I.

[129] Am andern Tage um zwei Uhr nachmittags fand das in Aussicht genommene Duell statt. Zu der schnellen Abwicklung der Sache trug wesentlich Artemi Petrowitsch Gaganows unbezähmbares Verlangen bei, sich um jeden Preis zu schlagen. Er begriff das Benehmen seines Gegners nicht und war wütend. Schon einen ganzen Monat lang hatte er ihn ungestraft beleidigt und es immer noch nicht dahin bringen können, daß ihm die Geduld gerissen wäre. Es schien ihm unumgänglich notwendig, daß die Forderung von seiten Nikolai Wsewolodowitschs selbst erfolge, da er selbst keinen direkten Anlaß zu einer Forderung hatte. Er schämte sich, seinen geheimen Beweggrund zu bekennen, nämlich einen krankhaften Haß gegen Stawrogin wegen der Beleidigung, die dieser vor vier Jahren der Familie angetan hatte. Auch hielt er selbst eine solche Begründung für unmöglich, besonders im Hinblick auf die friedfertigen Entschuldigungen, zu denen sich Nikolai Wsewolodowitsch schon zweimal erbötig gezeigt hatte. Er nahm im stillen an, dieser sei ein schamloser Feigling; er konnte nicht verstehen, wie er die Ohrfeige von Schatow hatte hinnehmen können; so hatte er sich denn schließlich entschlossen, jenen unerhört groben Brief abzusenden, durch den dann endlich Nikolai Wsewolodowitsch dazu veranlaßt worden war, selbst die Forderung zum Duell auszusprechen. Nachdem er am vorhergehenden Tage diesen Brief abgesandt hatte, hatte er in fieberhafter Ungeduld auf die Forderung gewartet, indem er in schmerzhafter[129] Spannung die Chancen dafür abwog und bald hoffte, bald verzweifelte, und unter diesen Umständen sich auf jeden Fall noch am Abend einen Sekundanten beschafft, nämlich Mawriki Nikolajewitsch Drosdow, einen Freund und Schulkameraden von ihm, den er besonders hochschätzte. Auf diese Weise fand Kirillow, als er am andern Tage vormittags um neun Uhr mit seinem Auftrage erschien, den Boden schon vorbereitet. Alle Entschuldigungen und weitgehenden Zugeständnisse Nikolai Wsewolodowitschs wurden sofort beim ersten Worte mit außerordentlicher Heftigkeit zurückgewiesen. Mawriki Nikolajewitsch, der erst am vorhergehenden Tage von dem Gange der Sache Kenntnis erhalten hatte, öffnete bei so unerhörten Anerbietungen den Mund vor Erstaunen und wollte auf eine Versöhnung dringen; aber er bemerkte, daß Artemi Petrowitsch, der seine Absicht erriet, auf seinem Stuhle beinah zu zittern anfing; so schwieg er denn und unterdrückte seinen Vorschlag. Hätte er nicht seinem Kameraden sein Wort gegeben gehabt, so wäre er unverzüglich fortgegangen; er blieb in der einzigen Hoffnung, bei der Austragung der Sache vielleicht irgendwie hilfreich sein zu können. Kirillow übermittelte die Forderung; alle von Stawrogin aufgestellten Bedingungen des Duells wurden sofort buchstäblich ohne den geringsten Widerspruch angenommen. Nur ein Zusatz wurde gemacht, und zwar ein recht scharfer, nämlich: wenn die ersten Schüsse kein entscheidendes Resultat ergäben, sollten die Gegner ein zweites Mal einander gegenübertreten; wenn auch der zweite Gang erfolglos bliebe, ein drittes Mal. Kirillow machte ein finsteres Gesicht und wollte den dritten Gang abhandeln; da er aber nichts erreichte, so fügte[130] er sich darein, jedoch nur unter der Bedingung, daß drei Gänge zulässig sein sollten, aber nicht vier. In diesem Punkte gab die Gegenpartei nach. So kam denn die Begegnung um zwei Uhr mittags in Brykowo zustande, nämlich in einem kleinen, vor der Stadt gelegenen Wäldchen zwischen Skworeschniki auf der einen und der Schpigulinschen Fabrik auf der andern Seite. Der Regen vom vorhergehenden Tage hatte ganz aufgehört; aber es war naß und windig. Niedrige, trübe, zerrissene Wolken zogen schnell am kalten Himmel dahin; durch die Wipfel der Bäume pflanzte sich bei den Windstößen ein dumpfes Rauschen fort, und ihre Wurzeln knarrten. Es war ein trübseliges Wetter.

Gaganow und Mawriki Nikolajewitsch erschienen am Platze in einem eleganten, zweispännigen char á banc, den Artemi Petrowitsch lenkte; bei ihnen befand sich ein Diener. Fast in demselben Augenblicke erschienen auch Nikolai Wsewolodowitsch und Kirillow, aber nicht in einem Wagen, sondern zu Pferde und ebenfalls in Begleitung eines Dieners; dieser war gleichfalls beritten. Kirillow, der noch nie auf einem Pferde gesessen hatte, hielt sich kühn und gerade im Sattel; in der rechten Hand hatte er den schweren Pistolenkasten, den er dem Diener nicht anvertrauen mochte, und mit der linken drehte und zupfte er aus Unkenntnis fortwährend an den Zügeln, infolge wovon das Pferd mit dem Kopfe hin und her schlug und starke Lust zeigte sich zu bäumen, was übrigens den Reiter ganz und gar nicht in Furcht versetzte. Der argwöhnische Gaganow, der sehr dazu neigte, sich schwer beleidigt zu fühlen, hielt die Ankunft der Reiter für eine neue ihm angetane Beleidigung, da er meinte, die Feinde[131] rechneten doch gar zu sehr auf einen für sie günstigen Ausgang, wenn sie nicht einmal die Möglichkeit in Betracht zögen, daß ein Wagen zum Transport eines Verwundeten erforderlich sein könnte. Als er aus seinem char à banc ausstieg, war er ganz gelb vor Ärger und fühlte, daß ihm die Hände zitterten, was er auch seinem Sekundanten Mawriki Nikolajewitsch mitteilte. Nikolai Wsewolodowitschs Verbeugung erwiderte er gar nicht, sondern wandte sich ab. Die Sekundanten losten: das Los traf die von Kirillow mitgebrachten Pistolen. Die Barrieren wurden abgemessen, die Gegner aufgestellt, die Equipage und die Pferde mit den Dienern dreihundert Schritte zurückgeschickt. Die Waffen wurden geladen und den Gegnern eingehändigt.

Es ist schade, daß ich meine Erzählung schnell weiterführen muß und keine Zeit zu eingehenderen Schilderungen habe; aber ganz ohne Bemerkungen geht es doch nicht an. Mawriki Nikolajewitsch war trübe und sorgenvoll. Dafür war Kirillow vollständig ruhig und gleichmütig, sehr sorgsam in der Erfüllung aller Einzelheiten der von ihm übernommenen Pflicht, aber ohne die geringste Hast und fast ohne Spannung auf den jetzt so nahegerückten, möglicherweise verhängnisvollen Ausgang der Sache. Nikolai Wsewolodowitsch war blasser als gewöhnlich; er war ziemlich leicht gekleidet und trug einen Überzieher und einen weißen Kastorhut. Er schien sehr müde zu sein, machte mitunter ein finsteres Gesicht und fand es nicht für nötig, seine schlechte Stimmung zu verbergen. Aber am auffälligsten von allen benahm sich in diesem Augenblicke Artemi Petrowitsch, so daß ich nicht umhin kann, über ihn ein paar besondere Worte zu sagen.

Quelle:
Dostojewski, Fjodor: Die Teufel. Leipzig [1920], Band 2, S. 129-132.
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