Am Feste vom süßen Namen Jesus

[575] Was ist süß wie Honigseim,

Wenn er sich der Wab' entgießt?

Süßer ist des Lebens Keim,

Der durch unsre Adern fließt;

Doch dein Name, lieber Jesu mein,

Der ist über alles mild und süß!

Daß der Tod vergißt die herbe Pein,

Wo ein frommer Mund ihn tönen ließ.


Was ist gleich des Löwen Kraft,

Wenn er durch die Wälder kreist?

Stärker ist die Leidenschaft,

Ist der widerspenst'ge Geist;

Doch dein Name, lieber Jesu mein,

Der ist über alles voll der Macht!

Daß er zwängt zu milden Lichtes Schein

Was die Welt bedräut in Flammenpracht.


Was ist reich wie Meeresfahrt,

Gleich des Schachtes goldner Hut?

Reicher ist wer sich bewahrt

Seiner Ehre köstlich Gut;

Doch dein Name, lieber Jesu mein,

Der ist mehr und reicher als das all!

Ach, um ihn erträgt man ganz allein

Schmach, Verkennung, aller Ehre Fall.


Was ist schön wie Morgenlicht,

Gleich dem Sternendom der Nacht?

Ach! ein lieblich Angesicht,

Und im Aug' des Geistes Pracht;

Doch dein Name, lieber Jesu mein,

Der ist über alles mild und schön!

Wer ihn trägt im stillen Antlitz sein,

Der ist hold, was auch Natur versehn.
[575]

Was ist freudig wie zu ziehn

In die reiche Welt hinaus?

Ach! viel freud'ger was wir fliehn,

Das verkannte Elternhaus;

Doch dein Name, lieber Jesu mein,

Der ist über alles voll der Lust!

O, wer gäb' nicht um die Freuden sein

Heimat, Freiheit, was ihm nur bewußt!


Ja, dein Name, Jesus Christ,

Der ist stark und reich und mild!

Wer den Namen nie vergißt,

Der kennt aller Leiden Schild.

Und ich soll, o liebster Jesu mein,

Die Gesunkne, treulos aller Pflicht,

Dennoch deines Namens Erbin sein:

Gott! du willst den Tod des Sünders nicht!


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 575-576.
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