Sechzehntes Kapitel.

[381] Welches eine Abhandlung enthält, die nicht Jedem gefallen wird.


»Nachdem sie diese wenigen Worte gesagt hatte, welche Euer Majestät missfallen haben, schwieg Zulika.«

»Glauben Sie,« fragte Nasses, »dass Mazulhim Sie mehr geliebt hat als ich?«

»Er lobte mich mehr,« antwortete sie, »aber es scheint mir, dass Sie mich mehr lieben.«

»Ich will Ihnen keine Ursache lassen, an meiner Zärtlichkeit zu zweifeln,« versetzte er. »Ja, Zulika, Sie werden es bald erfahren, wie sehr Mazulhim meinen Gefühlen nachsteht.«[382]

»Nun was,« versetzte sie, »was ...?«

Nasses ließ sie nicht ausreden, und sie beklagte sich nicht, unterbrochen worden zu sein.

»Ach, Nasses!« rief sie zärtlich aus, »wie würdig sind Sie, geliebt zu werden.«

Nasses antwortete auf diese Lobeserhebung nur wie ein Mann, der dachte, dass man ihn für die Zukunft ermuthigen wollte. Er hatte Zulika gerührt, es gelang ihm dieselbe zu überraschen; auch fühlte sie für ihn eine Hochachtung, eine Art Ehrerbietung, die in Anbetracht des Beweggrundes, welchem er sie verdankte, äußerst spasshaft wurde, und die einem Mann schmeicheln musste, umsomehr als sie bei den Frauen nicht die Wirkung eines Vorurtheiles sind, wie das Gefühl.

Nasses, der mit sich selbst zufrieden war, glaubte, dass er die Bewunderung, welche er Zulika einflößte, nun einen Augenblick aufschieben könne. Über sie triumphiert zu haben genügte ihm nicht: er kannte sie zu gut, um sich davon geschmeichelt zu fühlen, und die Gunstbezeugungen, die sie ihm[383] spendete, hatten den Hass, welchen er für sie empfand, nur noch vergrößert.

Er fühlte für sie diese tiefe Verachtung, die uns die Verstellungen und Rücksichten mit den Personen, welche sie uns einflößt, unmöglich machen, und unter deren Einflusse glaubte er ihr nicht bald genug zeigen zu können, welchen Eindruck ihr Benehmen auf seine Seele gemacht hatte.

»Sie finden also,« fragte er sie, »dass ich Sie nicht so sehr lobe wie Mazulhim?«

»Ja,« antwortete sie, »aber ich finde zu gleicher Zeit, dass Sie besser zu lieben wissen als er.«

»Das ist ein Unterschied, den ich nicht verstehe; welchen Wert legen Sie gegenwärtig dem Worte Liebe bei?«

»Den, welchen es hat,« erwiderte sie, »ich kenne nur einen, und von diesem will ich sprechen; aber Sie, der Sie so gut lieben zu verstehen scheinen, warum fragen Sie mich, was die Liebe ist?«

»Wenn ich es frage,« erwiderte er, »so ist es nicht deshalb, weil ich darüber in Ungewissheit bin; aber da jeder dieses Gefühl nach seinem Charakter definiert, möchte[384] ich wissen, was sie darunter im Besondern verstehen, Sie, die Sie behaupten, dass Mazulhim Sie nicht so geliebt, wie ich Sie liebe. Ich kann den Unterschied nicht erkennen, den Sie zwischen ihm und mir finden, wenn Sie mir seine Art zu lieben nicht erklären.«

»Aber,« antwortete sie, indem sie sich stellte, als ob sie erröthen möchte, »weil er ein erschöpftes Herz hat.«

»Ein erschöpftes Herz!« versetzte er; »dieses ist meiner Ansicht nach ein Ausdruck, der keinen klaren Sinn hat. Das Herz erschöpft sich ohne Zweifel von einer zu langen Leidenschaft; aber Mazulhim konnte bei Ihnen nicht in diese Lage kommen, da Sie für seine Augen und für seine Phantasie ein neuer Gegenstand waren. Demzufolge ist das, was Sie mir da von ihm sagen, nicht das Richtige, was Sie mir sagen sollten.«

»Ich werde eben nur dieses von ihm sagen,« antwortete sie; »so viel ich weiß (wenigstens zweifle ich daran), gibt es wenige Männer, die so wenig zur Liebe geschaffen sind, wie er es ist, und fragen Sie mich nicht mehr; denn ich fühle, dass ich[385] über diesen Gegenstand nichts mehr zu antworten habe.«

»Ah! Ich begreife Sie,« erwiderte er, »aber trotzdem erkenne ich Mazulhim nicht nach dem Bilde, welches Sie mir von ihm darstellen.«

»Aber,« versetzte sie, »es scheint mir, dass ich Ihnen nichts von ihm sage.«

»Ah, verzeihen Sie mir,« erwiderte er, »man fühlt leicht, was man eigentlich einem Manne vorwirft, wenn man von ihm sagt er hat ein erschöpftes Herz; es ist dies eine bescheidene und gemessene Anspielung, aber man versteht dieselbe. Und dennoch bin ich überrascht, dass Sie sich über ihn zu beklagen haben.«

»Ich beklage mich ja nicht über ihn, Nasses,« antwortete sie; »aber da Sie wissen wollen, was ich über ihn denke, so will ich Ihnen sagen, dass es wahr ist, und ich darüber sehr überrascht war.«

»Ah! Ah!« sagte er, »was, Sie fanden, dass er ...«

»Das ist staunenswert,« versetzte sie »wenigstens, so viel ich glaube.«

»Oh! Ich verlasse mich auf Sie.«[386]

»Ohne Zweifel,« antwortete sie ironisch, »die Erfahrung hat mich darüber aufgeklärt.«

»Erfahrung oder nicht,« erwiderte er, »man weiß, wie ein Geliebter sein soll, wenn man demselben nichts mehr zu wünschen übrig lassen will; darüber herrscht eine allgemein verbreitete Meinung.; aber ich gestehe noch einmal, dass Sie mich überraschen, denn Mazulhim ...«

»Schon gut! Nasses,« unterbrach sie »in diesem Punkte kann man sich nichts einbilden!«

»Ich kann von meiner Überraschung gar nicht zu mir kommen,« antwortete er, »ich weiß unglaubliche Dinge von ihm, ja Wunder!«

»Das wird wahrscheinlich nur er selbst gewesen sein, der Ihnen dieselben erzählte,« sagte sie.

»Wenn er das nur aus Eigenliebe gethan hätte,« antwortete er, »so würde ich mich gehütet haben, einer solchen Erzählung Glauben zu schenken. – Nein, er hat zu mir von nichts gesprochen, was dies betrifft, denn er ist sehr bescheiden.«[387]

»Was die Bescheidenheit betrifft, so ist dieselbe nicht seine schwache Seite.«

»Madame, Madame,« sagte er zu ihr, »ein so glänzender Ruf wie der Mazulhim's muss einen Grund haben, und Sie werden mich nie glauben machen, dass jemand, von dem alle Frauen Agras eine gute Meinung haben, ein so wenig schätzenswerter Mann sei.«

»Eh! Denken Sie,« antwortete sie »dass eine Frau, selbst wenn sie mit Mazulhim unzufrieden ist (wenn es wahr ist, dass es eine gibt, die empfindlich dafür ist, wovon wir sprechen), die Ursache eingestehe, warum sie so unzufrieden sei?«

»Gewiss,« versetzte er, »wird sie es nicht jedem sagen, aber sie wird es jemanden anvertrauen, und der Beweis davon ist, dass Sie mir es sagen. Ich weiß wohl, dass ich dieses Vertrauen nur unserem Verhältnisse verdanke. Aber Mazulhim gefiel noch anderen Frauen, als Sie es sind. Nach demselben haben sie Männer geliebt, denen sie ihre Abenteuer vertrauten. Es gibt in Agra vielleicht mehr als tausend Frauen, welche Mazulhim nicht widerstehen konnten; demzufolge[388] würde es vierzigtausend Männer geben, oder ungefähr so viele, welche auf das Genaueste wissen, wie er ist, und Sie wollten, dass unter den geärgerten Frauen und den gedemütigten Männern ein derartiges Geheimnis verschwiegen geblieben wäre? Das ist nicht wahrscheinlich. Nein, Madame, noch einmal nein, ein Mann, wie Ihnen Mazulhim erschien, hätte sich nicht so lange behauptet. Soll ich Ihnen noch mehr sagen?«

»Sie kennen doch Telmisse; sie ist gewiss nicht mehr jung noch schön. Es sind höchstens zehn Tage, das Mazulhim ihr all seine Achtung bewies und dafür die ihre erworben und verdient hat. Das ist doch eine Thatsache.«

»Telmisse sagt es jedem, der es nur anhören will, und das ist gewiss keine Person, die ohne Ursache Gutes von jemanden sagen wird, und wir kennen keine andere, deren Beifall mehr Ehre erwiese und schwerer zu erlangen wäre, als der ihre. Können Sie nach dem schlecht von Mazulhim denken?«

»Nein,« antwortete sie trocken, »ich glaube, er ist unvergleichlich. Das ist ohne Zweifel[389] mein Fehler,« fügte sie mit einem höhnischen Lächeln hinzu.

»Das kann ich nicht glauben,« versetzte er; »aber es ist wahr, dass etwas unbegreifliches daran ist. Überdies werden Sie eine Sache nicht glauben; wenn ich eine Frau wäre, so würden mir diese Art Leute, wie Mazulhim Ihnen erschien, weit besser gefallen als die Anderen.«

»Ich glaube,« antwortete sie »dass dies keine Ursache sei, sie nicht zu lieben, oder sie zu verlassen, aber ich muss zugleich gestehen, dass ich es durchaus nicht begreife, weshalb man ihnen den Vorzug geben sollte.«

»Sie verstehen es besser zu lieben,« sagte er; »sie allein kennen die zärtliche Sorgfalt und Gefälligkeit; je mehr sie fühlen, dass man sich zu ihnen herablässt, umsomehr bemühen sie sich geliebt zu werden. Durch Nothwendigkeit unterworfen, sind sie mehr Sklaven als Liebhaber. Sinnlich und feinfühlend bemühen sie sich unaufhörlich tausend Entschädigungen zu ersinnen, und die Liebe verdankt ihnen vielleicht die auserlesensten ihrer Freuden. Geschieht es ihnen sich hinreißen zu lassen, so ist es niemals[390] die Folge blinder Leidenschaft, und demzufolge niemals schmeichelhaft für eine Frau, dieser die Glut zu verdanken, wovon ihre Seele erfüllt ist; sie allein ist es, es sind ihre Reize, welche die Natur des Mannes unterjochen. Kann es jemals für sie einen herrlicheren und süßeren Triumph geben?«

»Sie erstaunen mich nicht,« sagte Zulika zu ihm, »Sie lieben sonderbare Ansichten.«

»Sie denken zu gut,« antwortete er, »wenn Ihnen dieses so erscheint, und ich weiß, dass mehr als eine Frau ...«

»Lassen wir das,« unterbrach sie, »ich habe mich nie um Sachen gestritten, die mich nicht interessierten. Übrigens scheint es mir, dass es sich weniger für Sie als für Mazulhim schickt, dass man diese Meinung von ihm habe.«

»Sie hat Recht,« sagte der Sultan. »Wann wird sie denn fortgehen?«

»Wie ungeduldig Sie aber sind,« antwortete die Sultanin.

»Nicht, dass ich mich langweilen würde,« sagte der Sultan, »bei weitem nicht; aber obgleich ich mich sehr gut unterhalte, so[391] scheint es mir doch, dass ich lieber etwas anderes hören möchte. Ich bin einmal so.«»Was wollen Sie damit sagen?« fragte die Sultanin.

»Versteht sich das nicht von selbst?« antwortete er, »ich finde, dass ich mich doch genug deutlich ausspreche, wenn ich sage, dass ich so bin, das heißt, dass ich denke, dass ein Vergnügen uns nicht daran hindert, ein anderes zu verlangen. Ich will mich noch deutlicher ausdrücken.«

»Es gibt tausend Dinge, die an Wert verlieren, wenn man sie erklärt, man versteht sie sehr genau,« entgegnete die Sultanin, »wünschen Sie noch etwas mehr?«

»Ja,« sagte der Sultan, »ich will, dass Amanzei seine Geschichte beende.«

»Ich will, dass er fortfahre,« antwortete die Sultanin.

»Im Gegentheil,« versetzte Schah-Baham, »es scheint mir, dass, wenn er hier stehen bliebe, er sie früher beendigt hätte, da ich jedoch die Gefälligkeit selbst bin, so erlaube ich es ihm, fortzusetzen.«

»Übrigens,« fuhr Zulika fort, »würden[392] Sie mich sehr verpflichten, wenn Sie nicht mehr von Mazulhim reden wollten.«

»Sehr gerne,« erwiderte er, »es ist dies erschöpfte Herz, von dem Sie gesprochen haben, welches uns zu einer unnützen Auseinandersetzung geführt hat, die ich mir zum Vorwurf machen würde, da sie Sie erzürnt hat. Wenn ich mich nicht daran erinnern möchte, dass meine Zärtlichkeit für Sie, und der Wunsch zu wissen, weshalb Sie glauben, dass Mazulhim Sie weniger geliebt hat als ich, diese Erörterung herbeigeführt hat.« »Nein,« erwiderte sie mit trauriger Miene, »es scheint mir seit einigen Augenblicken, dass Sie mich nicht mehr so lieben wie früher, ich weiß nicht warum, aber ich glaube es, und dieser Gedanke betrübt mich.« »Beruhigen Sie sich,« fuhr er fort, »liebliche Zulika, Himmel! Welch ein Vergnügen bereitet es mir, ihre Traurigkeit zu bannen! Reizende Zulika! Könnte diese Wonne für Ihr Glück und das meine unaufhörlich wiedererstehen!«

Indem er diese Worte sprach, nahm er Zulika in seine Arme und überhäufte sie mit den zärtlichsten Liebkosungen.[393]

»In welch ein Entzücken versetzen Sie mich,« rief sie aus. »Ich fühle, wie Ihre Glut in mein Herz übergeht, es ganz erfüllt und mein ganzes Wesen durchdringt! Ah, Nasses! Welch ein Vergnügen für mich, Ihnen diese Wonne zu verdanken, welche ich so wenig kannte! Sie allein! ... Ja, Sie allein ... Aber Nasses! Ah! Grausamer!«[394]

»Obzwar Zulika nicht zu reden aufhörte, war es mir dennoch nicht mehr möglich zu hören, was sie sagte.«

»Wahrscheinlich weil sie zu leise sprach,« antwortete der Sultan.

»Es ist sehr wahrscheinlich,« entgegnete Amanzei.

»Und dann,« fuhr der Sultan fort, »es ist doch wahr, Sie verloren dabei nicht viel, wenn Sie nichts mehr hörten, denn entweder habe ich nichts davon verstanden, oder es war kein Sinn in dem, was sie sagte.« »Ich bin Ihrer Ansicht, Sire,« sagte Amanzei, »nichts ist weniger klar. Entweder hörte sie Nasses nicht, oder er hatte in diesem Moment nicht mehr Geist als sie, denn er sagte ungefähr dieselben Dinge.« »Sagte ich es Dir denn nicht,« versetzte der Sultan, »diese Leute hatten keinen gesunden Menschenverstand.«

»Als Nasses und Zulika vernünftiger wurden,« fuhr Amanzei fort, »sagte Zulika, indem sie ihn zärtlich ansah: Sie sind reizend, ah, warum habe ich Sie nicht früher geliebt?«

»Sie haben sich darüber weniger zu beklagen[395] als ich,« antwortete er, »ich, der ich jeden Augenblick fühle, dass ich erst dann zu leben anfing, seitdem Sie mich geliebt haben. Wenn ich daran denke, für welch' köstliche Reize Mazulhim blind war, wie muss ich ihn bedauern. Was, Zulika! An diesem Orte, wo wir uns befinden, an diesem Orte, der mir durch die Güte, die Sie mir erwiesen, so theuer geworden. Der Undankbare, er sollte erröthen, schon andere daselbst geliebt zu haben, er sollte seiner Unbeständigkeit für immer entsagen! Welcher Genius, welcher Gott selbst wachte für mich; indem er ihn für so viele Reize gefühllos machte, flößte er ihm die Absicht ein, mich zu wählen, um Ihnen seine Treulosigkeit mitzutheilen. Ah, Zulika, wie groß wäre doch mein Unglück gewesen, wenn er Ihnen treu geblieben wäre, oder wenn irgend ein anderer als ich ...«

»Halten Sie ein,« unterbrach Zulika majestätisch; »wenn er mir treu geblieben wäre, so hätte ich nie einen Anderen als ihn geliebt, aber um ihn aus meinem Herzen zu verbannen, brauchte nur eben ein Nasses zu kommen.«[396]

»Ich glaube, da Sie mich gewählt haben,« antwortete er, »so war ich in der That nur der Einzige, der Ihnen gefallen konnte, aber wenn ich an den Zustand denke, in welchem Sie sich hier befanden, und an das, was ein Unbesonnener, den Mazulhim hierhergeschickt hatte, von Ihnen verlangen konnte, um welchen Preis er seine Verschwiegenheit von Ihnen erkauft hätte, so kann ich mich nicht enthalten, zu schaudern.«

»Ich sehe nicht ein, warum,« erwiderte sie, »wenn ich nichts gewähren wollte, so wäre es mir ziemlich gleichgiltig gewesen, wenn man von mir etwas gefordert hätte.« »Das können Sie nicht behaupten,« sagte er, »es gibt für die Frauen oft schreckliche Lagen und jene, in welcher ich Sie sah, war vielleicht eine der ärgsten!«

»Wie Sie meinen,« unterbrach sie; »aber ich bitte Sie zu glauben, dass es weniger hart für eine gefühlvolle Frau ist, von einem Manne, der sie liebt, verlassen zu sein, als sich jemanden hinzugeben, den sie nicht liebt.«

»Das ist nicht zu bezweifeln,« versetzte[397] er, »es ist eine unangenehme Sache, in dem Hause eines Junggesellen überrascht zu werden. Ich weiß nicht, was ich thun würde, wenn ich eine Frau wäre und mir das widerfahren möchte; aber ich glaube, dass ich recht froh wäre, wenn der Mann, der mich dort überrascht hat, kein Wort davon reden würde.«

»Sie wären sehr froh,« versetzte sie, »dies scheint ganz einfach; und ich wäre auch sehr froh, dass wer auch immer mich hier überrascht hat, nichts darüber sagen würde.«

»Welch' schöne Redensarten, Sie müssen wohl den Verstand verloren haben, um so zu denken. Glauben Sie, dass ein anständiger Mann es nöthig habe, zu schweigen, und dass man ihn mit solchen Dingen, die Sie sich da einbilden, zum Stillschweigen verpflichtet – oder glauben Sie, dass man Frauen einer gewissen Art Vorschläge macht?«

»Gewiss,« fuhr er fort, »jede Frau, die in einer Junggesellenwohnung überrascht wird, beweist, dass sie ein sehr gefühlvolles Herz hat; denn die allgemeine Regel lautet,[398] dass, je liebenswürdiger die Frau ist, umso weniger großmüthig ist der Mann.«

»Oh, das ist ein Märchen,« versetzte Zulika, »und ich glaube nicht, dass es eine Frau gibt, welche die Verschwiegenheit so theuer erkauft hätte, wie Sie glauben; und die Ehre ...«

»Gut!« unterbrach er »glauben Sie, dass eine Frau es jemals fürchtet, ihre Ehre dem guten Ruf zu opfern? Schließlich,« sagte sie, »ich würde es nicht thun, und ich kenne keine Lage, wie schrecklich sie auch sei, die mich dazu bestimmen würde, einem Mann das zu gewähren, was mein Herz ihm verweigern wollte.«

»Man muss sehr zartfühlend sein,« erwiderte er, »um diesen Unterschied zu machen.«

»Ich fange an, Sie zu begreifen, mein Herr,« sagte sie zu ihm; »Sie wollen es mich fühlen lassen, dass Sie meinen Besitz nur der Lage verdanken, in welcher Sie mich hier fanden, und Sie bilden sich lieber ein, dass ich Ihnen nur darum meine Gunst schenkte, damit Sie nicht schlecht von mir denken. Das ist also,« fügte sie weinend[399] hinzu, »das Glück, auf welches ich hoffte? Ah, Nasses, musste ich von Ihnen eine so grausame Missachtung erleben?«

»Aber, Zulika,« antwortete er, »glauben Sie, dass ich den Widerstand vergessen habe, den Sie mir geleistet haben, und was es mich gekostet hat, ehe ich mein Glück bei Ihnen erreicht habe?«

»Ei! Denken Sie,« versetzte sie schluchzend, »dass ich es nicht fühle, dass Sie mir vorwerfen, mich nicht genug gesträubt zu haben? Hingerissen von der Neigung, die ich für Sie fühlte, gab ich nach, ohne zu ahnen, dass Sie eines Tages ein Verbrechen daraus machen werden, dass ich nicht lange genug widerstand.«

»Aber was haben Sie denn da für Gedanken, Zulika?« antwortete er, indem er sich ihr näherte. »Ich sollte Ihnen einen Vorwurf daraus machen, dass Sie mich so glücklich gemacht haben! Können Sie das glauben, ich, der Sie anbetet,« fügte er hinzu, indem er nichts davon vergaß, was ihr beweisen konnte, dass er wahr gesprochen. »Lassen Sie mich,« sagte sie, ihn sanft zurückstoßend, »lassen Sie mich vergessen,[400] wenn es möglich ist, wie sehr ich Sie geliebt habe.«[401]

Der Widerstand Zulikas war so sanft, dass, wenn auch das Drängen des Nasses weniger lebhaft gewesen wäre, er doch gesiegt hätte.

»Sie! aufhören mich zu lieben,« sagte er mit zärtlicher Miene, »Sie, die ewig mein Glück sein sollten? Nein, Ihr Herz ist nicht dazu geschaffen, mich zu hassen, wenn das meinige seine besten Gefühle für Sie hegt.« »Nein,« antwortete Zulika in einem Tone, in dem man nicht mehr den Zorn wahrnahm, »nein, Verräther, der Sie sind! Sie werden mich nicht mehr betrügen!«

»Himmel!« fügte sie noch sanfter hinzu, »Sie sind der ungerechteste und grausamste der Männer!«

»Ah! lassen Sie mich ... Nein, Sie wer den mich nicht überzeugen ... Ich sollte Ihnen nie verzeihen ... Wie ich Sie hasse ...« Trotz all diesen Versicherungen des Hasses, welche Zulika Nasses machte, so wollte er doch keinen Augenblick glauben, dass sie ihn hasse, und Zulika schien sich in der That nicht viel zu kümmern, dass er sich nicht mehr geliebt zu sein glaube.

»Ich weiß nicht, ob ich mir schmeichle,«[402] sagte er endlich, »aber ich möchte darauf schwören, dass Sie mich weniger hassen, als Sie sagen.«

»Ein schöner Triumph,« sagte sie, indem sie die Schultern in die Höhe zog. »Glauben Sie, dass ich Sie deshalb weniger verabscheue?«

»Ist es mein Fehler, wenn ... Aber es ist doch wahr, ich hasse Sie sehr. Lachen Sie nicht,« fügte sie hinzu, »nichts ist gewisser, als das, was ich sage.«

»Ich schätze Sie zu hoch, um es zu denken,« antwortete er, »ich bin und ich will überzeugt davon sein, dass Sie mich so sehr lieben, wie Sie nur jemanden lieben können.«

»In diesem Falle,« versetzte sie, »liebe ich Sie also so viel als möglich: mein Herz ist durchaus nicht geschaffen für gemäßigte Gefühle.«

»Ich glaube es wohl,« entgegnete er, »und ich wollte es eben sagen. Wahrhaftig, ich wage es zu behaupten, die Sittenverderbnis von heutzutage ist derart, dass je schätzenswerter eine Frau ist, man sie umso lächerlicher findet; ich behaupte durchaus nicht, dass es die Frauen allein sind, welche diese Ungerechtigkeit angeht, das wäre sehr einfach,[403] aber man will es nicht eingestehen, dass es auch die Männer sind. Sie, die von den Frauen stets nur Gefühle verlangen.«

»Das ist nur zu wahr,« sagte sie.

»Ich sehe tausend Beispiele im Leben,« fuhr er fort; »was suchen wir darin? Die Liebe? Nein, ohne Zweifel, wir wollen unsere Eitelkeit befriedigen, wir wollen, dass man unaufhörlich von uns spreche; von einer Frau zur anderen flattern, um ja nicht eine zu übergehen, wir suchen Eroberungen und wären es auch die elendsten, mehr aus Eitelkeit, deren eine gewisse Anzahl zu machen, als sich lieber mit einer zu begnügen, die es wert ist, sie unaufhörlich zu suchen und niemals zu lieben.«

»Ah! Wie sehr haben Sie recht,« rief sie aus; »aber daran sind auch die Frauen schuld, Ihr würdet sie weniger verachten, wenn alle gleicher Gesinnung wären, und sich mehr Achtung zu verschaffen wüssten.«

»Ich gestehe es mit Bedauern,« antwortete er, »aber es ist gewiss, dass man es nicht leugnen kann, dass die ein wenig Gefühle abgenommen haben.«[404]

»Ein wenig,« sagte sie staunend, »ah! Sagen Sie viel.«

»Es gibt noch vernünftige Frauen,« entgegnete er, »die so klug denken und derselben Meinung sind, wie Sie.«

»Wozu nützt es, Dinge zu verhehlen, die so bekannt sind,« antwortete sie, »was mich anbelangt, wollte ich Ihnen sagen, so sehr ich auch wünsche, dass man vernünftige Frauen schone, ebenso möchte ich es auch, dass man diejenigen mit Verachtung behandle, deren Benehmen auf der niedrigsten Stufe steht. Jede Schwäche ist verzeihlich, aber das Laster kann man niemals genug verdammen.« »Man verdammt es,« entgegnete er, »aber man unterstützt es; das Laster erscheint nicht das, was es ist, nur bei solchen, die nicht dazu geschaffen sind, Verlangen zu erwecken, und die größte Annehmlichkeit bei den Frauen von heutzutage ist vielleicht eben diese unanständige Miene, die uns verräth, dass wir bei ihnen leicht siegen können.«

»Ich weiß es wohl, dass Sie solche am eifrigsten suchen,« antwortete sie, »Ihr verlanget niemals das Herz und da Ihr selber[405] nicht liebet, so kümmert Ihr Euch nicht darum, wiedergeliebt zu werden; wenn man nur über die Person triumphieren kann, die Eroberung scheint Euch im übrigen unnütz.«

»Einen Augenblick, Amanzei,« sagte der Sultan, »wann hat er sie denn verachtet?«

»Wunderbare Frage!« rief die Sultanin aus.

»Das, was ich sage, ist durchaus keine Bosheit. Eine Frage ist einmal eine Frage, und ich habe nicht Unrecht, wie es mir scheint, dieselbe zu stellen. Man langweilt mich, und man will nicht einmal, dass ich rede; das ist wirklich spasshaft, ja, man bietet mir als Märchen eine Sammlung von Gesprächen, worin kein Wort zum Lachen ist, außer wenn man nicht selbst spricht und dann bin ich es, der Unrecht hat, mit einem Worte, wie mit tausend, Amanzei, wenn Nasses Zulika morgen noch nicht verachten wird, so sage ich Dir nur dieses, dann wirst Du es aber mit mir zu thun haben.«

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 381-406.
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