12.

[31] Kälte glänzt auf den Feldern.

Arm in Arm, Hand in Hand

sehen zwei Menschen aus fernen Wäldern

über das starrgefrorne Land

die Sonne steigen.

Ein Mann bricht das Schweigen:


Und wärst du arm wie jetzt die nackte Natur,

und wär ich jeder andern Empfindung bar

und spürte nur

den rauhen Maiduft aus deinem Haar,

der wie das Moos- und Kienharz-Schwelicht

meiner Heimatwälder mich beseligt,[32]

es wär mir Inhalt genug vom Leben:

du hast mir den ewigen Frühling gegeben.

Du bist mir blutlieb! – blick nicht so kalt

auf deinen Fuß, der meinem gleicht!

Was tust du stolz, wenn mit Gewalt

meine Seele sich deiner neigt?!

Komm, sei mein Leichtfuß! komm dort auf den Hügel,

wo die zwei Rehe im Sonnenglanz ruhn;

ich geh in deinen, du gehst in meinen Schuhn,

und wenn wir wollen, haben wir Flügel!


Das Weib blickt nach den scheuen Tieren.

Dann weicht ein starrer Zug von ihren

Lippen, als gebe sie etwas preis:


Ja? tu ich kalt? – Ja: kalt wie Eis,

eh's sacht zerschmilzt in warmer Menschenhand,

daß sie heiß wird wie Feuerbrand!

Ja –: Kalt oder heiß! nur nit lau!

schwarz oder weiß! nur nit grau!

das ist der Wahlspruch einer »armen« Frau.


Sie lacht; es klingt ihm hell wie Scherz

und grell wie Schmerz im Sonnenscheine.

Sie legt die Hand, groß wie die seine,

aus seinem Arm fest auf ihr Herz.

Zwei Menschen kämen gern ins Reine.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 31-33.
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