XXIX. Brief

An Amalie

[56] Ja wohl, Freundin, bist Du ein flatterhaftes Mädchen! Mit einem solchen Grade Ueberspannung über den Verlust eines Liebhabers zu winseln, und dann doch diesen Verlust nicht länger beklagen, als bis sich der Ort aus den Augen verloren, den er bewohnt! – Ich würde Dir Vorwürfe über diese geschwinde Veränderung machen, wenn es der Undankbare nicht um Dich verdient hätte. Siehst Du, wir Menschen alle sind in unsern Handlungen so widersprechend! – Besonders ist die Liebe ein unbeschreibliches Wesen, die von Umständen und Begriffen ihre Karakteristik erhält, und da die meisten Menschen sich in jeder Handlung ihres Lebens so wenig verstehen und mit einander nicht übereinkommen, so muß also auch die Liebe dieser Unordnung und Verschiedenheit der Gemüther ausgesezt seyn. Für nichterwiederte Liebe ist Stolz das beßte Heilungsmittel. Man muß sich seine Ruhe durch stolze Verachtung wieder zurükbringen, die so ein Schandbube vielleicht auf einige Zeit raubte. Doch ist bei einem empfindsamen Mädchen der feste[56] Entschluß, nicht wieder zu lieben, ein elendes prahlendes Nichts, daß bei der ersten beßten Gelegenheit, wie ein Hauch zusammenstürzt. Diese Erfahrung habe ich leider mehrmalen selbst gemacht; und beinahe glaube ich, daß Du, Mädchen, mit der Zeit mehr von diesem Punkt wirst sprechen können als ich; wenigstens ist deine Anlage dazu gefährlicher. Ich habe schon manches betrogne Mädchen während ihren Thränen über einen verlornen Liebhaber aus Eitelkeit lächeln gesehen, wenn ein geschikter Schmeichler ihre schwache Seite zu berühren wußte. Ich kann einmal nicht anders von unserm Geschlechte sprechen; die Güte unserer Herzen und die Reizbarkeit unserer Nerven machen uns zu schwachen Geschöpfen. Ein Weib mit dem beßten Herzen wird am leichtesten überrascht, weil ihre Gutheit in der Liebe keinen Widerspruch kennt. – Blos Religion, Vernunft und Ehre kann uns Weiber im Zaum halten, aber die Liebe spielt über kurz oder lang ihre Rolle, und wir alle spielen mit, mehr oder weniger, doch gerade so viel, als uns Schiksale und Umstände ins Spiel mischen. Indessen freut es mich doch, daß Du Dich mit deinem neuen Freunde so tapfer hieltest, und um so mehr freut es mich, weil es so wenig Männer giebt, welche die Gesellschaft eines reizenden Mädchens bei einer solchen Gelegenheit nicht misbraucht hätten. Dein sanfter Freund muß bessere Grundsäzze haben, als unsere meisten brutalen Mädchenstürmer, die alles, was ihnen unter die Hände kömmt, pflükken wollen. – Doch, Mädchen, erlaube mir auch über deinen Freund eine Anmerkung: Glaube ja nicht, daß ein Mann mit so vielem Gefühl, wie dieser war, lange um Dich herum ohne Leidenschaft hätte ausdauern können. Der strengste Moralist über diesen Punkt ist so wohl Mensch als andere, wenn ein überraschender Augenblik ihn hinreißt. Und wenn er vielleicht seine Gattin blos ehrt und nicht liebt, was würde ihm übrig geblieben seyn, als ein[57] volles Herz und unbefriedigte Wünsche für Dich? – Du bist nun schon in den Jahren, wo man so etwas mit Dir sprechen darf; schaffe Dir das leichtgläubige Zeug aus dem Kopfe und schaue den Männern scharf hinter ihre Larve – und Du wirst Menschen finden. Doch ist ein Mann, der mit seinen Leidenschaften kämpft, viel verehrungswürdiger und reizender, als ein frecher Weichling, der, ohne Rüksicht auf die Person, blos den Trieben seines Temperaments folgt. Es schmeichelt uns Weibern gar zu sehr, wenn wir an unserer Seite einen so stillschmachtenden Liebhaber seufzen sehen, der aus lauter Ehrfurcht sich beinahe zu Tode martert. Die Männer heißen das Koketterie. – Laß Dir aber nichts darüber in Kopf sezzen. Ein Mädchen muß bis zur Ueberzeugung daß es wahrhaft geliebt wird, ein wenig die Kokette spielen, sonst weh' ihrem guten Herzchen, es würde zerrißen, getretten, und äußerst oft betrogen. – Ich weis, daß Dir diese Lehre nicht behagen wird, denn ich kenne deine Liebe zum Romanenmäßigen. Künftig ein Mehreres über dieses Kapitel von


Deiner Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 56-58.
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