III.

[143] Aber diesmal fand ich ihn zu meiner Verwunderung ganz verändert vor. Er eilte mir allerdings, sowie ich eintrat, mit einem gewissen Eifer entgegen und begann, mir zuzuhören; aber er hörte mit so zerstreuter Miene zu, daß er anfangs offenbar gar nicht verstand, was ich sagte. Aber kaum hatte ich den Namen Karmasinow ausgesprochen, als er auf einmal ganz außer sich geriet.

»Reden Sie mir nicht von ihm! Nennen Sie seinen Namen nicht!« schrie er wie rasend. »Da, da, sehen Sie, sehen Sie! Lesen Sie!«

Er zog ein Schubfach auf, nahm drei kleine Zettel heraus und warf sie auf den Tisch; sie waren eilig mit Bleistift geschrieben, sämtlich in Warwara Petrownas Handschrift. Das erste Billett war vom vorgestrigen Tage, das zweite vom gestrigen, und das letzte war erst an diesem Tage gekommen, erst vor einer Stunde. Der Inhalt war ganz unwichtig: alle bezogen sie sich auf Karmasinow und bekundeten Warwara Petrownas unruhige, ehrgeizige Aufregung und Besorgnis, Karmasinow könne es vergessen, ihr einen Besuch zu machen. Hier ist der erste, der zwei (wahrscheinlich übrigens drei oder vier) Tage alt war.


»Wenn er Sie heute endlich beehren sollte, so sagen Sie, bitte, von mir keine Silbe! Nicht die geringste[143] Andeutung! Fangen Sie von mir nicht an, und erwähnen Sie mich nicht!

W.S.«


Der vom vorletzten Tage:


»Wenn er sich endlich entschließt, Ihnen heute vormittag einen Besuch zu machen, so wird es meines Erachtens das passendste sein, ihn überhaupt nicht anzunehmen. So denke ich darüber; ich weiß nicht, wie Sie die Sache auffassen.

W.S.«


Der vom laufenden Tage, der letzte:


»Ich bin überzeugt, daß in Ihren Zimmern eine Fuhre Schmutz liegt und alles dick ist von Tabaksqualm. Ich werde Ihnen Marja und Fomuschka schicken; die sollen bei Ihnen eine halbe Stunde lang aufräumen. Aber stören Sie sie nicht dabei, und sitzen Sie so lange in der Küche, bis sie fertig sind! Ich sende Ihnen einen bucharischen Teppich und zwei chinesische Vasen, die ich Ihnen schon längst schenken wollte, und außerdem meinen Teniers (diesen leihweise). Die Vasen können Sie aufs Fensterbrett stellen, und den Teniers hängen Sie rechts auf, unter das Porträt Goethes; da ist er am besten zu sehen, und vormittags ist da immer Licht. Wenn er endlich erscheint, so empfangen Sie ihn mit vollendeter Höflichkeit; aber geben Sie sich Mühe, nur von Lappalien, von irgendetwas Gelehrtem zu reden, und machen Sie dabei ein Gesicht, als wenn Sie sich erst gestern von ihm getrennt hätten! Von mir keine Silbe! Vielleicht komme ich heute abend zu Ihnen heran.

W.S.

P.S. Wenn er heute nicht kommt, so kommt er überhaupt nicht.«
[144]

Ich las die Zettel durch und wunderte mich, daß er über diese Possen in solche Aufregung geraten war. Als ich ihn fragend anblickte, bemerkte ich auf einmal, daß er, während ich las, sein stetiges weißes Halstuch mit einem roten vertauscht hatte. Sein Hut und sein Stock lagen auf dem Tische. Er selbst war blaß, und es zitterten ihm sogar die Hände.

»Ich will von ihrer Aufregung nichts wissen!« schrie er wütend als Antwort auf meinen fragenden Blick. »Je m'en fiche! Es beliebt ihr, sich über Karmasinow aufzuregen, und mir antwortet sie nicht auf meine Briefe! Da, da liegt ein unerbrochener Brief von mir, den sie mir gestern zurückgeschickt hat, da auf dem Tische, unter dem Buche, unter L'Homme qui rit. Was kümmert es mich, daß sie sich um ihren süßen Nikolai grämt! Je m'en fiche et je proclame ma liberté. Au diable le Karmazinoff! Au diable la Lembke! Ich habe die Vasen im Vorzimmer versteckt und den Teniers in der Kommode und habe von ihr verlangt, sie solle mich sofort empfangen. Hören Sie wohl: ich habe es verlangt! Ich habe ihr ebenso einen Zettel geschickt, mit Bleistift geschrieben, unversiegelt, durch Nastasja, und warte nun. Ich will, daß Darja Pawlowna selbst sich mir gegenüber ausspricht, mit eigenem Munde und vor dem Angesichte des Himmels oder wenigstens in Ihrer Gegenwart. Vous me seconderez, n'est-ce pas, comme ami et témoin. Ich will nicht erröten; ich will nicht lügen; ich will keine Geheimnisse; ich werde nicht dulden, daß es in dieser Sache Geheimnisse gibt! Mögen sie alles bekennen, in offener, ehrlicher, anständiger Weise, und dann ... dann werde ich vielleicht die ganze jetzt lebende Generation durch meine Selengröße in[145] Erstaunen versetzen! ... Bin ich ein Schurke, mein Herr?« schloß er plötzlich, indem er mich drohend ansah, wie wenn ich ihn für einen Schurken hielte.

Ich bat ihn, ein Glas Wasser zu trinken; ich hatte ihn noch nie in einer solchen Verfassung gesehen. Die ganze Zeit, während er redete, war er im Zimmer von einer Ecke nach der andern gelaufen; nun aber blieb er plötzlich vor mir in einer ungewöhnlichen Pose stehen.

»Glauben Sie wirklich,« begann er von neuem mit krankhaftem Hochmute und sah mich dabei vom Kopfe bis zu den Füßen an, »können Sie wirklich meinen, daß ich, Stepan Werchowenski, in mir nicht genug sittliche Kraft finden sollte, um den Bettelsack auf meine schwachen Schultern zu legen, aus dem Haustore zu gehen und von hier für immer zu verschwinden, wenn das die Ehre und das hohe Prinzip der Unabhängigkeit fordern? Es wäre nicht das erstemal, daß Stepan Werchowenski einem Despotismus mit Seelengröße entgegentritt, wenn es sich hier auch nur um den Despotismus eines verrückten Weibes handelt, das heißt um den beleidigendsten, grausamsten Despotismus, den es nur auf der Welt geben kann, trotzdem Sie sich soeben, wie es scheint, erlaubten, über meine Worte zu lächeln, mein Herr! Oh, Sie glauben nicht, daß ich in mir so viel Seelengröße zu finden vermag, um mein Leben als Hauslehrer bei einem Kaufmann zu beschließen oder hinter einem Zaune zu verhungern! Antworten Sie, antworten Sie unverzüglich: glauben Sie es, oder glauben Sie es nicht?«

Aber ich schwieg absichtlich. Ich tat sogar, als könne ich mich nicht entschließen, ihn durch eine verneinende Antwort zu kränken, sei aber nicht imstande, bejahend zu antworten.[146] In diesem ganzen gereizten Benehmen meines Freundes lag etwas, was mich entschieden verletzte, nicht mich persönlich, o nein! Aber ... ich werde das später erklären.

Er war sogar blaß geworden.

»Vielleicht sind Sie meiner Gesellschaft überdrüssig, G***w,« (dies ist mein Familienname), »und würden wünschen ... Ihre Besuche bei mir ganz einzustellen?« sagte er in jenem Tone gekünstelter Ruhe, der gewöhnlich einem heftigen Ausbruche vorhergeht.

Ich sprang erschrocken auf; in demselben Augenblicke kam Nastasja herein und reichte ihrem Herrn schweigend einen Zettel, auf dem etwas mit Bleistift geschrieben stand. Er sah ihn an und warf ihn mir hin. Auf dem Zettel standen von Warwara Petrownas Hand nur die wenigen Worte: »Halten Sie sich zu Hause!«

Stepan Trofimowitsch nahm schweigend Hut und Stock, ging schnell zur Tür und öffnete sie, um das Zimmer zu verlassen. Plötzlich wurden auf dem Flur Stimmen und das Geräusch schneller Schritte vernehmbar. Er blieb stehen wie vom Donner gerührt.

»Das ist Liputin! Ich bin verloren!« flüsterte er, indem er mich bei der Hand ergriff.

In demselben Augenblicke trat Liputin ins Zimmer.

Quelle:
Dostojewski, Fjodor: Die Teufel. Leipzig [1920], Band 1, S. 143-147.
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