LIV. Brief

An Amalie

[133] Nun so verfällst Du denn schon wieder ins Abentheuerliche, meine Beßte! – Ich muß Dich zanken über deinen Klostergedanken. Vielleicht kömmt dieser Brief zu spät, und dann gute Nacht heitere Täge meiner Amalie! – Du, mit deiner Anlage zur Schwermuth willst die Einsamkeit suchen? – Du, mit deiner Lebhaftigkeit willst Dich unter die Kostgängerruthe beugen? – Du, mit deinem Freiheitssinn willst heucheln lernen.... oder Dich hassen lassen? – Du, mit deiner Anlage zum Natürlichen, willst Dich in das Joch des Ueberspannten werfen? – Du, mit deinem Herzen voll Liebe, willst zwischen Riegel und Gitter die Männer entbehren? – O! Du wirst gewis auf meine Gründe der Warnung denken! – Ich wette, was Du willst, dein Bräutigam siegt in dieser Lage über deine Liebe. Du bist dann entfernt von allen andern Männern; dein Herz muß Beschäftigung haben,[133] und die Nothwendigkeit wird gewis das Loos auf deinen Freier lenken. – Wenn mir je eine Uebereilung im Geiste vorgeht, so ist es gewis diese hier. – Und warum wähltest Du denn dieses Leben, da dein Oheim es nicht geradezu foderte? – Nicht wahr aus Dankbarkeit, um diesen lieben Mann auch nicht mit einem Winke zu widersprechen? – O! Ich kenne deine Großmuth; Du bist aus Freundschaft und Dankbarkeit großer Handlungen fähig. – Was würdest Du erst aus Liebe thun, wenn Dich Einer recht zu bezaubern wüßte. – Es ist ewig Schade, daß der braune Junge so schnell von Dir ablies. Ihr zwei würdet euch fest aneinander gekettet haben. Harmonische Liebe wäre das Losungswort gewesen, und eine glükliche Ehe die Belohnung für deine Drangsalen. – Daß doch die beßten Menschen arm seyn müßen! – Daß es dort liegen muß, das elende Metall, auf einem Haufen an der Seite des fühllosen Dummkopfs. – Doch, Freundin! – Hänge dem Verlust dieses Jünglings nicht zu sehr nach; er war Dir nicht von der Vorsehung beschieden. Was nun deinen Freier betrifft, so hast Du mich fast durch einige Anmerkungen über ihn erschrökt. – Wenn mich anders nicht die Versicherung deiner Wohlthäterin in Betreff seines Karakters beruhigt hätte, so würde ich dieses zurükhaltende Wesen in ihm für verborgene Heuchelei halten. Sey vorsichtig, die Frau von D*** kann mit dem beßten Herzen mit Dir betrogen werden. – Du kannst leicht die Züge seines Karakters unrecht deuten, und das für Ruhe nehmen, was oft böses Gewissen oder tükkisches Wesen ist. Ueberhaupt, Menschen, die keinen offnen Karakter haben, sind gefährlich. Ich will lieber Spuren der Leidenschaften in einem Mann erblikken, so kann man doch untersuchen, wie weit diese Leidenschaften gehen. – Dasjenige, was verschloßen ist, wütet beim Ausbruch desto heftiger. Ich zweifle gar nicht, daß Du seine[134] Begierden entflammt hast. – Ein so hübsches, schlankes, vollbusigtes, lebhaftes Schweizermädchen, kann schon Zerrüttungen in den Sinnen eines Mannes stiften. Doch wäre es mir weit lieber, wenn dein Anbeter minder heftig und mehr mit Ueberlegung liebte. Treibt man die Leidenschaften zu hoch, dann spannen sie sich um desto geschwinder ab. – Untersuche deine Wünsche wohl, prüfe Dich selbst, ob Du ihn lieben könntest? – Denn die Ehe ist ein ewiges Band, und knüpft auch ewiges Verderben, wenn nicht Liebe den Grund dazu legt. – Lebe wohl in deiner Einsamkeit, wenn Du allenfalls schon darinnen seyn solltest! – Deine treue


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 133-135.
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