[Ein Stier mit einem Silberhorn]

[66] Ein Stier mit einem Silberhorn

Trägt die Nacht aus Nebelfugen,

Durch Wolkenritzen windverworren

Siehst Du kaum die Sterne lugen.


In schwüle Dünste eingehüllt

Schwärmen düstre Mondlichtseelen,

Der Wölfe Troß, der oben brüllt,

Klefft den Wind aus Silberkehlen.


Die Thiere, noch ganz ungezähmt,

Bleiben rudelweise stocken,

Die Hexen humpeln halbgelähmt,

Viele wollen plötzlich bocken.


Am Hexenbuckel huckepack

Mit weitausgespreizten Beinen

Hockt oft ein Zwerg als plumper Sack,

Gnomen reiten selbst auf Schweinen.


Was hackt sich dort die Flügel aus?

Ach, das sind die Mondlichteulen,

Sie wirbeln rings in wildem Braus,

Oben muß die Bora heulen.
[66]

Der Wind verrammelt rasch die Thür

Großer, voller Wolkenberge,

Im Innern aber wühlt dafür

Eine Schaar geringer Zwerge.


Ein Schneegebirg, ein Slavenschloß

Scheint der wilde Sturm zu tragen;

Den Ritt auf tollem Nebelroß

Will ein dünner Lichtprinz wagen.


Schon sprengt er vor, er wagt den Sprung

Hin zur Burg der Silbersale,

Es wohnt da drin in großem Prunk

Eine bleiche Fabelseele.


Wie traumverloren sitzt sie dort,

Spinnt an ihrem Silberrocken,

Die Spindel webt in einemfort

Und verstreut die Mondlichtflocken.


Ich blicke lange dort hinein,

Schön sind diese Wolkenhallen,

Bis Nebel um den Sonnenschrein

Stummer Mondnachtmärchen wallen.


Vom Lido hörst Du Prall auf Prall

Wogenbogen wild zersplittern,

Daß Gischt und Schaum beim Wellenfall

Silberblitze grell durchzittern.


Es scheint hier manches Marmorhaus

Blendendweiß und schroff gezimmert,

Besonders wenns der Wogenbraus

Silberkalt und bleich umschimmert.
[67]

Das wurde einst aus Griechenland

Hergefloßt in gleichem Strome,

Der wogte es von Hand zu Hand

Und verklärte es zum Dome.


Jetzt scheint mir, daß ein Silberwurm,

Dort im Meer, ein großer Drache,

Im Mondlichtpanzer nun den Thurm

Des Sankt Georg still bewache!


Auch steigt ein dichter Silberrausch

Aus dem weichen Wogenpfühle

Und schnellt sich rasch als Lebenshauch

In die nächtlichscharfe Kühle.


Es gab so einer Schaumgestalt,

Kaum erwacht in Mondlichtfrieden,

Der Griechengeist einst Formgehalt,

Denn das sind Okeaniden.


Hoch oben, von der Nacht verscheucht,

Fliehen Mondlichtsilberfalter,

Ein Hexenschwarm, der weiterkeucht,

Schleppt sich fort, trotz Sturm und Alter.


So manche Wetterhexe wirft

Blicke aus der Nebelkappe

Und schärft sie, da sie vorwärts schlürft,

Daß sie besser weitertappe.


Am Meeresstrande aber wohnt

Manche Nymphe schmuck und schnippe,

In Silberspiegel wirft der Mond

Frische Jugendkraft der Sippe.
[68]

Es schleppt sich nun ein Rittertroß

Schwer heran auf Zottelkleppern,

Gar müde sind schon Mann und Roß,

Wenn sie sich zusammenläppern.


Bis übers Knie sinkt jeder ein,

Weich und schlüpfrig sind die Dünen,

Doch traben sie im Mondenschein

Als verwegene Nebelhünen.


Sie reiten mühsam bis zum Meer,

Ohne alle Sturmnachtrufe,

Und sie verlieren ringsumher

Aus den Dünen Silberhufe.


Es schlottert alles schon vom Leib

Dieser müden Nebelschaaren,

Im Meere grinst ein Hexenweib

Mit verwirrten Mondlichthaaren.


Im Dunst erstickte fast der Wind,

Und es rieselt schon der Regen,

Durch Wolken guckt der Mond geschwind,

Da sich Schleier um ihn legen.


Doch wie der Dunst sich kaum verzieht,

So entsteht ein Mondlichtleben,

Denn wo er sich in Tümpeln sieht,

Bleiben bleiche Krabben kleben.


Die sind des Mondes Wirbelbild,

Sinds im krausen Wellenspiegel,

Dem allerhand Gethier entquillt;

Und am Ufer liegen Igel.
[69]

Fern im Schlamme siehst Du noch

Reiter sich und Rosse wälzen,

Die meisten stürzten in ein Loch,

Sieben schleppen sich auf Stelzen.


Ein Panzerschiff im Hafen scheint

Fast ein Wallfisch aus dem Norden,

Ein Unhold, der den Tag verneint,

Stets bereit, das Volk zu morden.


Venedig, bist Du endlich frei?

Eine Albkraft will mich würgen,

Die Panzerfaust, so schwer wie Blei,

Muß den Druck auf Dich verbürgen!
[70]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 66-71.
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Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
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