Neunzehntes Kapitel.

[439] Ah! umso besser!


Nachdem, was zwischen Zulika und Mazulhim vorgegangen war, dürfte sie wohl nicht mehr darauf rechnen, ihn wieder zu sehen; und dennoch war es er, der soeben eintrat.

Sie wich vor Überraschung zurück, als sie ihn sah, und Thränen folgten ihrem Erschrecken, sie sank vernichtet auf mich. Er stellte sich so, als ob er den trostlosen Zustand, in welchen seine Gegenwart sie versetzte, gar nicht bemerkte, und sprach, zu ihr hinschreitend, in dem ungezwungendsten Tone der Welt:

»Ich komme, meine Königin,« sagte er zu ihr, »Sie um Verzeihung zu bitten. Eine[440] lästige Verkettung von überwältigenden, schrecklichen und verzweifelten Geschäften haben mich daran gehindert, zu Ihren Befehlen zu sein ...«

»Was! Sie weinen? Ah, Nasses, das ist nicht recht; Sie haben meine Leichtgläubigkeit, meine Freundschaft und mein Vertrauen missbraucht ...«

»Aber offen gestanden, ich verstehe Ihr Benehmen nicht. Sie sind erzürnt! Darüber bin ich außer mir, verzweifelt, ich werde mich niemals darüber trösten. Das ist ja ein seltsames, überraschendes Abenteuer ... Kann man denn endlich erfahren, was diese Thränen bedeuten? Sagt doch Ihr Beide? Ihr sprechet nicht? Ach! endlich merke ich, was es ist, ich bin die schuldlose Ursache Ihres Kummers. Sie halten mich für treulos ja, Sie glauben es. Wie wenig kennen Sie mein Herz! Ich kehre ja zu Ihnen tausend, mal, ich sage tausendmal verliebter, zärtlicher und entzückter als jemals zurück.«

Je mehr Zärtlichkeit Mazulhim kundgab desto starrer und rathloser verharrte Zulika im Stillschweigen. Nasses weidete sich boshaft an ihrer Verlegenheit, und befürchtete[441] bloß, dass, wenn er Mazulhim antwortete, sie Zeit dazu gewinnen möchte, sich von ihrer Verwirrung zu erholen; er wartete[442] daher ungeduldig darauf, dass sie selber antwortete.

Sein Warten war vergebens. Sie verharrten daher alle Drei im unbehaglichen Stillschweigen.

»Erklären Sie mir doch gefälligst das Geheimnis,« sagte endlich Mazulhim zu Nasses; »hat Madame sich über mich oder über Sie zu beklagen? Liebt sie mich nicht mehr, oder liebt sie Sie?«

»Durchaus nicht,« erwiderte Nasses; »ich bin es, da ich es Ihnen sagen muss, den die Ungetreue für rathsam hält, nicht mehr zu lieben. Wir sind entzweit.«

»Ah, Verrätherin,« sagte Mazulhim. »Nach den Schwüren, die Sie mir geleistet haben, mir immer treu zu bleiben ... Welche Abscheulichkeit!«

»Es gelang mir nur mit größter Anstrengung, Madame über Ihren Verlust zu trösten,« erwiderte Nasses; »das ist eine Rechtfertigung, die ich ihr schulde, und um meine Pflicht bis zur äußersten Grenze zu erfüllen, will ich es, Sie, welche harte Überwindung es mich auch kosten mag, versuchen lassen, ob Sie im Stande sind, Madame[443] schneller über meinen Verlust zu trösten als ich es über den Ihrigen vermochte.«

»Leben Sie wohl, Madame,« fuhr er, sich an Zulika wendend, fort, »mein Glück hat nicht lange gedauert, aber ich bin zu sehr von der Güte überzeugt, die ihr Vorurtheil mich heute verlieren lässt. In diesem Falle, wenn es Ihnen belieben würde, sich meiner zu erinnern, so können Sie versichert sein, dass ich stets zu ihrem Befehle sein werde.«

Nachdem Nasses sich entfernt hatte, erhob sich Zulika plötzlich und ohne Mazulhim zu beobachten, wollte auch sie weggehen.

»Nein, Madame,« sagte er mit ehrfurchtsvollem Tone zu ihr, »ich kann mich nicht entschließen, Sie zu verlassen, ohne mich früher gerechtfertigt zu haben; es könnte ja auch der Fall sein, dass auch Sie mir einige Entschuldigungen zu sagen haben, denn, wie auch immer unsere Sachen stehen, so scheint es mir unanständig, dass wir uns trennen, ohne uns zuvor erklärt zu haben. Werden Sie stets in Ihrem peinlichen Stillschweigen verharren? Erinnert Sie nichts mehr daran,[444] dass wir uns ewige Beständigkeit versprochen haben?«

»Ach, mein Herr,« antwortete sie weinend, »fügen Sie zu Ihren Unwürdigkeiten nicht noch jene hinzu, mir von einer Liebe zu sprechen, die Sie niemals empfanden.«

»Nun wohl!« erwiderte er. »So sind die Frauen! Man fehlt, ohne es zu wollen, man kränkt sich darüber, man stirbt vor Ungeduld, man verschmachtet vor Sehnsucht; und wenn man bloß beklagt zu sein verdient, und man voll zärtlicher Erwartung zurückkehrt, um sich jener zu Füßen zu werfen, die man anbetet, so findet man sich verabscheut! Nach allein zu schließen, würden Sie weniger ungerecht sein, wenn Sie nicht so empfindsam wären.«

»Bei empfindsamen Seelen darf man niemals kleine Unarten haben. Ich bin Ihnen aber doch für Ihren Zorn sehr dankbar, ohne ihn hätte ich vielleicht mein ganzes Leben nicht geahnt, wie sehr Sie mich liebten und ich selber würde Sie dann weniger geliebt haben. Aber sagen Sie mir doch,« fügte er, sich ihr vertraulich nähernd, hinzu »sind Sie mir denn ernstlich böse?«[445]

Zulika antwortete auf diese Frage bloß damit, dass sie ihn mit derselben Verachtung wie früher ansah.

»Im Grunde,« setzte er fort, »wäre es mir ja sehr leicht, mich zu rechtfertigen. Aber sicherlich,« fügte er hinzu, als er sah, wie sie die Achseln zuckte, »sehr leicht, ich sage da nichts Unwahres, denn in was besteht denn eigentlich mein Unrecht gegen Sie?«

»Wahrhaftig!« rief sie aus, »ich bewundere Ihre Unverschämtheit. Mich herkommen zu lassen, ohne sich darum zu bekümmern, wie schlecht, wie unverschämt dieses Benehmen auch sein mag, so sind Sie ganz geeignet dazu, es zu haben.«

»Ich war ja darüber gar nicht erstaunt, aber die letzte Frechheit noch hinzuzufügen! Mir einen Fremden herzusenden, den Sie über meine Schwäche belehrten, ihm das anzuvertrauen, was Sie vor der ganzen Welt verbergen sollten ...«

»Ja, es verbergen,« unterbrach er, »das wäre ein reizendes Geheimnis und sehr nützlich wäre es auch. Denken Sie denn, dass ein ähnliches Ereignis zwischen derartigen Personen,[446] wie wir sind, unbekannt bleibt? Aber ich setze voraus, dass selbst bei Ihrer Erfahrung Sie sich sehr darüber täuschen, wenn Sie glauben, dass man uns nicht nennen wird; worin, gestatten Sie es mir zu fragen, habe ich Sie denn preisgegeben? Ist vielleicht unser Geheimnis nicht besser in den Händen eines Mannes vom Stande bewahrt, als in jenen eines Sklaven? Hatte ich damals gerade jenen Diener bei der Hand, um ihn zu Ihnen zu senden, welcher bei mir in die Einzelnheiten solcher Angelegenheiten eingeweiht ist, und war er denn nicht hier, um Sie zu erwarten?«

»Die Zeit drängte. Um Sie davon zu benachrichtigen, was mich zu kommen hinderte, wählte ich jenen meiner Freunde, der meiner Ansicht nach die besten Sitten hat. Und endlich ist Nasses ein Mann, der außer seiner guten Sitten auch noch Geist besitzt, er ist unter uns Lebemännern am beliebtesten und eine Persönlichkeit, der man, ich muss es gestehen, auch Achtung und Bewunderung schuldet.«

»Schließlich nehme ich mir noch die Freiheit, Ihnen zu sagen, dass ich es nach seinen[447] innigen Danksagungen, zu denen Sie ihn verpflichtet haben, nicht begreifen kann, weshalb Sie sich darüber so sehr beklagen, dass ich ihn zu Ihnen gesandt habe. Unter uns gesagt, dürfte dieser Punkt einer näheren Erklärung verdienen, doch Sie können mir ja dieselbe, nur so weit es Ihnen beliebt, geben, denn ohne beleidigend sein zu wollen, muss ich Ihnen gestehen, dass ich weder so neugierig noch so unbequem wie Sie bin.«

»Welche Frechheit und Albernheit!« rief Zulika aus.

»Sachte, wenn es Ihnen beliebt, Madame, mit derartigen Äußerungen,« sagte Mazulhim lebhaft, »so wie Sie mich kennen, so gibt es für mich tausend Dinge, gegen die ich protestieren könnte, und ich bitte Sie daher, mich gütigst nicht dazu zwingen zu wollen, meine Wiedervergeltung nehmen zu müssen. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, meinen Worten zu glauben, so werden wir freundschaftlich mit einander sprechen; vielleicht werden Sie dabei ebenso viel Nutzen wie ich haben. Sehen wir ein wenig genauer nach. Die Gegenwart Nasses hat Sie[448] zuerst verdrossen, daran ist nicht zu zweifeln, und woran ich aber noch weniger zweifle, ist, dass Sie, um mit ihm in gutes Einverständnis zu kommen, die große Güte hatten, ihn mit allen jenen Gunstbeweisen zu überhäufen, welche Sie die Gnade hatten, für mich zu bestimmen.«

»Und wenn dem so wäre?« antwortete Zulika stolz.

»Ich verstehe,« unterbrach er, »es ist dem so.«

»Nun wohl! Ja,« erwiderte sie kühn, »ja, ich habe ihn geliebt.«

»Mißbrauchen wir keine Worte,« erwiderte er, »Sie haben ihn nicht geliebt; aber das kommt auf eins heraus. Gestehen Sie es, da Sie ihn jetzt ein wenig kennen und wissen, dass er ein Mann von seltenen Verdiensten ist ...«

»So viel ich darüber sagen kann,« erwiderte sie kühl, »ist, dass er fade, anmaßend und rücksichtslos ist, aber dafür wenigstens etwas an sich hat, wofür man es ihm verzeihen kann, und dass Andere, die es wagen, denselben Ton anzunehmen, mehr[449] als eine Ursache hätten, sehr bescheiden zu sein.«

»Obwohl dieses Epigramm sehr verblümt gesagt ist,« erwiderte er, »so fühle ich sehr wohl heraus, dass es auf mich gemeint ist,[450] und ich will Ihnen gerne, ohne mich darüber zu ärgern, den kleinen Trost gewähren, es mich gestehen zu hören. Ja, ich werde selbst meine zarte Rücksicht noch weiter ausdehnen und werde mir keine Rechtfertigung erlauben, womit ich vielleicht die Höflichkeit gegen Sie verletzen könnte.«

»Welche erbärmliche Sprache führen Sie da,« rief sie, ihn mitleidig ansehend, aus, »und wie schlecht eignet sich dieser leichte, spöttische Ton für eine Sorte von Männern, wie Sie sind!«

»Sie bemühen sich umsonst, Madame, ich werde nicht von der Achtung, die ich Ihnen schulde, noch von dem Plane ablenken, über welchen ich mich mit Ihnen unterhalten wollte. Ich würde nicht böse darüber sein, Ihnen mit meiner Person als Muster der Mäßigung zu dienen; denn vielleicht werden Sie, wenn Sie mich so standhaft finden, Lust bekommen, mir nachzuahmen.«

»Sie werden sie gewiss ganz allein ausüben, Ihre so sehr gerühmte Mäßigung,« erwiderte sie, indem sie sich erhob, »denn ich gehe ...«

»Nein, wenn es Ihnen beliebt, Madame,«[451] sagte er, sie zurückhaltend, »Sie werden mich nicht verlassen, nicht auf diese Art dürfen kluge Leute, wie wir, aus einandergehen; um Ihrer Ehre wegen, um der meinigen Willen, müssen wir zu jeder gegenseitigen Erklärung bereit sein und jedes Aufsehen vermeiden, welches sowohl für Sie als für mich zu fürchten wäre. Mit einem Worte, Zulika, Sie müssen mich anhören.« Möglich, dass Zulika die üblen Folgen fühlte, welche dieses Abenteuer für sie haben könnte, wenn das Gerücht davon sich verbreiten würde, und sie glaubte deshalb, nach ernster Überlegung, nichts unbeachtet zu lassen, um Mazulhim zum Schweigen zu bewegen; oder möglich, dass sie selbst zu verächtlich war, um lange darüber böse zu sein, dass man sie so verachtete; genug, ihr Zorn kühlte sich ab, sie warf sich abermals auf das Sopha, ohne jedoch Mazulhim eines Blickes zu würdigen, der aber von diesem Zeichen der Verachtung wenig gerührt zu sein schien und sein Gespräch folgendermaßen wieder aufnahm:

»Sie haben es mir gestanden, dass Sie Nasses erhört haben; ein anderer Mann[452] würde Ihnen sagen, dass eine anständige Frau sich nur dann in anderes Verhältnis einlässt, wenn das, welches sie vordem hatte, vollständig aufgelöst ist; und auf dieses Recht hin würde er Sie mit den größten Schmähungen überhäufen, welche dieses Benehmen aller Wahrscheinlichkeit nach zu verdienen scheint. Was mich betrifft, der ich genug Lebenserfahrung habe, um zu wissen, wie sich das zuträgt, ich bin weit entfernt davon, es Ihnen übel zu nehmen, im Gegentheil, ich liebe Sie deshalb nur noch mehr.«

»Es ist durchaus nicht meine Absicht, irgend eine Wirkung auf ihr Herz zu machen,« erwiderte sie.

»Davon brauchen Sie nichts zu wissen,« antwortete er, »in der Bestürzung, in welcher Sie sich befanden, war es leicht möglich, dass Sie die Beweggründe, welche Sie zur Handlung veranlasst haben, verwechselten. Sie hielten mich für unbeständig, man beschwor Sie, sich einzulassen; wenn Sie mich weniger geliebt hätten, würden Sie es gewiss nicht gethan haben, und Nasses würde sich vergebens bemüht haben, Sie so weit zu[453] bringen, wie es ihm gelungen ist. Es ist bloß der heißesten Liebe eigen, glauben Sie es mir, jene heftigen Gefühle einzuflößen, die der kühlen Überlegung weder die Zeit noch die Freiheit zu handeln gestatten. Ich würde sehr darüber staunen, dass Nasses so wenig rücksichtsvoll gewesen sei, um die augenblickliche Lage, in der Sie sich befanden, ausnützen zu wollen; ich glaube schwerlich, dass er genug verblendet und eitel ist, um nicht zu sehen, dass Sie selbst in seinen Armen einem Andern angehörten, und dass Sie ohne Ihre leidenschaftliche Liebe zu mir ihn niemals beglückt hätten.«

»Oh, nein,« antwortete sie »Nasses gefiel mir sehr gut und ich beging eine Treulosigkeit in aller Form gegen Sie.«

»Die reinste Eitelkeit von ihrer Seite, glauben Sie das nicht, nichts ist weniger wahr.«

»Warum,« sagte sie, »soll das nicht wahr sein? Ich finde es sehr sonderbar, dass Sie es besser wissen wollen als ich, was daran ist.«

»Ich weiß es dennoch ganz genau, so dass ich es Ihnen Wort für Wort sagen[454] könnte, wie er es anstellte, um Sie zu verführen,« antwortete er. »Nasses fand Sie schön, es gefiel ihm viel besser, Sie von dem Verlangen, das Sie in ihm erweckten, zu überzeugen, als mich zu entschuldigen, und ich würde darauf wetten, dass er anstatt zu meinen Gunsten zu reden, lieber selbst ...«

»Das ist ganz natürlich,« unterbrach sie.

»Sage ich Ihnen denn nicht,« fuhr er fort »welchen erbärmlichen Sieg er damit errungen hat und welch' ein schlechter Schmeichler er ist? Aber schließlich gibt es ja Leute, denen man die kleine Kriegslist verzeihen muss, denn Sie bedürfen ihrer, um zu gefallen.«

»Was?« sagte sie erstaunt, »Sie können es wagen, noch zu behaupten, dass Sie mir nicht untreu waren?«

»Sicherlich,« erwiderte er »ich bin es nicht gewesen und das ist eben, was Ihr Abenteuer so lustig macht.«

»Sie waren nicht schuldig?« wiederholte sie. »Was ist denn aus Ihnen geworden?«

»Ich habe mich nicht früher von dem Kaiser entfernt, als zu derselben Stunde,[455] in der Sie mich hier erscheinen sahen; und selbst Zadis, dem man, nebenbei gesagt, tausend Neckereien darüber sagte, dass er gestern den ganzen Tag verschwunden war, hat mich nicht verlassen, er kann es Ihnen selbst sagen.«

Bei dem Namen Zadis erbebte Zulika und sah Mazulhim erröthend an, der scheinbar ihre Verlegenheit nicht bemerkte und folgendermaßen fortfuhr:

»Obzwar ich noch immer ein sehr lebhaftes Gefallen an Ihnen finde, werden Sie es doch einsehen, dass wir nunmehr nicht in jener Vertraulichkeit zusammen leben können, die Sie mir früher gewährt haben. Ich will Sie deshalb aber doch nicht von allem entbinden, aber ein bestimmter Umgang behagt Ihnen nicht mehr, denn schließlich haben wir uns ja doch nur mehr aus Laune als aus Liebe vereint; es waren ja keine zärtlichen Gefühle, die uns verbanden, und das, was nun folgt, darf Sie weder verletzen, noch Ihnen missfallen, noch uns Beide daran hindern, der Laune zu folgen, wenn wir, ohne uns wieder vollständig besitzen zu[456] wollen, uns dennoch manchmal zu einander hingezogen fühlen sollten.«

»Ich schmeichle mir,« antwortete sie verächtlich, »dass Sie, während Sie diese Maßregeln trafen, dennoch deren ganze Lächerlichkeit fühlten, und dass Sie nicht darauf hofften, mich dazu zu bewegen, einzuwilligen.«

»Verzeihen Sie mir,« erwiderte er, »aber Sie sind zu vernünftig dazu, um nicht zu wissen, welche Schonung und Aufmerksamkeit man alten Freunden schuldet; außerdem weiß ich auch, dass es Ihnen nicht unbekannt ist, dass es heute allgemein festgestellter Gebrauch ist, so viele Verbindungen, als es nur möglich ist, einzugehen und seinen neuen Freunden so viel, als man vermag, zu gewähren, ohne deshalb den alten Freunden etwas zu entziehen. Sie werden es daher gewiss für recht finden, des die Sachen sich gerade so verhalten werden, wie ich die Ehre habe, es Ihnen zu sagen, und dass ich diesen Punkt für ganz entschieden unter uns halte.«

Bei diesem schamlosen Handel (obzwar Zulika dessen sehr würdig war), den er mit ihr abmachte, beleidigte sie sich dennoch, dass[457] Mazulhim sie dessen für fähig hielt, was sie doch alle Tage that; sie wollte deshalb mit ihm in einem würdevollen Tone reden, der sie noch verächtlicher machte, und ihn noch mehr dazu ermuthigte, sie gar nicht zu schonen.»Wenn es nicht schon so spät wäre,« sagte er zu ihr, »so würde ich Ihnen noch beweisen, dass Sie weit eher, als sich zu beklagen, mir tausend Dank zu sagen hätten. Es ist mir nicht unbekannt, dass Zadis gestern bei Ihnen war und mit Ihnen allein den ganzen Tag und einen großen Theil der Nacht zugebracht hat. Mehr neugierig als eifersüchtig und sicher dessen, dass Sie das Wort, welches Sie mir gegeben haben, ihn niemals wiederzusehen, nicht halten würden, ließ ich Euch beide beobachten.«

»Es war durchaus nicht nöthig, dass Sie sich bemühten,« unterbrach sie. »Ich hatte nicht die Absicht, mich zu verstecken; die Ursache, aus welcher ich Zadis gestern bei mir empfangen habe, kann mir stets nur zur größten Ehre gereichen.«

»Ah, ah!« rief er mit überraschter Miene, »das ist sehr außergewöhnlich!«[458]

»Ihre spöttische Miene wird mich nicht daran hindern, die Wahrheit zu sprechen,« erwiderte sie; »ich hatte noch nicht vollständig mit ihm gebrochen und ich empfing ihn nur deshalb, um ihm zu sagen, dass ich ihn nie wiedersehen werde ...«

»Wobei Sie den ganzen Tag und die Nacht mit ihm zubrachten.«

»Ich widerlege Ihren Grund, so außergewöhnlich er auch sein mag, durchaus nicht; aber schließlich müssen Sie es mir doch zugestehen, dass es ein seltener Fall ist, wenn eine schöne Frau sich mit einem interessanten Manne vierundzwanzig Stunden lang einsperrt und dabei bloß die Absicht hat, sich mit ihm zu entzweien.«

»Aber, da eine so beispiellose Sache deshalb nicht weniger Sinn haben kann, nehme ich an, ich, der ich mich einzig und allein darum bemühe, Sie zu rechtfertigen, dass Zadis, als er von Ihnen die Entscheidung über sein Unglück erfuhr, gewiss aus Gram und Verzweiflung zu Ihren Füßen sterben zu müssen glaubte, und gerührt von seiner Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, in welche Ihre Unbeständigkeit ihn versetzte, haben[459] Sie ihn mit der ganzen Huld und Freundlichkeit, deren Sie fähig sind, getröstet, so gut, dass Ihre Besorgnisse um ihn gar nichts an der Treue, die Sie mir geschworen haben, verletzten, denn ein verzweifelter Mann ist wenig verständig; man hat so unendlich viele Mühe ihn zu einem vernünftigen Benehmen zu bringen, man muss eine Sache so oft sagen, wiedersagen und tausendmal umdrehen; Reue, Vorwürfe, Thränen, Zorn und Strenge anwenden; nichts raubt mehr Zeit.«

»Aber schließlich muss ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen, dass Sie das Mittel, welches Sie anwendeten, um Zadis zu trösten, nicht zu bereuen haben, denn er war heute ganz außergewöhnlich lustig.«

»Zadis lustig! Scheint Ihnen das passend? Wenn Sie die Wahrheit sagen, woran zu zweifeln ich mich wohl hüten werde ...«

»Entweder haben Ihre weisen Rathschläge so viel Herrschaft über ihn gehabt, oder liebte er Sie nur sehr wenig, um Sie so leicht, wie er es thut, zu vermissen. Wenn eines Ihrem Geiste große Ehre macht, so macht das andere Ihren Reizen deren[460] sehr wenig; aber ich will Sie damit nicht kränken, Sie wissen ja in solchen Dingen selber am besten, woran Sie sich zu halten haben. Auf jeden Fall sollten Sie es ihm dringlich empfehlen, betrübter zu erscheinen, wenigstens für so lange Zeit, als Sie benöthigen, um mich zu hintergehen.«

Bei diesem Gespräche wollte Zulika es versuchen, sich zu rechtfertigen, aber Mazulhim sprach, sie unterbrechend:

»Alles, was Sie mir da sagen, Madame, wäre unnütz. Ersparen Sie sich j-de Rechtfertigung, die ich von Ihnen durchaus nicht verlange und welche ich nicht erhalten will, da sie Ihnen sehr schwer fallen würde, ohne mich zu überzeugen.«

»Leben Sie wohl,« fügte er sich erhebend hinzu, »es ist spät; und wir sollten uns schon längst getrennt haben. Doch da fällt mir gerade noch ein, was werden Sie denn mit Nasses machen?«

Zulika erschien bei dieser Frage sehr erstaunt.

»Das, was ich Sie frage, ist sehr vernünftig. Sie sind nicht in gutem Einvernehmen mit ihm auseinander gegangen, und[461] es scheint mir, dass Sie in diesem Punkte nicht klug gehandelt haben.«

»Wenn Sie vernünftig sind, werden Sie ihn wiedersehen; glauben Sie mir und vermeiden jedes Aufsehen, es muss Ihnen ja nicht so schwer fallen, ihn zu behalten, wenn Sie ihn hassen, dass es Ihnen möglich war, ihn zu nehmen, ohne ihn zu lieben. Wenn Sie darauf beharren, ihn nicht mehr wiederzusehen, wird er vielleicht sprechen, und obzwar es gewiss nichts Natürlicheres gibt, als das, was Sie gethan haben, so werden sich doch genug schwarze Seelen, genug Ungerechte finden, um Ihnen Unrecht zu thun und um aus einer ganz alltäglichen Sache eine unerhörte, lächerliche zu machen. Im Grunde ist es ja nicht das, was man über Sie reden wird, was Sie beunruhigen muss; denn, wenn man einen gewissen Ruf hat und eines gewissen Standes ist, dann ist ja ein Geschäft mehr oder weniger nicht eine Sache, die man so genau zu nehmen braucht; aber man muss sorgfältig vermeiden, sich unnöthige Feinde zu machen.«

»Morgen werde ich ihn Ihnen selbst vorstellen.«[462]

»Ich!« rief sie aus, »ich soll ihn wiedersehen?«

»Aber gewiss,« antwortete er, indem er ihr die Hand bot, um herunter zu steigen, »Sie müssen sich so weit überwinden. Wenn Zadis zufällig genug unfreundlich wäre, unser Übereinkommen schlecht zu finden, so rechnen Sie auf mich; dann wird er entweder gezwungen sein, Sie zu verlassen, oder er muss sich schließlich daran gewöhnen, uns ruhig zuzusehen, wie Ihnen alle regelmäßig den Hof machen.«

Nachdem er diese Worte beendet hatte, bot er ihr noch einmal die Hand und sah, dass sie ihm dieselbe hartnäckig verweigerte. »Welches Elend,« sagte er ihr, indem er trotzdem ihre Hand ergriff. »Sie spielen das große Kind bis zum äußersten Punkte, der mir unerträglich ist.«

Dann gingen sie hinaus.

»Sie gingen fort?« rief der Sultan aus.

»Ach! das große Wort, das ist meiner Ansicht nach das beste aus Deiner Geschichte; und kamen sie nicht mehr wieder?«[463]

»Ich sah Zulika nicht mehr,« antwortete Amanzei, »aber ich sah Mazulhim noch lange.«

»Und immer,« sagte der Sultan, »so, Sie wissen schon wie?«

»Wahrhaftig, das war ein seltener Jüngling!«

»Welche Frau besaß er nach Zulika?« »Viele, welche nicht mehr wert waren, als sie, und einige, welche es sogar nicht einmal verdienten, ihn zu haben und deren Los ein sehr beklagenswertes war.«

»Aber da fällt mir gerade ein,« fragte Schach-Baham die Sultanin, »haben Sie es nicht gefunden, dass dieser Mazulhim Zulika sehr schlecht behandelte?«

»Ich finde sie so verächtlich,« erwiderte die Sultanin, »dass ich wollte, er hätte sie, wenn es möglich wäre, noch viel mehr bestraft.«

»Und mir, mir schien es,« erwiderte der Sultan, »dass sie viel zu sanft mit ihm umging; das ist nicht in der Natur der Frauen.«

»Und ich glaube das Gegentheil,« sagte die Sultanin, »eine solche Frau, wie Zulika,[464] hat keine Hilfsmittel gegen die Verachtung, und wie die Schmach ihrer Aufführung sie den grausamsten Beschimpfungen preisgibt, so lassen ihr die Niedrigkeit ihres Karakters und die innere Schande, die sie oft empfindet, nicht die Kraft, diese Beleidigungen zurückzustoßen. Wenn es übrigens wahr wäre, dass Amanzei die Demüthigung Zulika's übertrieben hatte, so bin ich weit entfernt davon, ihm darüber Vorwürfe zu machen, ich würde ihm sogar dafür großen Dank wissen.«

»Ach, ja,« erwiderte der Sultan, »das ist gewiss sehr nothwendig! Aber lassen wir das, der Streit vergrämt mich stets und ich zweifle nicht daran, dass ich mich ärgern würde, wenn wir noch länger so sprächen. Als sie Mazulhim verließen, wo gingen sie dann hin, Amanzei?«

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 439-465.
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