XI. Brief

An Fanny

[24] Beßte! Ich möchte Dir von uns Neuigkeiten sagen, und weis doch keine. Bisher geht alles im alten Trabe fort, und außer deiner Amalie giebts in unserm Hause nichts Abentheuerliches. Du kennst ja meinen Oheim in K**? er ist ein seelenguter Mann! Von ihm erhielt ich zwei schöne Kopfzeuge[24] , die mir aber mein Vater recht sehr verbitterte. Ihm will die alte Mode durchaus nicht aus dem Kopfe, und ich habe mich ganz in die neue vergaft. Wir Mädchen haben ja unsern besondern Abgott, ich kann eben nicht sagen, daß ich ihm eigensinnig durchaus alles opfern will; aber eitel bin ich doch, wie wir alle sind. Die Männer sind es mit einem gelindern Ueberzug, und wir sind es in Kindereien. Wenn doch dieser Vater nur suchte, meine Eitelkeit mit gelindern Mitteln zu bändigen! Aber so raschweg, alles, was nicht erst großmuttermäßig aussieht, zu verbieten, das schmerzt. Vorhin gieng ich nie so oft zum Spiegel, aber seit mein Vater mir es so macht, bespiegle ich meine altfränkische Haube so oft, und sinne auf Alles, um ihn zu bewegen, daß er mich einen andern Puz tragen läßt. Mein Oheim weis auch schon, daß eine ziemliche Porzion Eitelkeit in mir stekt; aber er zankt nicht in seinen Briefen, er lärmt nicht, vielmehr sucht er sie auf Nachahmung und Ehrgeiz festzusezzen; und wenn ich mein Herz recht untersuche, so ist es mehr auf das Ernsthafte, Nüzliche, als auf das Lächerliche angewandt. Es wird sich zeigen. – Wenn Du, meine Liebe, wißen könntest, was für eine Menge avantürische Hofnungen mir durch den Kopf kreuzen, Du würdest lachen. Sollten das wohl Ahndungen von einer besondern Zukunft seyn? Das wollen wir uns von heute in acht Jahren sagen können. Noch Eins! Ich bin eben so faul nicht, wie Du Dir vorstellest; meine Tagesordnung scheint mir doch so ziemlich wohl eingerichtet und vollständig. Aufstehen und ankleiden, in die Kirche gehen, und nach diesem hurtig im Hause herumhüpfen und anordnen, so wird es Abend, ehe ich mir es versehe. Dann heißt es meinem Vater vorlesen, eins mit ihm in Karten spielen, hernach auf mein Zimmer, noch eins lesen, und ins Bett. Du kennst ja den jungen B***, den mein Vater vor zwei Jahren nach Mainz schikte? Er bildet sich treflich und schreibt wakkere Briefe.[25] Und wenn er ja gleichwohl ein Kind von jenem vielgeliebten Bruder meines Vaters ist, so zeichnet er sich doch aus. Mein Vater liebt ihn unaussprechlich, ich bin ihm auch recht gut; und da meine Brüder todt sind, so wünsch ich einen Ersaz in ihm. Wie lebst denn Du? Steht es gut um deine Gesundheit? – Bist du noch immer so flegmatisch? Wie glüklich bist Du nicht mit deinem ruhigen Temperament! Ich liebe Dich gewis feurig, glaube es deiner


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 24-26.
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