CXVIII. Brief

An Fanny

[124] Gott wolle mich ferner vor dergleichen Schauspieler-Gesellschaften bewahren! – Ich gerieth unter ein wahres Gesindel. – Einige davon wagten es sogar unter einer Ausrede in mein Zimmer zu schleichen, von meiner Toilette Silberzeug wegzukapern, Geld und Kleider von mir auszuleihen, wofür ich von diesem Lumpengepak nie wieder einen Ersaz zu hoffen habe. Das Elend dieses Volks hat seinen äußersten Grad erreicht. – Meine Ahndungen sind erfüllt. Der Direktor hat Bankrott gemacht. – Die Schuldner nahmen[124] ihm sogar seine Garderobe hinweg. Einige von der Gesellschaft können kaum mehr ihren Hunger stillen; und doch läßt sich dieses Volk durch einen teuflischen Leichtsinn beherrschen. – Ich würde unsinnig, wenn mich die Schande alle träfe, die diesem Gesindel von seinen Gläubigern zu Theil wird. –

Der Pöbel ist doch ein unverschämtes Wesen; wälzt sich im Kothe, ohne es zu fühlen. – Unser Direktor mit seinem Konkubinchen gedenket wieder nach Wien zurükzukehren. – Auch ich führe das Nemliche im Sinn, und will Dir in wenig Tagen, ehe ich diesen Brief schließe, das Weitere von meinem gefaßten Entschluß melden. –

Das gute Glük schikte dem Direktor eine Retourkutsche zu, und ich entschloß mich in seiner Gesellschaft zu fahren. – Als wir drei kaum im Wagen saßen, machte uns ein lauter Lärm aufmerksam. – Wir strekten unsere Köpfe heraus, und sahen einen tollen Auftritt. –

Zween von unsern Schauspielern balgten sich mit einigen Handwerksmännern gewaltig herum. – Ein Schuster hatte dem einen die unbezahlten Stiefel ausgezogen, und ein Schneider dem andern die Weste. Nun stunden die lokkern Hallunken halb entkleidet da, und schämten sich nicht vor den Gassenbuben, die sie mit Koth warfen. – Um der öffentlichen Schande, die uns alle traf, ein Ende zu machen, rief ich die Gläubiger vor den Wagen hin, und bezahlte die kleine Summe; – dann liefen diese Bursche singend und pfeifend neben unserm Wagen her, bis wir den ersten Gasthof erreichten, wo es dem Direktor zukam seine hungerigen Gäste zu füttern, ob er gleichwohl nicht einen blutigen Heller in der Tasche hatte. – Der leichtgläubige Strohkopf verlies sich auf die Börse seiner Favoritin; aber die Mahlzeit war geendigt, und sie blieb ihm verschlossen. – So zeigt sich im Nothfall das Herz einer Kokette! – sagt ich ihm ins Ohr – und drükte dabei eine kleine Summe in seine Hände. – Der[125] Mann fühlte innig meine Handlung! – Sein Dank hätte mich beinahe verrathen. –

So gering diese Ausgaben auch waren, so fühlte ich sie in meiner Lage doch. – Eine kleine Unterstüzzung, die ich von meinem Oheim erhielt, hat mich wieder dafür entschädigt. – In wenig Tagen reise ich nach P.... vielleicht gelingt es mir auf einem großen Theater besser; und ich kann Dir dann in Zukunft vergnügtere Nachrichten mittheilen.

Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 124-126.
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