LXXI. Brief

An Fanny

[181] Seit wenigen Wochen bin ich wieder an dem Orte meiner Bestimmung. Mein Mann holte mich selbst zurük. Er schien Reue über sein Betragen zu fühlen. – Er bleibt nun Nachts nicht mehr so lange aus, wie sonst; aber ich denke, daß seine leere Börse die Ursache davon ist; denn er läßt mich jezt förmlich darben. Bald wird mir meine Haushaltung den Spott der Dienstboten zuziehen; bald werde ich außer Stand gesezt seyn, mit Anstand vor der Welt zu erscheinen. Einige Nichtswürdige von seinen Freunden nahmen sich die Kühnheit heraus, mir Unterstüzzung anzubieten. Wenn das eine Probe von Seiten meines Mannes ist, so könnte ich ihn verachten! – Und eine Probe muß es seyn, denn sonst hätten diese Elenden den Muth nicht, so etwas zu wagen. Armuth ist ohnehin für Tausende eine Klippe; aber für mich ist sie es nicht, denn ich habe denken und entbehren gelernt. Ich bin auf Alles gefaßt; ich murre über nichts, als über den Verlust seines Herzens! – Tödtliche Langeweile plagt ihn jezt sehr oft, Geldmangel versagt ihm das Spiel, und so sizt er oft acht ganzer Tage in stummer Hypochondrie zu Hause; sorgt für nichts, arbeitet nichts, und scheint heimlich sein Schiksal zu verfluchen! – Es ist traurig, wenn zween Menschen zur beständigen Gesellschaft so aneinander gekettet sind, um sich das Leben zu verbittern. Er rast und tobt nicht mehr mit mir, aber dagegen lebt er so unempfindlich fort, ohne an sein Daseyn oder an meine Ruhe zu denken. Wenn ich ihm schmeichle, so stößt er mich mit einer geschikten Ausrede von sich. Und ich muß gestehen, Freundin, daß mein Herz seit dem leztern Auftritt eine gefährliche[181] Wunde bekommen hat, die ich in der Abwesenheit nicht so fühlte, und die mir nichtsweniger als Abneigung schien. So bald Eheleute gegen einander die Achtung verlieren, dann ist Liebe und Zärtlichkeit ebenfalls dahin. Diese Achtung allein beherrscht das Herz, den Kopf und die natürlichen Triebe. So bald es unter Eheleuten zu niedrigen Auftritten kömmt, so mischt sich eine Art von Haß ins Spiel, man vergißt wohl die Mishandlung, aber der Eindruk bleibt doch, und der beiderseitige Stolz ist unversöhnlich beleidigt. Ich vergebe meinem Manne von Grund der Seele, aber Mistrauen, übler Begrif ist an die Stelle der Achtung getretten, mit der ich einen sanften, guthandelnden Gatten verehren würde. Ein gutgezogenes Weib ist in diesem Punkt äußerst delikat. – Mit guter Art, mit wohl eingerichter Behandlung kann ein Mann von Erziehung alles mit einem solchen Weibe ausrichten. – Aber wenn er sich durch sein Betragen bis zum Pöbel erniedrigt, wenn er sich an ihren Körper wagt – o dann duldet das gute Weib, aber entsezt sich dennoch über so ein gemeines Betragen. Doch weg davon, Liebe! Ich hoffe, daß er sich nicht so leicht wieder vergessen wird, denn in weniger Zeit reisen wir beide zu meinem Oheim, er ist dorten für die Werbung bestimmt. Mein Oheim lernt ihn bei dieser Gelegenheit näher kennen: denn, ich muß Dir sagen, dieser gute Oheim ist, dem Vorgegangenen ungeachtet, noch sehr für meinen Mann eingenommen; er läßt sichs nicht aus dem Kopf reden, daß er nach seinen Briefen mehr Gefühl haben müße, als ich ihm zugestund. Er erwartet uns beide mit Verlangen. Niemand ist darüber froher als ich. Da ist denn der Ort, wo sich mein Unglük dem Auge meines Oheims klar zeigen wird. Vielleicht bessert dieser gute Vater meinen Mann durch seinen Umgang. – Vielleicht öffnet er sein Herz, seinen Karakter, die so sehr verschloßen sind; vielleicht erhalte ich seine Liebe wieder. – Ach! – Wie viele[182] Vielleicht wüßte ich mir noch zu sagen, um meinem kranken Herzen Freude zu machen. – Aber leider, daß es nur bloße Vielleicht, und keine Gewisheiten sind! Ich muß Dir noch einen Sturm erzählen, den mein Herz durch einen Leichtfertigen ertrug: Jener Junge, den ich vor meinem Mann kannte, und der mich so großmüthig zum Altar hinschleudern lies, hatte die Kühnheit, mir einen sehr schwärmerischen Brief heimlich zuzuschikken. – Er klagt über die Heftigkeit seiner jezt aufwachenden Leidenschaften; er flucht den Banden, die mich fesseln; er erfuhr mein Unglük, und verabscheut seinen Urheber. Der Unglükselige macht mich zu einer heimlichen Verbrecherin, indem er jenes alte Feuer der Leidenschaft wieder anfacht, und in einer Lage anfacht, wo es nur zu gerne und zu geschwinde in helle Flammen ausbrechen könnte. – Mitleid, Misvergnügen, Anlage zu schwärmerischen Neigungen, Leere meines Herzens, der Wunsch leidenschaftlich beklagt zu seyn, alles das reizte mich unwiderstehlich zum Antworten. Er ist zwar von mir entfernt, aber bin ich dadurch minder strafbar? – Das Herz eines empfindsamen Weibes ist doch ein unbegreifliches Räthsel, das sich so leicht und so strafbar auflößt. – Da sezte ich mir so philosophische Säzze in Kopf, und bildete mir ein, daß sie nicht erwiedert würde meine Liebe, die ich für meinen Mann nährte – und hielt sie also für Verschwendung. Undank schmerzt schröklich, und unbelohnte Liebe ist Hölle für ein zur Liebe geschaffenes Weib. – So viel heute von deiner unzufriedenen


Amalie.[183]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 181-184.
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