Totenrache

[19] Eine sehr betrübende Geschichte.


Durch die schlafende Lagune

seufzend zieht der lange Kahn

seine Bahn,

einsam zieht er durch der dunkeln

langen Wellen glattes Funkeln

wie ein großer schwarzer Schwan ...


Nun im Zelt der Barke flüsternd

regt sich eines Mundes Glut,

und die Flut

ebnet sich in weiten Kreisen:

heißer wird der Strom der leisen

Laute, – still! das Ruder ruht.
[19]

»Donna Anna, Deine Schwüre

sind viel dunkler als die Nacht!

Stolz verlacht

hab' ich all die Lästerzungen,

aber – wenn sie wahr gesungen:

hüte dich! mein Auge wacht!«


»Liebster, willst du mich betrüben?!

fühlst du nicht, daß nie von Lust

je gewußt

meine Küsse, bis sie Deinen

bang und süß sich durften einen?«

und sie sinkt ihm an die Brust.


»Schwöre –« will er prüfend wehren,

aber an ihm liegt sie dicht:

»Fühlst es nicht?

wie der Vogel in die Weiten,

sehn' ich mich nach Seligkeiten!«

hebt sie schmachtend ihr Gesicht.


Und er sieht und fühlt bezwungen

ihres Leibes weiche Pracht,

warme Macht;

seine jungen Wangen blühen,

rötlich schwankt der Ampel Glühen,

Küsse stöhnen durch die Nacht.


Und den Mund umzuckt von Schlangen

sieht sie, wie er trunken ist,

sich vergißt, –

doch ihr Spott ist kaum verflogen:

wütend über sie gebogen

fühlt er ihrer Seele List, –
[20]

und ein Ringen – und ein Keuchen, –

»Gott, Erbarmen –« stickt ein Schrei

dumpf entzwei, –

hohl ein Brodeln im Canale, –

stille wird's mit Einem Male, – –

fern vom Turme schüttert's: Drei ...


Wochen fliehen, – wachend, träumend

sehnt er sich nach ihrem Mund

müd und wund;

immer um die dritte Stunde

macht er nächtlich dort die Runde,

starrt er in den blauen Schlund.


In der dunklen Wasserschale

sieht er ruhn den bleichen Mond,

ruhn den Mond,

hört er seufzen die versunknen

bleichen Lippen und die trunknen

Küsse, die er so belohnt –!


und ihn lockt ein banges Rühren,

und von tiefer banger Macht

süß und sacht

fühlt er sich hinabgebogen,

sinkt er in die warmen Wogen,

schließt sich über ihm die Nacht ...


Auf der schlafenden Lagune

wie ein großer schwarzer Schwan

irrt ein Kahn;

wo die Uferwellen glimmen,

sieht man früh ein Ruder schwimmen

auf der leeren Wasserbahn.

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 19-21.
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