CXVI. Brief

An Fanny

[121] Meine Liebste! –


Die Abreise der Schauspieler-Gesellschaft wurde festgesezt, der kleine Zug gieng nach S.... Ich genoß den Vorzug mit dem Direktor und seiner Favoritin zu fahren. Die Reise endigte sich mit ziemlichen Anstand. – Das erste Stük wurde gewählt, und die Hauptrolle darinn mir bestimmt. – Ich hatte diese Rolle zum voraus schon studiert, um glauben zu machen, als ob sie von mir schon anderswo gespielt worden wäre. – Die Favoritin, eine kleine dikke Kokette, die den Direktor unter ihren Pantoffel schiebt, hat die Direktion dieser Gesellschaft. – Sie zeigte ihre Herrschsucht besonders bei den Proben; machte dummdreiste Anmerkungen, hunzte die Schauspieler, lies aus Bosheit Szenen wiederholen, u.s.w.; nur mich ganz allein schonte sie, weil ich ihr fühlen lies, daß ich ihrer Führung gar nicht bedürfte. – Der Abend war herangerükt, das Schauspielhaus angefüllt; mir[121] pochte das Herz; meine Rolle nahm ihren Anfang, aber kaum hatte ich eine Stelle geendigt, so schallte schon lauter Beifall über und über. – Die feierlichste Aufmerksamkeit herrschte während meines Spiels. – Die Rolle harmonierte mir meinen Leidenschaften, sie war tiefsinnig schwärmerisch. – Diese Uebereinstimmung der Affekten war es, die in mir alle Theaterfurcht übertäubte. Ich genoß jene Wonne, die ein heimlich Leidender immer genießt, wenn der innere Gram durch heftigen Ausbruch Luft bekömmt.

Kein Mensch kam auf den Einfall in mir eine Anfängerin zu vermuthen. Das Publikum vergaß über dem Feuer meiner Deklamazion die Unrichtigkeit des Theaterspiels. – Meine zu Boden gesenkten Augen hielt man für die Folge einer hervorragenden Schwermuth, die mir durch Temperament eigen zu seyn schien, und die so gut zu der traurigen Rolle paßte. – Nun gieng das Schauspiel zu Ende, der Direktor kneipte mich in die Bakke, seine Favoritin rümpfte die Nase, die Schauspielerinnen flüsterten ihren Neid hinter den Koulissen aus – und ich gieng demungeachtet vergnügt auf mein Zimmer. – Der Beifall des Publikums schmeichelte mir zu sehr, um ihre Misgunst zu fühlen. – Aber wenig Tage hernach mußte ich eine etwas kältere Rolle spielen, worinnen meine heftigen Leidenschaften keine hinlängliche Beschäftigung fanden; dann fühlte ich zum erstenmal die Furcht einer Anfängerin in mir. – Doch verlies mich die Gegenwart des Geistes nicht, und niemand wußte, was in mir vorgieng. – Ob es aber in Ansehung der Oekonomie in die Folge bei dieser Gesellschaft Dauer haben wird, daran zweifle ich sehr. – Weiberregiment und schlechte Anstalten drohen ihr den baldigen Sturz; – bis izt erhielte ich meine richtige Bezahlung; aber: – aber... – Die eitle Favoritin spielte lezthin eine meiner Rollen, wurde aber durchs misvergnügte Publikum mit Auspfeifen zu Hause geschikt. – Nun rast sie furienmäßig,[122] und schreit es für angezettelte Kabale meiner Anbeter aus, ob ich gleichwohl noch keine männliche Seele auf meinem Zimmer sah. – Das Laster ist gar zu sehr geneigt, seines gleichen zu suchen. – Unter der ganzen Gesellschaft ist nicht eine Seele, mit der ich Umgang haben möchte. – Sie schrieen mich meiner einsamen Lebensart wegen für stolz aus, und nekken mich hier und da so viel sie können. – Gott gebe mir Standhaftigkeit, es ferner zu ertragen. – Sollte während dieser Zeit eine Veränderung vor sich gehen, so sollst Du es erfahren von deiner Freundin

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 121-123.
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