XXVII. Brief

An Fanny

[51] Freundin! – Die Zeit meiner Abreise kam, ich mußte zurük zu meiner alten Großmama. – Kannst Dir leicht denken wie mir's so bang war, daß ich alle meine guten Bekannten verlassen mußte. – Der Abschied vom Doktor war von meiner Seite äußerst angreifend, er aber zeigte sich kälter und munterer als ich, und das gieng mir durch die Seele. Während als mein Wagen einige Stunden fortrollte, schwärmte ich in einer Hizze fort von dem Zurükgelassenen, und mein Blut war so in Wallung, daß ich gar nicht mehr weis, wie ich in das Haus meines Oheims zurükkam. Der zweite Empfang meiner hochnasigten Tante schien mir etwas milder, ich war aber gar nicht heiter genug, um auf[51] das was vorgieng, hinlänglich aufzumerken, denn mich verlangte nach Einsamkeit; ich trug eine Last im Herzen, die mich sehr drükte. Wenn alle Verliebten sich so lange fühlen, wie ich mich fühlte, so sind sie arme Würmchen, die sich mit Herzensfreude tretten lassen, und sich wenig um die Folgen kümmern. Ich war so ganz voll Qual, voll Unruhe, voll Leiden! – Meine heitere Laune, wo ist sie hingekommen? – Ich wage es kaum Dir zu sagen: der Doktor liebte mich nie. Wäre er nicht noch zum lezten Abschied in meine Arme geflogen? – Er versprach mir heilig nach L*** zu kommen, ehe ich gänzlich diese Gegenden verlassen würde. – Aber der Elende kam nicht! – Heißt das nicht hartherzig seyn? – Auch nicht einmal schrieb er mir. Warum wekte der Leichtsinnige meine Empfindung auf? – Warum reizte er mich zur Liebe? Warum nährte er einen Hang in mir, den kein ehrlicher Mann nährt, wenn er nicht wieder lieben will? – Man sagte mir, er habe schon ein Mädchen vor mir geliebt; sie soll sehr schön seyn; wenn das wahr ist, dann muß ich es leiden. – Muß! – Ein garstiges Wort für freigeborne Menschen! – O meine verwünschte Eigenliebe! die war an der ganzen Geschichte Schuld! – Diese garstige Betrügerin ist es, die mir von Gegenliebe vorschwazte; und nun bin ich getäuscht. Aber mit Blut will ich das Wort Täuschung in mein Herz schreiben, und der es auslöschen will, muß es tausendfach würdig seyn, oder es bleibt stehen. Ich weis auch gar nicht, warum die Männer kühn genug sind, mit uns zu wizzeln, und mit jedem Wort auf Liebe zu zielen, wenn sie denn durchaus nur lügen und nicht lieben wollen. Das sind doch abgefeimte Heuchler, die ihre Lügen mit so vieler Anmuth in ein junges Mädchenherz hineinräsonniren! Mich reut meine gute Laune, mit der ich den Bösewicht so viele Stunden unterhielt. Aufs Gesicht hätt ich's ihm schreiben sollen: Du bist ein Betrüger! –[52] Damit das vor mir betrogene Mädchen noch frühe genug von ihrem Schiksal wäre unterrichtet worden. Ich mag wohl seinem Kopf besser, als seinem Herzen getaugt haben sonst hätte er nicht so viele Stunden mit mir verplaudert. Wäre ich von seiner ersten Bekanntschaft unterrichtet gewesen, so hätte ich ihn wie Gift geflohen, und kein nagender Gram hätte sich meiner bemächtigt. Nun sey es aber geschworen, ich will die Männer von nun an fürchten, ich will sie fliehen, ich will ihnen ausweichen, wenn sie mein Gefühl in Versuchung führen wollen. Aber die verwünschte Verkettung meines Schiksals bringt mich auch immerfort in die Gesellschaft der Männer; es dauert nur wenige Tage, so muß ich schon wieder mit zween andern zu meinem Vater reisen. Aber ich betheure Dir, Freundin, sie mögen gut oder böse seyn, wild oder zahm, mein Herz soll Stein bleiben. Es sollen, so wie ich höre, Kaufleute seyn, denen mich meine ökonomische Tante nur deswegen übergiebt, damit ihre Börse besser geschont werde, denn diese ist ihr Abgott. – Es mag nun bequem oder nicht bequem seyn, meine Reisegefährten mögen höfliche oder unhöfliche Leute seyn, mir ist es gleichviel; nur von Liebe soll mir keiner sprechen, wenn er nicht Zank haben will. Du erhältst bald eine vollständige Reisebeschreibung von deiner beßten


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 51-53.
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