Lord Murray und Lady Anne

[391] 1.

Die Sonne sank auf Teviottal, rot schimmerten Berg und Heide,

Lord Murray und sein jung Gemahl, die saßen im Erker beide.

»Lady Anne, du bist so rein, so hold, bist ohne Falsch und Fehle,

Mein Haar ist weiß, dein Haar ist Gold, doch mein ist deine Seele;

Du bist ein liebes, treues Weib, fremd eitler, böser Begierde,

Klar ist dein Herz und süß dein Leib, du bist Lord Murrays Zierde!«


Und er zog an sich das junge Weib: da lächelt ihr Auge, das klare,

Sein Arm umspannt ihren schlanken Leib, sie streicht seine weißen Haare.

Er küßt ihren Mund, ihre Wangen heiß, er zieht, ihren Hals zu küssen,

Herab den Kragen seidenweiß: – da hat sie erröten müssen,

Das rote Blut in die Wangen ihr schoß, ihre bleichen Lippen beben:

»Was trägst du im Busen in goldnem Schloß? Ich habe dir's nicht gegeben!

Was trägst du am Herzen, an seidnem Band, was bist du so hart erschrocken?

Die Kapsel springt: – ein Liebespfand! Weib, wes sind die schwarzen Locken?«[391]

– »Mein Vater, Lord Leicester in Derbyshire, hat mir die Locke gegeben« –

»Dein Vater hat weißes Haar gleich mir, so lang du bist am Leben,«

– »Lord Murray – o preßt nicht die Lippen zu – 's ist von meiner Mutter Haaren.« –

»Lady Anne, deine Mutter war blond wie du: – das Lügen solltest du sparen.

Dein süß, falsch Blut, ich schwör' es dir, ich will es nicht verderben:

Wenn du deinen Buhlen nennest mir: denn der, bei Gott! muß sterben.« –


– »Ja, das Haar ist von Vater und Mutter nicht, Lord Murray, ich will nicht lügen:

Doch den Namen, den Namen nenn' ich nicht, ob mich alle Heiligen frügen.« –

– »Drei Tage gönn' ich dir auf Kerkerstroh: dann stirbst du, oder wirst ihn sagen,

Ich aber, – ich werde nie wieder froh in allen meinen Tagen!«


2.

Zweimal kam Mond und Sonnenschein; öd' war und einsam der Erker,

Lord Murray saß im Gemach allein, Lady Anne, die lag im Kerker.

Lord Murray saß im Gemach allein, die Hand vor die Augen gepresset;

Childe Arthur bracht' ihm den Abendwein: »Mylord, nun trinkt und esset;

Was immer Euch traf, – laßt's vergangen sein, verspült's im süßen Weine!

Was sitzt Ihr mit Eurem Gram allein? Wo ist unsre Lady, die reine?« –[392]

Auf stand Lord Murray, der alte Mann, naß waren und rot seine Augen:

»Childe Arthur, mein Page, was siehst du mich an? Mir kann dein Wein nicht taugen.«


– »Soll ich rüsten gehn Euer Federspiel? Oder wollt Ihr den Damhirsch hetzen?

Wollt Ihr mit der Lady auf leichtem Kiel in den Fluß mit Angel und Netzen?«


– »Meinen Falken sollst du rüsten nicht, ich will nicht fischen und jagen:

Denn meinem Weib am nächsten Morgenlicht muß ich das Haupt abschlagen.«


Childe Arthur tat einen Schmerzruf jäh, den Becher stürzt er zur Erde,

Und er fiel in den Schoß dem Lord Murray und Entsetzen war seine Gebärde.


»Childe Arthur, mein guter Page bist du, ich habe dich lieb wie keinen!

Du allein sollst's wissen: nun hör' mir zu: – dann wollen wir beide weinen.


Lady Anne, die ist ein falsches Weib, trotz ihren Augen, den klaren:

Von einem Buhlen auf ihrem Leib tut sie schwarze Locken bewahren!«


Auf raffte sich da der Page schnell und wollte zur Türe fahren,

Lord Murray rief: »Was hast du Gesell?« und haschte ihn an den Haaren,


Und sein Auge fiel auf sein dunkles Haar: – da ward er zum Tod erschrocken.

Und er griff an den Dolch und er schrie: »Fürwahr, das sind die schwarzen Locken!
[393]

Sie brachte dich mit von Derbyshire: o Gott, nun muß ich's gedenken!

Du warst wie mein eigner Bruder mir und konntest so hart mich kränken?

Ich hab' dir gepfleget Seel' und Leib, hab' dich wie mein Kind gehalten,

Und du, du hast geküßt mein Weib, und verhöhnt hast du den Alten!

Childe Arthur, nun sprich dein Abendgebet deiner armen Seele wegen:

Doch bete fromm, sonst ist's zu spät: – nie mehr sprichst du den Morgensegen.«

Und er warf auf den Marbeltisch den Stahl, das goldne Schloß daneben: –

Die Sonne schien blutig in den Saal durch die grünen Efeureben.

»Lord Murray, nun hört mich in Geduld: drei Worte will ich Euch sagen!

Euer Weib ist rein und ohne Schuld wie der Tau an Maientagen:

Lady Anne ist mein Buhle nicht, sie ist meine liebe Schwester.«

– »Das lügst du mir, Knabe, ins Angesicht, keinen Sohn hatte Lord Leicester.«

»Meine Mutter, vergib mir in deiner Gruft: – deine Ehre um die der Schwester! –

Sie atmet noch in der blauen Luft, und du liegst tot, Lady Leicester. –

Wißt – Lord Leicester lag lang im Todesschlaf, seine Witwe hatte vergessen: –

Da hat ihr Herz ein welscher Graf in wilder Liebe besessen.

Es steht ihrer Sünde Sohn vor dir: hier ist ihr Siegel und Wappen.

Sie zog mich auf in Derbyshire als ihren Falkenknappen.[394]

Und sie hat die alte Schuld vertraut im Tod ihren Kindern beiden.

Da ward meine Schwester deine Braut: ich konnte nicht von ihr scheiden!

Und weil sich Schwester und Bruder nicht frei kosen durften und küssen,

Hat sie ihre Liebe vor deinem Gesicht im Herzen verbergen müssen.« –

Da ward Lord Murray ein froher Mann, er küßte ihm Augen und Wangen: –

»Nun ist mir, als ob im grünen Tann zwölf Nachtigallen sangen.«

Und er flog hinunter durch Söller und Gang, auf sprangen Riegel und Kerker,

Lady Anne er auf seine Arme schwang und trug sie hinauf zum Erker.

– »Ich bin Childe Arthurs Buhle nicht, ich schwör's bei meiner Seele!«

»Nein, du bist rein wie Morgenlicht, bist ohne Falsch und Fehle.«

Da ging ein wunderschöner Strahl über ihr Gesicht, das bleiche:

Ihren süßen Mund küßt' ihr Gemahl, der Bruder die Hand, die weiche.

»Doch was tatst du nicht meinem bösen Wahn mit drei kleinen Worten wehren?«

– »Lord Murray, das wäre nicht wohl getan: denn die Mutter muß man ehren.« –

»Du bist in England das beste Kind und das reinste aller Weiber!

Childe Arthur, mein Page, nun auf geschwind, nun rüste mir Jäger und Treiber,

Mein Federspiel nun rüste mir zu: zur Jagd wird morgen geritten:

Ich reite rechts, links reitest du, Lady Anne in unsrer Mitten.«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 391-395.
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