Auf den Oberdruiden an der Rur[168] 1

Gerne schwindet Sined

In des Mondes kühlen Wandelstunden

Aus dem lauten Kreise seiner Freunde weg;

Nur gefolgt von seinen Liedern

Sucht er stille Lindenwipfel2,

Unter welchen seine Seele

Mit entferneten Geliebten

Sich bis hin zur Mitternacht ergeht.

Da lächelt oft vom Ufer, wo die Rur

Sich in die Maas verströmt, ein hohes Bild

Im Oberpriesterschmucke sanft auf ihn;

Da kehren Tage, die zur Ewigkeit

Hinüber sind, vor seinen Geist zurück.

Sein Busen schwillt empor. Er wendet sich

Nach seinen Liedern um, und spricht entzückt:
[169]

Dort, Kinder meines Herzens! dort seht ihr ihn

Den ehrenvollen Bardenbegünstiger,

Durch den ihr seyd, auf dessen Zuspruch

Zögernden Lippen ihr euch entrisset,


Dem Veilchen ähnlich, welches in Erde schlief,

Und jetzt den Ruf des Flurenermunterers

Des Lenzes höret, und den blauen

Busen der suchenden Jugend aufthut.


Hier unter diesen Linden erging er sich

In Mitte seiner Sorgen. Ein wichtiges

Geschäft zum Wohl der Folgezeiten

Hatte die Fürstin ihm aufgeladen,


Die Zucht der Heldenkinder. Noch war't ihr nicht,

Noch scholl im Opferkreise der feiernden

Druiden nicht, und nicht im Mahle

Spiegelnder Helme der Name Sined.


Da sah er mir ins Auge. Dein Blick verräth

In deinem Busen lodernde Bardenglut.

So sprach er: Weile nicht in helle

Flammen die lodernde Glut zu fachen.
[170]

Ein Loos von oben war mir des Weisen Rath.

Ich thats. Ihr wurdet, Lieder! da gaben mir

Die Barden Eichenkranz, und Rhingulph

Namen3, und Ehre mein Volk, und Beyfall.


Und er der Weise freute der Wege sich,

Die Sined ging zum Ruhme. Durch ihn erschwang

Sich mein Gesang und meiner Harfe

Lispel zu Menschengebieterohren4.


Und nun geneußt er seiner Verdienste Lohn

In jenen Fernen; aber er freut sich noch

Der Wege Sineds, liebt euch, Lieder!

Wenn ihr sein hohes Gewölb' besuchet.


Ha! sind auch deiner Liebe, mein Vaterland!

Die Lieder würdig, welche dir Sined singt,

O so vergiß es nie: die Lieder

Bist du dem Oberdruiden schuldig.
[171]

Vermöchten meine Saiten ein Denkmaal ihm

Zu stiften, welches Zeiten besiegete,

Mit ihrem grossen, hellen Auge5

Sähe die Mitternacht jetzt es werden.


Die Dankbarkeit ist frommer Barden Pflicht;

Zum Harfenspiele, das sie nicht bewohnt,

Gab ein vom Blitz entflammter Baum das Holz,

Die Saiten ein vom Wolf' erwürgtes Lamm.

Fußnoten

1 Heinrich Joh. von Kerens, Bischoff von St. Pölten, Vorsteher des k.k. Theresianums.


2 Ein Schattengang im Garten des Theresianums.


3 Rhingulph war der erste, der dem Barden den Namen Sined beilegt.


4 Er empfahl unsern Dichter der Monarchin.


5 Dem Monde.


Quelle:
Michael Denis: Auserlesene Gedichte, Passau 1824, S. 168-172.
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