2.

[172] Es stürmt, es stürmt! Hinan den Felsensteig,

Blick in die Nacht, du Lästerer, und neige

Zur Erde dich, vor Freud' und Schrecken bleich, –

Das ist das Meer! Nun sieh und beb' und schweige!


Wie weit wirft es die Wellen-Kronen fort,

Wie rüttelt's an der morschen Felsenkammer!

Es ächzt das Schifflein selbst im sichren Port

Und hält sich fester an des Ankers Klammer.


Ist's eine Woge, die gen Himmel rennt,

Ist's eine Wolke, die zum Meere regnet?

Du weißt es nicht; es haben ungetrennt

Sich Meer und Himmel brüderlich begegnet.


Zermalmt es nicht, entfesselt' Riesenpaar,

Das Kindlein, das in Euren Armen zittert,

Laßt stehn die Hütten, die so manches Jahr

In Eurem Grimme furchtsam sind verwittert!


Der Leuchtturm schwankt, die Glocke dröhnt im Turm,

Die Insel schüttert, – Herr, es geht zu Ende!

Sieh her, mein Volk, das ist Dein Meer im Sturm,

Nun hebe betend die gebundnen Hände!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 172-173.
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