21.

[201] Und Kerzen wehn noch in den hellen Tag;

entzückte Lippen glühn, verschämte Wangen.

Geburtstagsblumensträuße prangen.

Das Kind hat seinen Glückwunsch aufgesagt;

nun darf's mit Gärtnersmann und Magd

und mit dem riesigen Rosinenkuchen

wohlgemut das Weite suchen.

Und während draußen Tanz und Trubel lacht,

nimmt zart der Mann des Weibes Blick gefangen:


Komm, Seele – weißt du noch? heut jährt sich's grad,

als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat

und deinen Blick empfing, der Ketten sprengte.
[202]

Und nun, in diesem freien Turmgemach,

an diesem lichterloh gekrönten Tag,

der dir und mir dein Leben schenkte,

der jedes Wort belebt zum Dankausruf,

daß uns die Welt zu denkenden Wesen schuf,

daß wir uns nicht mehr dumpf im Urnebel drehn,

daß wir zu weinen und zu lachen verstehn,

nicht mehr in Sümpfen uns ungetümlich plagend,

nicht mehr wie Brüllaffen mondsüchtig klagend,

auch nicht mehr wie solch Kindlein handelnd,

das sich, von jeder Laune betört,

sein eignes Himmelreich verstört –

wir, Adam und Eva, gen Eden wandelnd: –

Komm –: Siehst du dort den Schieferberg im Tann?

da ließ dein Ururahn sechs Knechte henken!

Willst du mir diesen kahlen Berg heut schenken,

der hundert freie Menschen nähren kann,

wenn wir sie mitmenschlich zum Werk anlenken?!


Sie blickt den Berg, sie blickt den Himmel an:

er scheint sich in ein Zukunftsland zu senken.

Sie blickt zu Tal, wie übermannt vom Denken –


sie lacht: hab Dank, mein Herr und Lehensmann!


Und talher prangt voll Sonnengold der Fluß.

Zwei Menschen tauschen einen Festtagskuß.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 201-203.
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