2. Ende der Rose

[55] Es prangt die Rose in stolzer Pracht

und freut sich ihrer Glut und lacht:

Ich hab' die tiefduftigste Seele, ich!

ich bin die Königin sicherlich

von meinen Blumenschwestern.


Ein schimmernder Käfer zur Rose schwirrt;

von Lust, von Liebe er surrt und girrt

der schönen Stolzen, der Alles lauscht

mit jedem Sinn, wenn der Dufthauch rauscht

aus ihrem Feuerkelche.


Und sie neigt sich dem Käfer in kühler Gunst:

Ich kann nicht lieben mit irdischer Brunst,

ich glühe allein dem Sonnenschein,

der das All durchwogt, ins Herz hinein

mir seine Flammen zu gießen!


Und als der dritte Abend nah

und der Goldkäfer wieder zur Rose sah,

von Furcht und Hoffnung still entfacht:

da war die stolze Blütenpracht

verwelkt im Strahl der Sonne.

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 55-56.
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