4.

[161] Die Straßen ab und auf die Straßen

Geht der Soldaten-Zapfenstreich,

Die Trommel rasselt, Hörner blasen:

Wie lau die Nacht, wie warm, wie weich!

Horch! Höher schwillt der Töne Wogen,

Gewiegt auf linder Weste Schwing',

Und majestätisch lang-gezogen

Steigts auf zum dunklen Himmelsbogen:

God save the king!


Dort sitzt er, dem die Töne rufen,

Beim Mahl im marmornen Palast,

Es hat des Thrones hohe Stufen

Die Schar der Großen eingefaßt;

Wer zählt, wie oft im Speisesaale

Der Becher schon die Runde ging,

Indes der Chor an dem Portale

Vergeblich rief so viele Male:

God save the king!


Und als ein Ton hinaufgeklungen

Zum Platz, wo er gesessen war,

Da hat er hoch sein Glas geschwungen

Und ausgerufen trotzig-klar:

Da habt Ihr meines Satzes Probe:[162]

Ein deutsches Volk ein gutes Ding;

Am Morgen Aufruhr und Getobe,

Und abends, mir und ihm zum Lobe,

God save the king!


Er sprach's und lachte, daß es dröhnte

Und schüttelte den weißen Bart,

Das Heer der Schranzen lacht' und höhnte

Dem Herren nach, wie Schranzen Art;

Doch draußen schwiegen just die Klänge,

Sobald er an zu reden fing,

Lautlos verlief sich das Gedränge,

Und keiner sang mehr aus der Menge:

God save the king!


Da schauerte ein plötzlich Schweigen

Und Totenstille durch den Saal,

Ein kahles Haupt sah man sich neigen,

Und manche Wange wurde fahl.

Der blinde Knabe nur im Kreise,

In dessen Aug' ein Tropfen hing,

Stand auf und schritt zum Fenster leise

Und flisterte für sich die Weise:

God save the king!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 161-163.
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