LXVI. Brief

An Amalie

[168] Du hast mich, meine Liebe, während dieser vier Monaten manche Thräne vergießen machen! – Nichts ist quälender, als Ungewisheit über den Zustand einer Freundin, die man so liebt, wie ich Dich liebe. – Oft nahm ich mir vor, Dir zu schreiben, aber doch wagt ich es nicht, weil ich eine Ahndung im Herzen fühlte, die mich zurükschrökte! – Wer weis, in welcher Lage sie lebt? – Wer weis, ob sie Briefe ohne Aufsehen empfangen kann? – Wer weis, ob sie ihrem Gatten diese geheime und offenherzige Korrespondenz anvertraut hat? – So, und dergleichen sagt ich mir wohl tausenderlei vor, bis endlich dein Brief kam, der mich bis zum unbegreiflichsten Gefühl beugte! – Ueber jedes andere Laster, das dein Gatte an sich haben möchte, wäre ich nicht so erschrokken, als über seine Spielsucht, denn diese ist das entsezlichste unter allen! – Ein Spieler vergißt Gott, Natur und Menschen! – Jedes Laster der Männer kann gesättigt werden, wenn ein vernünftiges Weib den Zeitpunkt zu nuzzen weis, wo die Leidenschaften den Mann zum Kinde machen. Aber Spielsucht ist ohne Sättigung, ist beinahe untilgbar aus dem Herzen eines Mannes, der das Spiel zur Hauptleidenschaft werden lies. Der Wollüstling kehrt zurük, wenn die Nachsicht seines Weibs ihn zur Ueberlegung zwingt, wenn er einzusehen anfängt, daß er das reine Herz seiner Gattin mit dem feilen Körper einer Buhldirne vertauschte. Der Trinker entsagt manchmal dem Trunk, wenn ein vernünftiges Weib seine Ehre vor den Menschen hinlänglich zu reizen weis, oder wenn er durch den Trunk seine Gesundheit in Gefahr sieht. Der Geizige vergißt aus Liebe zu seiner[168] Gattin den Reiz des Geldes, und überläßt ihr willig seine Oekonomie, wenn sie sich sein Zutrauen zu gewinnen weis. Der Brausende mildert sein Feuer, wenn eine verstohlne Thräne im Auge seiner Gattin ihn entwaffnet. Der Unthätige wird fleißig, wenn er sein liebes Weibchen dankbar dafür sieht. Der Leichtsinnige lernt denken, wenn ihm die Tugenden seiner Gattin so häufig begegnen, daß er ihnen selbst folgen muß. – Aber der Spieler ist fast für alles fühllos, denn der Reiz des Gewinnstes versüßt ihm die Gefahr des Verlusts und tilgt in ihm den Vorwurf der Verschwendung. Sein lasterhaftes Ideal ist auf eine trügerische Hofnung gegründet. – Die Gewohnheit macht kühn, die Kühnheit im Spielen unternehmend, und nicht selten ist Verzweiflung, Dieberei und andere Niederträchtigkeiten, das endliche Loos eines leidenschaftlichen Spielers. Es schmerzt mich schröklich theure Amalie, daß ich Dir alles das sagen muß, es geschieht auch blos um Dich anzufeuern, dein Alleräußerstes zur Besserung deines Mannes anzuwenden. Wer weis, vielleicht hat diese Leidenschaft nicht gar zu tiefe Wurzeln! – Vielleicht ist es Langweile oder Verführung! – Mache ihm ja keine Vorwürfe darüber, Du würdest ihn in dieser Gewohnheit stärken. Such ihn zu Hause in Gesellschaft guter Freunde zu unterhalten. Vielleicht vergißt er nach und nach seine übrigen Bekanntschaften. Zeig ihm nicht zu viel Gutheit, aber auch keinen Troz; suche seine Vernunft durch ein muntres Gespräch zu fesseln; laß nur unvermerkt ein Wort in Betreff seiner üblen Gewohnheit fallen. Vielleicht gelingt Dir ein Meisterstük der Besserung an ihm. Ich hoffe alles von deinem Kopfe und Herzen. Ich weis, daß, wenn er sich nicht bessert, es gewis nicht deine Schuld ist. Darum bitte ich Dich, Liebe, Theure, laß deinen Gram nicht zu hoch steigen! Es ist ja nicht deine Schuld, wenn er durchaus mit vollen Schritten dem Verderben zueilt. – Du verkennst[169] übrigens das Herz deines Oheims, wenn Du Bitterkeiten von ihm erwartest, die gewis nicht in seinem Karakter liegen. Er wird freilich ein wenig über deinen Ungehorsam zürnen, aber nie wird er ihn auf Rechnung deines Herzens schreiben. Ein Mann, wie dieser, kann keine Handlung verdammen, die aus Ueberfluß des Gefühls unternommen wurde. Er wird über deinen Ehestand trauren, weinen, aber Dich nie aus einem Herzen verstoßen, worinn Du so tief eingegraben bist. Sey ruhig in Ansehung dieses, meine Liebe; Du kannst es seyn, Du darfst es seyn! Schreib mir, ich bitte Dich, bald wieder, denn meine Angst um dein Wohl ist nicht klein. – Mitleiden gegen deinen Mann und Liebe für Dich, erfüllen meine ganze Seele, und stündlich flehe ich den Himmel an, Dir in deiner traurigen Lage Geduld zu verleihen. –


Deine Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 168-170.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen