C. Brief

An Fanny

[69] Also, wie gesagt, meine Beßte, als ich die Gesellschaft der brunetten Dame verlies, gieng ich nach Hause, legte mich zu Bette, und schlief herrlich, bis mich meine Base des andern Morgens aufwekte. –

»Kommen Sie, Sie müßen heute mit meinem Mann den Markusplaz besehen!« – (sagte sie mir ganz sanft ins Ohr.) Ich rieb mir noch etliche Mal die Augen, und taumelte dann hin zur Toilette. – Nun wollte mich die gute Frau nöthigen eine Maske vor mich zu nehmen, aber ich sträubte mich tapfer dagegen! – Nicht doch, Frau Base! – Warum soll ich das Gesicht, das mir Gott gegeben hat, verkappen? – Darf ich dasselbe nicht sehen lassen? –

»O ja, mein Kind! – Aber Sie müßen sich maskieren, es ist hier zu Lande durchaus nöthig, um den Nachstellungen der Mannsleute zu entgehen.« – –

Ei was Mannsleute! – die werden mich doch nicht mit Gewalt am hellen Tag anpakken! – Nein, so wahr ich eine Teutsche[69] bin, Frau Base, ich verdekke mein Gesicht nicht! – Und so zog ich meinen Vetter mit mir zur Thür hinaus. – Aber kaum hatten wir ein paar schmale Gäßchen durchwandert, so streiften schon eine Menge Masken sehr nahe und unglimpflich an mir vorbei. – Ich schob dieses Betragen auf die Rechnung des engen Raums der Straße, bis mein Vetter auf einmal zu brummen anfieng, und mich überzeugte, daß seine Frau Recht gehabt hätte. – Die hiesigen Masken nehmen sich gegen ein fremdes unmaskiertes Frauenzimmer die ungezogensten Frechheiten heraus. – Eine Fremde muß sich in Mannskleider stekken, wenn sie ungestört über die Straße gehen will. – Bei uns sezt diese Art Verkleidung ein Frauenzimmer in übeln Ruf, und hier dient sie zu seiner Vertheidigung. – O Vorurtheil, du widersprechendes Wesen! – sagte ich zu mir selbst – als wir gerade unter den gedekten Seitengängen auf dem Markusplaz anlangten. – Hu! – wie mir da der Kopf zu schwindeln anfieng, als ich die Menge Masken erblikte, die auf Strohsesseln vor den Kaffeebuden saßen, und mich dabei so starr angafften, daß es mir ganz heiß in die Wangen stieg. Fast alle meine Sinnen waren über und über beschäftigt. – Ich sah izt in den offenen Kaffeebuden verwegen spielen, unverschämt buhlen, und jedes lasterhafte Gewerb in voller Uebung treiben. Auf allen Seiten unterhielten sich diese beschäftigten Müßiggänger mit ihren Modelastern. Spionen lauerten; Spieler zankten; Buhlerinnen schäkkerten emsig mit ihrer feilen Waare; – Andächtlerinnen seufzten über die Unerträglichkeit ihrer Keuschheit; alte Weiber brummten an der Seite ihrer ungetreuen Anbeter; junge Damen warfen nach ihrer Gewohnheit ihre Nezze aus; Bonzen liebäugelten; Schurken lehnten sich tiefsinnig an die Seitenwand, und dachten auf spizbübische Anschläge; Stuzzer strikten Filet, fremde junge Windbeutel trugen ihre Figur zu Markte, und Ausländer, die kaum dem[70] Galgen entronnen waren, genoßen hier der goldenen Freiheit! – Alles war in lebhafter Thätigkeit, und jeder schwelgte nach seiner Weise. – Mit zerstreuter Verwunderung schlenderte ich einigemal an dem Arm meines Vetters den Seitengang hin und her. – Der überraschende Lärm hatte meinen Körper in etwas aus seinem Gleichgewicht gebracht. – Ich schmiegte mich nahe an die rechte Seite meines Führers, und lehnte meine rechte Hand rükwärts auf meine Hüfte. – Schon glaubte ich in dieser Stellung unter dem Getümmel unbemerkt durchschlüpfen zu können; schon fieng ich an über alle diese Tollhäuser philosophisch nachzudenken, als ich plözlich meine rükwärts gelehnte Hand feurig gepreßt fühlte! – Aergerlich blikte ich hinter mich, und sah... lauter gleich gekleidete Masken. – Es schien mir in diesem Falle schwer den Thäter zu unterscheiden; ich zog daher meine Hand ganz stillschweigend aus dieser Stellung. – Um Streitigkeiten zu verhindern, verschwieg ich diese neue Unverschämtheit meinem Vetter, indem ich glaubte nun sicher und ruhig an seiner Seite fortwandeln zu können. Aber umsonst, kaum hatte ich einige Schritte vorwärts gethan, so tändelte schon wieder eine Maske an meinen Haaren, die bis über meine Hüften hinunter hiengen. – Endlich zwang mich die Nothwendigkeit mit meinem Vetter in eine Gondel zu steigen, um nach Hause zu fahren. – Hier hast Du nun die Geschichte des heutigen Tags von

Deiner beßten Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 69-71.
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