;[337] es ist lächerlich eine Abscheulichkeit, die man sich gar nicht vorstellen kann.«

»Ah, Zulika,« fügte er hinzu, »ich wage es noch zu wiederholen, mich hätten Sie viel beständiger gefunden.«

Zulika antwortete ihm, dass sie davon wohl überzeugt sei, aber da sie nicht mehr lieben wolle, so wäre es ihr von nun an eine sehr gleichgiltige Sache, ob die Männer beständig seien oder nicht, und aus aufrichtiger Freundschaft, die sie für ihn fühle, wünsche, dass die Liebe, welche, wie er betheuerte, sie ihm einflößte, nicht wahrhaft sei, und es ihr leid thäte, wenn er sich Gefühlen hingäbe, die er doch nie belohnt oder erwidert sehen könnte.

»Ja,« erwiderte Nasses mit trauriger Miene, »ich fühle wohl alles, was Sie mir sagen. Ich finde in ihrem Charakter jene Festigkeit, die ich bei Ihnen immer gefürchtet, und die ich nicht umhin kann zu bewundern, obzwar sie mich unglücklich macht. Wenn Sie weniger schätzenswert wären, würde ich weniger zu beklagen sein; denn es wäre mir endlich erlaubt zu glauben, dass nachdem Sie Mazulhim geliebt haben,[338] so wäre es nicht unmöglich, dass Sie auch mich liebten.«

»Das ist ein Gedanke, den man sich von allen Frauen der Welt machen könnte, ohne dieselben zu beleidigen, aber Sie gleichen unglücklicherweise niemanden, ohne eine Folge für die Zukunft daraus zu ziehen, dass Sie eine Schwäche gehabt haben.«

Zulika, welche ohne Zweifel über die falsche Idee, die Nasses von ihr hatte, innerlich lachte, versicherte ihm, dass sie ihm recht gebe, und sie mache sich ein Verdienst daraus, zu denken, sie habe von der Natur diese glückliche Anlage erhalten, sich nicht so leicht erregen zu lassen, und die Kälte, die sie bei den Vergnügungen empfindet, denen sich die meisten Frauen mit äußerstem Entzücken hingeben, sie selbst bei der heftigsten Liebe, welche ihr Mazulhim einflößte, nicht verließ.

»Um so schlimmer für Sie, Madame,« sagte ihr Nasses; »je achtungswerter Sie sind, umsomehr sind Sie zu beklagen. Ihre Gefühllosigkeit wird das Unglück ihres Lebens sein. Mazulhim wird Ihren Augen stets gegenwärtig sein. Die demüthige Art,[339] auf die er Sie verließ, wird keinen Augenblick aus ihrem Gedächtnis schwinden; es ist eine Strafe, die Sie selbst in der Einsamkeit verfolgen wird, und keine Vergnügungen der Welt werden Sie zerstreuen können.«

»Aber was soll ich thun, um einen so grausamen Gedanken aus meinem Geiste zu bannen? Ich glaube wie Sie, dass eine neue Liebe mich Mazulhim vergessen machen könnte, aber ohne die Unfälle in Betracht zu ziehen, welche vielleicht damit verbunden sein werden, so kann ich nicht glauben, dass mein Herz sich ihr so hingeben möchte, als es eben zu meiner Heilung nothwendig wäre?«

»Nein, Nasses, glauben Sie mir, eine Frau, die in einer gewissen Art denkt, kann nicht zweimal lieben.«

»Das ist eine falsche Ansicht!« rief er aus, »ich kenne Frauen, welche mehr als sechs geliebt haben, und welche sich deshalb nicht geringer schätzen. Übrigens sind Sie in einem so grausamen Fall, der Sie über alle Regel hinaussetzt, und wenn Ihr Abenteuer bekannt würde, und man Sie zehn Männer auf einmal lieben sähe, würde man es[340] ganz natürlich finden, dass Sie sich für die Ihnen angethane Schmach entschädigen wollen.«

»Ah,« sagte Zulika träumend, »leider findet man uns tadelnswert, selbst wenn wir mit der aufrichtigsten Leidenschaft und Treue lieben; wir haben oft Mühe der Verachtung zu entgehen, und so groß ist unser Unglück, dass man das, was man bei uns als Tugend betrachten sollte, als Laster ansieht.«

»Ja, einst dachte man so,« antwortete er, »aber da die Sitten sich geändert haben, so haben sich unsere Gedanken auch geändert.«

»Oh! nein, wenn es nur die Furcht vor dem Tadel wäre, die uns zurückhielt, so konnten wir uns wohl der Liebe hingeben.«

»Im Grunde haben Sie recht,« erwiderte er, »denn was liegt daran, wenn man sein Herz beständig beschäftigt; ich sehe nicht das geringste Übel dabei. Und dennoch, mit Ihrem Geiste, der Sie so genau das Wahre von dem Falschen unterscheiden lässt, opfern Sie doch den Vorurtheilen wie Jemand, der nicht Vernunftgründe anwenden kann? Sie[341] sind also entschlossen Ihr ganzes Leben lang die Schwäche zu beweinen, die Sie für Mazulhim hatten, statt dass Sie sich klugerweise darüber zu trösten trachten? Sie glauben, dass eine Frau Ihrer Denkungsart nur einmal lieben soll; Sie fühlen wohl, dass der Grundsatz, nach welchem Sie handeln, nicht der wahre ist; aber Sie verleugnen offenbar Ihre Einsicht, um das noble Vergnügen, traurig zu sein, zu genießen, und wahrscheinlich auch darum, dass man nicht aufhöre davon zu sprechen, dass es der Verlust von Mazulhims Liebe ist, den Sie immer beklagen werden. Ist das nicht ein schöner Stoff zu interessanten Gesprächen von Ihnen?«

»Von mir!« antwortete sie, »aber ich schmeichle mir, dass man nicht davon reden wird.«

»Ich glaube es wohl,« erwiderte er »ja ich weiß es bestimmt, Madame, Sie werden davon nichts erwähnen; es ist selbstverständlich, dass ich nichts davon reden werde, die Sache macht Mazulhim so wenig Ehre, dass er sich verpflichtet fühlt, darüber zu schweigen; wenn Sie jedoch Ihre Gesinnung[342] nicht ändern, so wird es jedermann erfahren.«

»Aber warum?« fragte sie.

»Wahrlich!« erwiderte er, »glauben Sie, man wird Sie betrübt sehen, ohne darnach forschen, warum Sie es sind, und wenn man hartnäckig darnach forscht? Denken Sie, dass Mazulhim selbst, dessen Eitelkeit Ihre Traurigkeit schmeicheln wird, dem Vergnügen entsagen wird, es Jedem mitzutheilen, dass sein Verlust schuld daran ist?«

»Das ist wahr,« sagte sie; »aber Nasses, hängt es denn nur von mir allein ab, dass ich so traurig bin?«

»Ohne Zweifel, das hängt von Ihnen ab. Schließlich was bedauern Sie denn jetzt noch? Mazulhim? Wenn er zu Ihnen zurückkehren möchte, würden Sie einwilligen, ihn zu empfangen?«

»Ah!« rief sie aus, »ich würde lieber dem allerletzten der Männer angehören als ihm.«

»Wenn er es nicht mehr vermag Ihr Herz wieder zu gewinnen,« erwiderte er, »so ist es lächerlich, dass Sie seinen Verlust beklagen.«[343]

»Sagen Sie mir gefälligst,« fragte der Sultan, »wird das noch lange dauern?«

»Ja, Sire,« antwortete Amanzei.

»Dann, bei Mahomet, ist es umso schlimmer,« erwiderte Schah-Baham. – »Das sind Gespräche, die mich entsetzlich langweilen, ich mache Sie darauf aufmerksam. Wenn Sie dieselben weglassen, oder wenigsten abkürzen können, so werden Sie mir damit ein Vergnügen bereiten, und ich werde Ihnen dafür nicht undankbar sein.«

»Sie haben Unrecht, sich darüber zu beklagen,« sagte die Sultanin zu ihm. »Dieses Gespräch, welches Sie so sehr langweilt, ist eine natürliche Folge. Das ist durchaus keine unnütze Auseinandersetzung, die zu nichts führt, das ist eine Thatsache ... Ist das nicht im geschickten Dialog abgefasst, was man da sagt?« fragte sie Amanzei lächelnd.

»Ja, Madame,« antwortete er.

»Diese Art, den Stoff zu behandeln, ist recht angenehm,« erwiderte sie, »sie zeichnet besser und allgemeiner die Charaktere, welche man auf die Szene bringt; aber sie ist so manchen Unzukömmlichkeiten unterworfen.«[344]

»In der Absicht alles zu ergründen oder jede Wendung zu erfassen, läuft man Gefahr, in Kleinlichkeiten zu verfallen, welche vielleicht fein, jedoch nicht genug wichtige Gegenstände sind, um dabei zu verweilen, und man erschöpft und ermüdet leicht die Zuhörer.«

»Der Sultan hat Unrecht zu verlangen, dass Sie Ihre Erzählung schneller fortsetzen, aber Sie würden mir und jeder Person von Geschmack gegenüber Unrecht haben, sich von der Gewalt der Rede hinreißen zu lassen, wenn Sie nicht von Zeit zu Zeit die Sachen, die Ihnen am angenehmsten erscheinen, zu opfern wüssten.«

»Der Sultan hat Unrecht,« sagte Schah-Baham, »das ist leicht gesagt, und ich behaupte, dass dieser Amanzei nur ein Schwätzer ist, der den Schöngeist spielt, und der, oder ich kenne mich nicht darin aus, das Laster hat, lange Gespräche zu lieben. Das verdrießt Dich,« fügte er hinzu, indem er sich Amanzei zuwandte, »aber siehst Du, ich bin aufrichtig; und wenn Du es auch sein willst, so wette ich darauf, dass Du eingestehst, dass ich recht habe.«[345]

»Ja, Sire,« antwortete Amanzei, »und die hofmännische Höflichkeit bei Seite, ich bin gezwungen darin übereinzustimmen, da man schon vor langer Zeit bei mir den Fehler entdeckt hat, den Euer Majestät mir zu Vorwurf macht.«

»So bessere Dich,« sagte Schah-Baham. »Wenn es mir so leicht fiele, mich zu bessern, wie es mir ist meinen Fehler einzugestehen,« antwortete Amanzei, »dann hätten Euer Majestät mir keinen Vorwurf zu machen.«

»Die Kraft der Rede des Nasses überraschte Zulika,« fuhr Amanzei fort.

»Im Grunde haben Sie Recht,« sagte sie ihm, »auch beweine ich Mazulhim nicht mehr, sondern meine Schwäche, dass ich mich einem meiner so unwürdigen Manne hingegeben habe.«

»Ich gestehe,« erwiderte Nasses treuherzig, »dass der Streich, den er Ihnen gespielt hat, ihn in ihren Augen nicht liebenswürdiger machen kann; wenn Sie ihn jedoch ohne Voreingenommenheit beurtheilen, so zweifle ich nicht daran, dass Sie ihn dennoch[346] sehr liebenswürdig finden werden, denn er ist es wirklich.«

»Wenn Sie es glauben,« antwortete sie verächtlich »fürs erste ist er nicht schön gewachsen.«

»Ich weiß in der That nicht,« erwiderte er, »aber ich kenne niemanden, der anmuthiger ist als er, er hat den schönsten Kopf und ein schöngeformtes Bein, ein vornehmes und sicheres Benehmen, lebhaften Geist und ist sehr unterhaltend.«

»Ja,« antwortete sie, »ich leugne es nicht, dass er eine hübsche aber unbedeutende Persönlichkeit ist, aber er ist nichts weiter, und ich versichere Ihnen, dass noch sehr viel dazu gehört, dass er so unterhaltend sei, als man es von ihm glaubt. Unter uns gesagt, ist er ein Geck, der sich sehr viel einbildet und überschätzt.«

»Ich verzeihe jedem Mann ein wenig Stolz, der das Glück hatte, Ihnen zu gefallen.«

»Aber Nasses,« erwiderte sie, »Sie halten mir da fort sonderbare Reden für einen Mann, der behauptet, mich zu lieben und auch will, dass ich es glaube.«[347]

»So sehr Sie Mazulhim auch jetzt hassen,« antwortete Nasses, »so ist es doch weniger als mich, und ich glaube mehr dabei zu wagen, wenn ich von einem Liebhaber rede, den Sie niemals lieben werden, als wenn ich von ihm spreche, den Sie so zärtlich geliebt haben. Er beschäftigt Ihre Phantasie noch so lebhaft, dass ich seinen Namen niemals ausspreche, ohne dass sich Ihre schönen Augen nicht mit Thränen füllen; gegenwärtig sind sie thränenfeucht und sie bemühen sich umsonst es zu verbergen. Ah! Halten Sie Ihre Thränen zurück, liebenswürdige Zulika,« rief er aus, »sie zerreißen mein Herz! Ich kann sie ohne Rührung, die mir verhängnisvoll wird, nicht aus Ihren Augen fließen sehen.«

Zulika, die schon seit längerer Zeit zum Weinen keine Lust mehr hatte, konnte diese Reden nicht anhören, ohne sich verpflichtet zu fühlen, neue Thränen zu vergießen.

Nasses, der sich über diese Verstellungskünste unterhielt, überließ sie eine Zeit lang ihrem geheuchelten Kummer. Jedoch um seine Zeit bei ihr nicht vergebens zu verbringen, unterhielt er sich damit, ihr den[348] Busen zu küssen, den sie nur leicht verschleiert hatte.

Sie blieb ziemlich lange ruhig, ohne darauf zu achten, was er that, und erst dann, als sie ihm die vollständige Freiheit gelassen, so fiel es ihr ein, sich ein wenig zu sträuben.

»Wo denken Sie hin, Nasses?« sagte sie[349] ihm, indem sie noch immer ihr Taschentuch vor die Augen hielt, »das sind Freiheiten, welche mich verletzen.«

»Wahrhaftig! ich glaube es,« antwortete er, »wollen Sie dieses vielleicht für eine Gunst erklären? Sehen Sie mich doch an,« fügte er hinzu, »damit ich Ihre Augen sehe.«

»Nein,« versetzte sie, »Sie sind zu verweint, um schön zu sein.«

»Ohne Ihren Thränen würden Sie mir bei weitem weniger schön erscheinen. Hören Sie mich an,« fuhr er fort, »die Lage, in der Sie sich befinden, betrübt mich, ich wünsche es entschieden, dass Sie sich daraus befreien. Ich habe Ihnen die Nothwendigkeit bewiesen, dass Sie noch lieben müssen, und ich will, so viel es mir möglich sein wird, Ihnen gegenwärtig beweisen, dass ich es bin, denn Sie lieben müssen.«

»Ich zweifle,« antwortete sie, »dass es Ihnen gelingen wird.«

»Das wollen wir gleich sehen,« antwortete er. »Erstens haben Sie eingestanden, mich ohne Grund gehasst zu haben; das ist eine Ungerechtigkeit, die Sie nur dadurch gut[350] machen können, wenn Sie mich grenzenlos lieben.«

Sie lächelte.

»Übrigens,« fuhr er fort, »liebe ich Sie, und Sie werden niemand erfinden, der so geneigt dazu wäre, Sie mit aller Zärtlichkeit zu lieben, die Sie verdienen.«

»Ob wir Recht oder Unrecht haben, so denken wir doch im allgemeinen schlecht von den Frauen; wir sind fest überzeugt davon, dass sie weder treu noch beständig sind, und aus diesem Grunde glauben wir es nicht verpflichtet zu sein ihnen weder Treue noch Beständigkeit zu schulden; wir sollen daher ihren Charakter prüfen, ebenso ihre Lebensweise, und nach diesen den Grad der Achtung für sie erwägen ...«

»Nun gut,« unterbrach sie, »wer hindert Sie daran?«

»Sie spotten, Madame,« erwiderte er, »dieses Studium braucht Zeit, während wir damit beschäftigt sind, könnte uns eine Frau der Unbeständigkeit beschuldigen, und das ist für uns eine so unangenehme Sache, dass wir, um dem nicht ausgesetzt zu sein, sie oft verlassen, ehe wir davon überzeugt[351] sind, ob sie es verdienen würde, dass wir sie länger lieben.«

»Aber,« fragte sie, »von welcher Bedeutung ist dies alles für Sie?«

»Von folgender,« antwortete er; »aber wird denn dieses Taschentuch ewig Ihre Augen bedecken?«

»Habe ich Sie denn nicht schon angesehen?«

»Nicht genug,« antwortete er, »ich will, dass dieses Taschentuch nicht mehr erscheine, oder ich hasse Sie, wenn es möglich ist, eben so sehr, wie Sie mich gehasst haben.«

Darauf schaute sie ihn lächelnd auf eine ziemlich verliebte Weise an.

»Fahren Sie doch fort,« sagte sie, indem sie sich über ihn neigte.

»Ja,« antwortete er, indem er sie heftig in seine Arme schloss, »ich will fortfahren, zweifeln Sie nicht daran. Das, was ich von Ihnen hier gesehen habe, ist mir des Studiums wert, von dem ich gesprochen habe, da es Ihnen meine ganze Achtung erwarb, und meine Liebe verdoppelte; ein anderer kann Sie doch nicht so lieben wie ich, er[352] würde nur ihre Reize sehen und die Schönheit ihrer Seele nicht verstehen.«

»Ja, ich glaube es,« sagte sie, »und man kann sich nicht geistreicher ausdrücken als Sie.«

Nasses wollte ihr zum Dank für dieses Lob zuerst die Hand küssen, da aber Zulika's Lippen näher waren, so hielt er es[353] für zweckmäßiger, seine Dankbarkeit durch einen Kuss zu beweisen.

»Ah, Nasses,« sagte sie sanft zu ihm, »wir werden uns entzweien.«

»Sie sehen es doch,« fuhr er fort, ohne zu antworten, »da ich der Mann bin, der Sie am meisten achtet und der die meiste Ursache dazu hat, so muss ich auch der einzige sein, den Sie lieben sollen.«

»Nein,« antwortete sie, »die Liebe ist zu gefährlich.«

»Eine veraltete Ansicht,« erwiderte er, »die Sie übrigens gar nicht daran hindern wird, mich zu lieben.«

»Aber warum verlangen Sie meine Liebe?« antwortete sie, »habe ich Ihnen nicht meine Freundschaft versprochen?«

»Ohne Zweifel!« erwiderte er, »der Vorsatz ist großmüthig! Es ist bestimmt, dass, wenn ich Sie nicht lieben würde, so solle ich mich damit zufriedenstellen, aber die Gefühle, die ich für Sie hege, können nur durch die zärtlichste Erwiederung Ihrerseits belohnt werden, und ich kann es Ihnen schwören, dass ich nichts unterlassen[354] werde, um alle Glut in Ihnen zu erwecken, die ich von Ihnen verlange.«

»Ich versichere Sie auch,« erwiderte sie, »dass ich nichts vergessen werde, um mich zu wehren.«

»Ah! ah!« sagte er, »Sie wollen also Vorsichtsmaßregeln ergreifen, ich bin entzückt darüber, das ist ein Beweis, dass Sie mich für gefährlich halten. Sie haben Recht, bei einer minder schätzenswerten Frau, als Sie es sind, wäre das wohl nicht nöthig.«

»Jedoch,« erwiderte sie, »je ehrbarer ich bin, desto mehr werde ich widerstehen.«

»Ganz im Gegentheil,« erwiderte er »die Koketten allein lassen sich schwer besiegen, man überzeugt sie leicht davon, dass sie liebenswürdig sind, die leichteste von allen Eroberungen ist die von einer vernünftigen Frau.«

»Das hätte ich sicher nicht geglaubt,« sagte sie.

»Und doch ist nichts wahrer,« antwortete er, »Sie können zum Beispiel nicht daran zweifeln, dass ich Sie liebe. Antworten Sie, zweifeln Sie daran?«

»Seien Sie getrost! ich war so albern leichtgläubig,«[355] erwiderte sie, »dass ich glaube, dass man mich jetzt nicht so bald überzeugen wird.«

»Aber Mazulhim bei Seite,« nötigte er, »was denken Sie darüber?«

Sie antwortete, sie glaube, dass er sie nicht gehasst habe; er bestand aber hartnäckig auf seiner Meinung und erreichte endlich von ihr, dass sie überzeugt davon war, er liebe sie.

»Und Sie,« setzte er fort, »Sie finden mich nicht mehr abscheulich?«

»Abscheulich!« sagte sie, »nein, in der That, ich wollte, ich könnte gleichgiltig sein, aber ich will nicht ungerecht sein.«

»Sie glauben also, dass ich Sie liebe!« rief er aus, »Sie hassen mich nicht, und bilden sich ein, dass Sie mir lange widerstehen werden! Sie! Mit diesem aufrichtigen Charakter! Sie bilden sich ein, mich unglücklich machen zu können, wenn Ihre eigenen Wünsche zu meinen Gunsten sprechen werden, und die Zeit gekommen sein wird, wo Sie denken werden, sich mit mehr Anstand ergeben zu können! Nein, Zulika, nein, ich habe eine bessere Meinung von Ihnen als Sie selber. Sie sind nicht so falsch, um[356] einen Mann, den Sie lieben, zur Verzweiflung zu bringen. Sie kennen die Kunst nicht, mich von Gunst zu Gunst zu führen, bis zu der äußersten Seligkeit, die mich überglücklich machen und wieder beleben wird. Der Augenblick, wo ich Sie erweichen werde, soll auch der sein, wo ich vor Wonne in Ihren Armen sterben werde, und dieser reizende Mund ...«

»Sehr gut das, sehr gut,« unterbrach der Sultan, »Du ziehst mich aus einer großen Verlegenheit. Auf Ehre! Ich fürchtete schon, dass es nie zu Stande kommen wird ... Ah! Dieses Dumme Geschöpf, diese Zulika mit ihrer Ziererei!«

»In der That!« sagte die Sultanin, »man muss gestehen, dass man eine Gunst nicht länger erwarten lassen kann. Wie kann man eine Stunde lang widerstehen? Das ist beispiellos!«

»Was Wahres daran ist, dass es mich so langweilte, als ob es vierzehn Tage gedauert hätte, und wenn Amanzei die Sache noch ein wenig verzögert hätte, so wäre ich daran vor Verdruss und Galle gestorben;[357] aber es hätte zuerst ihm das Leben gekostet, denn ich würde ihn gelehrt haben, dass man ein gekröntes Haupt nicht vor Langweile sterben lässt.«

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 327-358.
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