VII. Brief

An Fanny

[18] Das Abschiednehmen ist doch eine unnüzze aber traurige Sache. Liebe hat bis daher von mir noch keinen Tribut gefodert; aber ebendeswegen, weil sie mich so lange durchschlüpfen[18] lies, schnürt sie mich jezt bis zur Tirannei. Wenn ich nur in diesem Fache mich zu mäßigen wüßte! Aber es reißt so gewaltig an meinem Herzen und drükt so stark in meinem Kopfe, daß ich selbst nicht weis, ob es mich zum Weinen oder zum Seufzen zwingen will. Wenn ich so nacheinander meine Wünsche untersuche, dann gehen sie wie Lauffeuer straks zu Dem hin, der mir gefällt, und wenn sie dort sind – diese Wünsche, und ich mit ihnen, dann ist es mir wohl. – Du glaubst es nicht, Beßte, das ist ein so namenloser Hang, den ich nicht Laster, aber auch nicht Tugend nennen kann. Jezt wieder auf das Abschiednehmen! – Ich stehe mit einem Jungen in Bekanntschaft, ich möchte mich gerne bereden, daß er mir gut wäre, aber gegen meine Zärtlichkeit, gegen meine Wärme ist es ausgemacht, ist er ein wahrer Hakstok. Ich versuche alles, um ihn recht oft zu sehen; aber so zornig bin ich, wenn ich mich an den verzweifelten Kontrast seiner Kaltblütigkeit erinnere. Warum fühlt er nicht auch meine Unruhe? Warum ist er nicht auch eifersüchtig, wenn andere Herrchen mich reizend finden? Seine Seele ist so gedankenlos, so einbildungsleer, wenn ich so im Taumel von Zufriedenheit recht unschuldig und doch wie Glut an seiner Seite sizze. Ich sollte also fortfahren ihn zu lieben? Mich quält es ja doch, und ich finde kein wahres Mitleid. – Halt, Amalie, wirst Du denken, Du fiengst deinen Brief mit Abschiednehmen an, und nun ist Liebe dein Thema! Vielleicht hast du Recht! aber wer plaudert denn nicht gerne von Liebe, besonders wem sie noch so fremd ist? – Alle, Alle müßen opfern, nur ist diese Einbildung ohne Ende so verschieden. Gestern um diese Stunde sah ich ihn das leztemal, ich weinte, eins, zwei, drei Thränchen, und er – er zupfte indessen an seinen Manschetten. Pfui, pfui! dacht ich, meine Zärtlichkeit ist übel angerannt. – Adieu Monsieur, und husch zur[19] Thür hinaus. Ich schreibe Dir bald wieder. Lebe wohl! –


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 18-20.
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