Sihe dich selbs an.

Nosee teipsum.

[132] Gvck in dem eygen häfelin. Greiff in deinn rygen büsen. Sich selbs kennen die gröst kunst. Vil kennen vil / vnd sich selbs nit. Sihe in dein eygen spil / Kart auß deiner hand / wilt du gewinnen. Der ist hochgelert / der sich selbs kennen lert. Der mensch ist von himel vnd erd / von geyst vnnd fleysch zusamen gesetzt / Ja vonn den vier Elementen gar ein seltzeins gemächt /also daß er darumb Microcosmos,[132] die kleiner welt wirt genät. Wer nun sich selbs kennet / der kennet was geyst vnd fleysch / Gott vnd mensch / himel vnd erden / vnd alle creaturen seind / dann er hat von jedem einstuck / in vnd an jm. An jm findestu lufft /wasser / feur / vnd erd Gottes bild / auch des Teufels same vnd Character / durch die alt schlang in Adam in jn tragen. Drumb ist die erkantniß sein selbs das ewig leben / vnnd die höchst seligkeyt / dann darinn wirt begriffen die erkantniß aller ding zum leben vō nöten. Darinn findestu Gott / sein gsatz / Christum /vnd Euangelium / so du es nahend ansihest / in die tafel deines hertzens mit seinem finger geschriben. Da findestu auch / was teufel / sünd / todt / helle / sein gesatz / Christus vnd Euangelium sei / durch der schlangen tück in dich tragen / Ja in den verwüstentempel deines hertzens verleibt. Nun ist die erkantniß sein selbs / welche in jhr beschleußt / was Gott vnd teufel / oder mensch / gůt vnd böß / gericht vnd gerechtigkeyt / todt vnd leben / liecht vnd finsterniß /hell vnd himel / sünd vnd iustici sei. Das ist aber das ewig leben / Joan. 17. Cap. 15. Hiere. 9. Esa. 53. Wie aber erkantniß sein selbs Gotts erkantniß in sich schliesse / folget hernach: Ein ieder denck an sich selbs / so dencket er weiters Sihe in dein hauß / darnach darauß. Ein ieder kere vor seiner eygen thür / so werden alle wege reyn. Sorg für dich / der nach für mich. Sihe in dein kuchen. Die nun andere vrtheylen /kompt auß dem mangel / dz sie sich selbs nit sehen /noch in den hafen jres hertzens gucken / dann da würden sie finden daß all menschen Adam / ja ein mensch were / ein fleyschbutz vnnd verderbter leymenklotz.

Omnis homo unus homo, vnd sich fein ie einer im andern als in einem spiegel sehen / Da fiel hin alles vrtheyl / vnd würde ein ieder sein selbs verschonen /Weiler inn gleicher natur / vnnd verderben gestelt /wol würde rechnen / was er über jhen / sein fleysch vnd blůt würde vrtheylen / das würde jm auch gelten (weil vō natur einer nit eins haars besser ist dann der ander) Sprech er: Hencken / so sprech sein gewissen: Dieb vnnd zeyget jhm sein diebisch hertz / darinn es geschriben stünde.

Dahin hat Paulus gesehen / Roma. 2. da er spricht: Wer bistu o mensch / daß du einn andern (der du eben in gleichēfal / verderben vnn weh verhafft ligst) vrtheylest: In dem verurtheylestu dich eben selbs / dieweil du eben das du vrtheylest / thůst / verstehe mit dem hertzen inn wendig / ob du gleich mit eim schalcksaug / angesehen deinen eygen nutz / ehr /rhům / namen / etc. oder schelmige forcht / sorgend /der Herr werd dir darumb eins auff dem rucken oder schinbeynen machen / die faust still vnnd innen haltest.

Der mensch so in den spiegel vnd bůsen seines hertzen on vnderlaß sihet / kan nicht in eim andern sehen oder finden / das er nit auch inn[133] jm sehe vnd findet. In disem blick zerschmiltzt der mensch in jm selbs in Gott / eilet von jhm selbs in Gott / vnd wirt zu eitel liebe / mißt iederman mit der maß wie er jhm selbs mißt / ist gnädig / glaubt alles / tregt ein erbärmbde / weil er den jamer / das ist / alle schande /sünd / todt / Teufel / in jhm sihet / wie über sich selbs / also über iederman / weil er inn gleicher natur ein fleysch vnn ein mensch mit jm ist / dann er sihet inn Adam alle menschen an / wie sich selbs / wie einn menschen. Ist einer gůt / so seind sie all gůt / wie einer ist / also sie all. Darumb schonet er seiner haut /schweigt / leidet / vnd bitt Gott vmb labung / erhebung / vnnd handreychung der artznei auß gmeyner acht / plag / vnd verderben / zerschmiltzt vor jamer in jm selbs / sihet in jm selbs die gantz welt vnd alle menschen / was ie mensch hiesse / als einn einigen Adam vnn fleyschbutzen / Eilt inn gegensatz / nemlich inn Gott / des bild er auch erloschen vnd verdeckt / in jm glümend findet / bitt vnd seufftzet im geyst mit vnauß sprechlichem seufftzen / daß der Gotswind den glümenden tacht wider anblase zum ewigen liecht /das fleysch verzere / daß wir alle wie vor eins inn Adam / also ietz eins mit Christo werden.

Quelle:
Egenolff, Christian: Sprichwörter / Schöne / Weise Klugredenn. Darinnen Teutscher vnd anderer Spraach-en Höfflichkeit [...] In Etliche Tausent zusamen bracht, Frankfurt/Main 1552. [Nachdruck Berlin 1968], S. 132-134.
Lizenz:
Kategorien: