Vierzigstes Kapitel:

Wie die Allerschlauesten sich fangen lassen. Ankunft der Barbacela. Rückkehr nach Scheschian. Die Zwistigkeiten wegen des Schaumlöffels werden gütlich beigelegt. Ende der Geschichte

[223] Bei alledem ist es doch ein herrliches Ding um Bezauberungen! Daß die Prinzessin bei Schonkiljen nicht mit einem bloßen Traum davonkam, ist allgemein bekannt; nicht minder hat es seine Richtigkeit, daß Tanzai, der vom Zaubermittel der Zwickelbart nichts wußte, sich zu dem[223] Geständnisse gezwungen sah, sein Mißtrauen sei ungerecht gewesen. Auch hatte Neadarne, der nicht wenig daran gelegen war, ihn zu beruhigen, bevor sie die Insel verlassen, dreimal die geheimnisvollen Worte über sich ausgesprochen; während des ganzen Weges von der Insel nach der Tremissenstadt hatte sie dieselben wiederholt, und man kann sich leicht vorstellen, daß sie's in ihrer jetzigen Verfassung nicht unratsam hielt, sich ihrer abermals zu bedienen. Diese Zauberworte, die sie so oft wiederholt hatte, ohne sich vorzustellen, daß sie gewisse Folgen haben konnten, hatten sie dermaßen verstellt, daß wenig fehlte, so bedurfte sie wiederum des Genius. Tanzai, den so viele Hindernisse ungeduldig machten, strengte vergebens alle seine Kräfte an, sie zu überwinden; weder seine Zärtlichkeit noch sein Mut waren ihm dazu behilflich. Vor Freude und Liebe außer sich, rief er: Ah! Prinzessin, wie groß ist mein Unglück! wie groß ist aber auch Eure Tugend! – Wie, Prinz, sagte sie zu ihm, noch immer Beschwerden! Hättet Ihr's lieber gesehen, daß ich Euch außerstand gesetzt hätte, Beschwerden der Art zu führen? – Ach, weshalb, fragte Tanzai, der jetzt nichts als seine Leidenschaft empfand, weshalb habt Ihr Schonkiljen alles verweigert? Wo wollen wir jetzt Hilfe herschaffen? Ach, nach dem Traume, den Ihr mir eben vorgeworfen habt, hatte ich wenigstens nicht nötig, zu einer zweiten Reise meine Zuflucht zu nehmen. Werdet Ihr aber nicht dazu verurteilt werden müssen? Doch sagt mir, ich beschwöre Euch, was für ein Traum umgaukelte bei Schonkiljen Eure Phantasie? – O erlaubt mir, jeden Umstand davon zu vergessen, entgegnete Neadarne. Wiewohl Ihr jetzt völlig überzeugt seid, daß ich meine Treue nicht gebrochen habe, so besitzt Ihr doch zuviel Delikatesse, um eine so unangenehme Sache weitläufig erzählen zu hören; und ich liebe Euch zu inbrünstig, als daß mir Euer Verdruß hierüber nicht das Herz durchbohren wollte.[224] So vergeßt denn jene Unglücksinsel auf immer und habt die Güte, mich nie mehr daran zu erinnern. Übrigens seid wegen meiner Genesung unbekümmert. Die Zwickelbart hat heute ihre ganze Macht wieder erhalten und wird sich der Kukumer widersetzen, auch wird Barbacela, die Vielvermögende, uns ohne Zweifel beistehen. Laßt uns sonach jene Fee aufsuchen, fuhr sie fort, und beharrt nicht weiter darauf, mich entzaubern zu wollen; Eure Bemühungen sind doch vergeblich.

Tanzai, der halsstarrigste Prinz von der Welt, war nicht gleich dieser Meinung; da er aber bald darauf die Wahrheit von Neadarnens Rede erkannte, verließ er mit ihr das Zimmer, um die Zwickelbart und Scholuchern aufzusuchen. Es würde lange dauern, alles nachzuerzählen, was er bei der Gelegenheit der Prinzessin Zärtliches sagte. Man denke sich einen innigst verliebten und höchst eifersüchtigen Menschen, der alles zu befürchten hat, und der nun auf alle Art und Weise überführt worden ist, daß er der ihm drohenden Gefahr entronnen ist.

Nicht lange, so begegneten sie der Zwickelbart, die, nachlässig an ihren geistreichen Scholuchern gelehnt, aus dem Garten kam. Die Fee ward an Tanzais zufriedener Miene leicht gewahr, daß Neadarne in seinen Augen von allem Verdachte rein war, und während die Prinzen ihre Höflichkeiten gegeneinander erneuerten, sagte die Zwickelbart zu Neadarnen, die sie beiseite zog: Nun, wie ist die Erläuterung abgelaufen? – In der Beziehung habe ich weiter nichts zu wünschen übrig, versetzte die Prinzessin. Mein Gemahl würde sich für strafbar halten, einen Verdacht gegen mich zu hegen. Aber, liebe Zwickelbart, ich werde mich wegen dessen, was mit dem Genius vorgefallen ist, nie trösten und mir stets wegen des Kunstgriffs Vorwürfe machen, dessen ich mich gegen Tanzain bedient habe.

Ich begreife, antwortete die Fee, daß für eine so tugendhafte[225] und aufrichtige Person wie Ihr jene beiden Punkte der schmerzhafteste Streich sein müssen, der ihr begegnen kann; aber beides war notwendig; und so ängstigt Euch deshalb nicht weiter. – Ah! Zwickelbart, entgegnete sie, wie ist das wohl möglich? Schonkilje hat mir gedroht, die Gestalt meines Gemahls anzunehmen, wenn er willens wäre, mir einige Gunstbezeigungen zu rauben. Die Furcht, daß er seine Drohungen halten möchte, hat solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich sogar vor einem Augenblick zweifelte, ob er oder Tanzai es wäre, der eine Erklärung von mir verlangte. Werde ich immer in dieser Furcht schweben müssen, meine Liebe?

Wenn sich's nun auch ereignete, daß Schonkilje sich dieser List bediente, Euch zu sehen, versetzte die Fee, was würde Eure Tugend dabei verlieren? Zudem könnt Ihr doch nie etwas anderes als ihn im Verdacht haben. – Ist das nicht hinlänglich! rief Neadarne. Um der Götter willen, befreit mich von dieser Furcht. – Das kann ich nicht, antwortete die Zwickelbart. Eben ist der Genius aus dem Schlaf erwacht, den Ihr ihm verursacht habt, und hat, voller Verzweiflung über Eure Flucht, den Plan gemacht, Euch beständig zu lieben. Er tröstet sich über Euren Verlust nur durch die Gewißheit, die er hat, Euch wiederzusehen. Aber, fuhr sie fort, entdeckt dem Prinzen ja nicht die Besorgnisse, die Ihr wegen Schonkiljen habt. Argwöhnisch, wie er ist, würde er Euch unaufhörlich beobachten und Euch durch zu große Zärtlichkeit unglücklich machen. Ihr müßt gleichwohl Schonkiljen sehr hassen, daß die Vorstellung, mit ihm wieder zusammenzukommen, Euch so sehr folternd ist. In vergangener Nacht war er Euch weniger verhaßt. – Ich unterlag der Strenge meines Schicksals, erwiderte die Prinzessin, aber aus meinem immer treuen Herzen wich Tanzais Bild nicht auf einen Augenblick. – Hierauf ließe sich wohl etwas antworten, entgegnete die Zwickelbart;[226] allein eine längere Unterredung möchte Eurem Gemahl vielleicht Verdacht einflößen, und ich will den Prinzen Scholuchern wiedersehen.

Nach diesen Worten näherten sie sich den beiden Prinzen, die bereits die besten Freunde waren. Sie nahmen zusammen den Weg nach dem Palaste, wo sie logierten, als ein glänzender, von Schmetterlingen gezogener Wagen sich aus den Lüften neben ihnen niedersenkte. An dieser pompreichen Equipage erkannten sie die wohltätige Barbacela. Tanzai eilte ihr mit um so mehr Freude entgegen, als er mit ihrer Wiedererscheinung alle seine Unglücksfälle geendet glaubte.

Die Feebeschützerin umarmte die Zwickelbart und Scholuchern zärtlich und wünschte ihnen zu einer so lang erseufzten Wiedervereinigung Glück. Was Euch anlangt, Prinz, sagte sie zu Tanzai, so habt Ihr seit meiner Abwesenheit viel ausstehen müssen, und die Prinzessin ist nicht ohne Qualen gewesen. Endlich hat das Verhängnis, das durch Euren Ungehorsam entrüstet war, sich durch meine Bitten besänftigen lassen. Mit Vergnügen erblicke ich den bezauberten Schaumlöffel an Euch, und wenn Saugrenutio in das willigt, was man von Euch begehrt, so werdet Ihr, sicher vor den Verfolgungen der Kukumer, die glücklichsten Tage erleben.

Ich glaube kaum, versetzte Tanzai, daß Ihr ihn so weit durch Überredung bringt. Seine Halsstarrigkeit betreffs des Schaumlöffels läßt sich nicht besiegen. Vergebens hat sich der ganze Staat gegen ihn aufgemacht, nichts ist in der Lage gewesen, ihn zu überwinden. Ich habe ein untrügliches Mittel, ihn zum Gehorsam zu bringen. Doch kommt in diesen Wagen; wir werden uns sogleich in Scheschian befinden, wo Ihr der vollkommensten Ruhe genießen werdet. – Die beiden liebenden Paare gehorchten der Fee; und da der Flug des Wagens ihre Ungeduld unterstützte, erblickten[227] sie die Hauptstadt der Scheschianei in sehr kurzem wieder.

Die Freude des Cephaes, als er die beiden Vermählten wiedersah, läßt sich nicht beschreiben. Nach sehr vielen Liebkosungen und Fragen verlangte die Fee, daß Saugrenutio gerufen würde. Seit der Abwesenheit des Prinzen hatten die Sachen eine ganz andere Gestalt bekommen. Der Patriarch war gestorben. Der Oberpriester trachtete insgeheim nach dieser Würde. Da sie aber ganz vom Könige abhing, so hatte er wenig Aussicht, sie zu erhalten, wofern er nicht im Punkt des Schaumlöffels nachgiebiger würde. Ehrgeizig wie er war, schreckte ihn der Schaumlöffel schon weniger, da er einen so wichtigen Posten damit verknüpft sah. Ungeachtet seiner Empörung würde er jetzt keine Bedenken getragen haben, den Löffel zu lecken, wenn er von gewöhnlicher Dicke gewesen wäre; aber zu der Schande, einen Widerruf zu tun, gesellte sich noch der Schmerz, den ihm dies ganz unstreitig verursachen mußte, und zugleich die Vorstellung, daß ihm sein Mund und seine Zähne dadurch ganz zugrunde gerichtet werden würden. Diese beiden Beweggründe waren es lediglich, die ihn abhielten, Gehorsam zu leisten.

Der König, dem nichts mehr am Herzen lag als die Wohlfahrt seines Sohnes, willigte ein, Saugrenutio zum Patriarchen zu ernennen, wenn er sich zu seiner Pflicht bequemte. Ein geschickter Unterhändler des Cephaes hatte dem Oberpriester verdeckt Anträge getan, und Saugrenutio stand eben mit ihm in Unterhaltung, als die Fee kam. Er nahm es für kein übles Zeichen auf, daß er zu ihr gefordert wurde. Das Gerücht war schon lange gegangen, daß diese Fee ihn geliebt habe; und die Sache mag nun wahr sein oder nicht, soviel ist gewiß, daß sie für ihn stets jene Art von Achtung hatte, die man für Personen beibehält, mit denen man auf freundschaftlichem Fuß gelebt hat. Man[228] war daher ganz über die Maßen erstaunt gewesen, als man vernommen, diese Fee habe ihn zum Lecken des Schaumlöffels bestimmt, und maß diesen üblen Streich, den sie ihm spielte, irgendeinem geheimen Unwillen bei, der sie gegen ihn beseelte. Gleichwohl mißfiel Saugrenutio die Ankunft der Barbacela nicht, und er stellte sich sogleich nach erhaltenem Befehle ein.

Tretet näher, sagte Barbacela zum Priester. Ich weiß, was für Gründe Euch abhalten, Eurem Könige zu gehorchen und auf Euer wahres Interesse Rücksicht zu nehmen. Ich kann Euch zugunsten das Hindernis heben, das Euch so furchtbar ist. Die Dicke dieses Schaumlöffels schreckt Euch ab. Seid ganz getrost. Auf mein Feenwort, dieser Löffel soll nichts Widriges, Empörendes mehr für Euch haben. Zur Belohnung Eures Gehorsams habe ich vom Könige ausgewirkt, daß er Euch zum Patriarchen ernennen will. Seid Ihr mit meinem Vorschlag zufrieden?

Ich bin's, sagte Saugrenutio, und will morgen im Beisein des Adels und der Geistlichkeit den Löffel lecken, weil es denn einmal nicht anders geht. Der Prinz machte ihm hierüber ein sehr höfliches Kompliment, und der König ernannte ihn auf der Stelle zum Patriarchen der großen Scheschianei. Jedermann schien mit dieser Aussöhnung zufrieden. Die Priester allein beschuldigten Saugrenutio der Niederträchtigkeit und hegten nur Verachtung gegen einen Menschen, der, wie sie sagten, die Ehre der Religion verkaufe; da es doch keinen unter ihnen gab, der nicht um niederen Preis weit mehr verkauft haben würde.

Tanzai, der vor Ungeduld kochte, im völligen Besitz von Neadarne zu sein, fragte den Oberpriester, ob er nicht auf der Stelle den Schaumlöffel lecken könnte. Dieser ließ es sich gefallen. Allein die Fee versicherte ihm, es käme viel darauf an, daß diese Zeremonie öffentlich geschähe. Der Prinz sah sich abermals genötigt zu warten und brachte[229] auf Anraten der Barbacela die Nacht von der Prinzessin entfernt zu. Die Zwickelbart leistete letzterer Gesellschaft und Scholuchern ersterem. Neadarne entdeckte der Zwickelbart, daß sie die Zauberworte zu oft wiederholt zu haben glaubte, und die großmütige Fee gab dem Dinge, man weiß nicht wie, abhelfliche Maße.

Endlich brach der so heiß ersehnte Tag an. Der König, die Fee und die beiden Paare begaben sich frühzeitig nach dem Tempel. Hier leckte Saugrenutio, mit dem Schmuck seiner neuen Würde angetan, im Beisein des Adels und der Priester den Löffel mit übernatürlicher Grazie. Im Grunde der Seele war er entrüstet, daß er sich so weit herabwürdigen mußte; um sich darüber zu trösten, verordnete er in dem ersten Dekret, das er ergehen ließ, daß künftig kein Priester sollte aufgenommen werden, wenn er nicht zuvor den Schaumlöffel geleckt haben würde. Daß dies Dekret nicht ohne Debatten durchging, kann man sich leicht vorstellen; und es blieb zu allen Zeiten eine Quelle der Zwietracht für die Scheschianei.

Nachdem diese erhabene Zeremonie beendet war, kehrte man in den Palast zurück. Barbacela versicherte die beiden Neuvermählten ihres beständigen Schutzes und der Ohnmacht der Kukumer, sie ferner zu quälen, worauf sie nach der Insel Tändelholm zurückkehrte. Tanzai war nun auf dem Gipfel seiner Wünsche; und da er ebensosehr geliebt wurde, als er liebte, erinnerte er sich nicht mehr der Besorgnisse, die Schonkilje in ihm erregt hatte; die zärtliche Neadarne verlor in den Armen ihres Gemahls das Andenken an die Kukumer und vielleicht auch an den Genius. Die Zwickelbart und Scholuchern, nachdem sie eine Zeitlang in Scheschian geblieben waren, um Tanzais Freuden zu teilen, kehrten zur Barbacela zurück, zuvor aber hatten sie den beiden Vermählten versprochen, sie oft zu besuchen. Cephaes, müde, länger zu regieren, trat seinen Thron Tanzai[230] ab, der, immer noch verliebt, sich so viele Erben als möglich verschaffte. Neadarne sagte nicht, ob sie Schonkilje wiedersah; und das Glück des königlichen Paares war so groß, daß sogar die Kukumer seine Freundin ward. Hier muß ich aus Mangel archivalischer Nachrichten die außerordentlichste Geschichte beenden, die man vielleicht jemals zu schreiben sich hat einfallen lassen.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 223-231.
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