Es werde!

[93] O meine bleiche Braut! du blasse Wolke

im Arm des Sturms! du zuckend Haupt,

an meine Brust geneigt aus deinen Schleiern!

erbleichst, erbebst du mir –?

O nun erglühst du, heimlich glimmend Auge,

du tau gefüllter Kelch der schwanken Lilie,

und heißer küss' ich dich – wir sind allein!

Allein –! in rosige Dämmrung taucht

die Ampel sacht das schattige Gemach

und Dich, du weiße Taube, – flüchte nicht:

dem keuschen Himmel selbst verwehr' ich nun

dich anzulauschen! sieh: der Vorhang rollt,

und jeden Spalt verhüll' ich faltenschwer,

daß nicht die Nacht die schwärzlich blauende

erröte, muß sie deine Schönheit schaun,

daß nicht der Sterne reines Silberlicht

sich neidisch trübe, sehn sie Deine Reinheit! –

Thu ab die Myrtenkrone, den Gürtel nun:

du bist allein! die jungen Rosen nur

um dein verschwiegen Pfühl, die schlummernden,[93]

duftselige Träume spinnen

von purpurner Entfaltung scheuer Knospen,

die Rosen nur – – und ich!

Und wie in Träumen taumelnd, düfteleicht,

versunknen Blicks auf weichen Lüften schweb' ich

und winke, winke dir:

es stürzen und schwinden

tiefer und tiefer die irdischen Dunstgewande,

auf seidnen Wogen treibst du her zu mir,

und Schooß an Schooß gespült von strömenden Schauern

von goldnen Dunkelheiten sanft umschäumt,

wiegen wir uns auf tastenden Schwingen

bang umwunden hinüber

in die Gärten der Ewigkeit: –

Keime der Sehnsucht sprießen da,

blühende Ranken holder Erfüllung flechten

da zusammen die einsam pulsenden Seelen,

Puls in Puls zu Flammengarben fluten

glutvermählt die lohenden Wünsche,

und im weherlösten, schwellenden Busen schmilzt

die starre Furcht vor Tod und Unendlichkeit: –

grauenlos im Grauen hangen

ganz erloschnen Dranges alle Sinne,

still verblutet in seligen Thränen der Wille,

dürstend umsaust ihn der Odem der Allmacht,

und den welt umfangenden Fittig senkt die Inbrunst,

auszuruhn vom Fluge am Herzen Gottes,

und in matter Hand

beut sie die funkelnden Tropfen

Seinem befruchtenden Hauche dar: ich fühle –

fühlst du? Geliebte – rinnen die Quellen des Lebens –

Mund an Mund Ihm – trinke – trink' ich –

trunken

stamml' ich nach das Schöpferwort.

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 93-94.
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