CXXXII. Brief

An Fanny

[159] Liebste, Beßte! –


Daß die Gesellschaft, unter der ich mich gegenwärtig befinde, unter einer schlechten Direktion steht, wirst Du aus dem Gespräch mit dem Direktor geschlossen haben. – Uebrigens ist sie zahlreich, aber darbend an guten Schauspielerinnen. – Die Männer zeigen mehr Talent als die Weiber, und M.... spielt unter ihnen die lokkern Burschen-Rollen am beßten. – Daß mich das Publikum gut aufnahm, kannst Du leicht vermuthen. – Der Direktor scheut sich izt, mich mit offenem Blikke anzusehen. – O Gewissen! wie beredt ist deine Stimme! –[159] Sein Weibchen ist mir sehr gut, und ihn quält vermuthlich die Furcht an sie verrathen zu werden. – Er muß sein unbesonnenes Betragen izt besser überdacht haben. In dieser Rüksicht hätte ich also nicht Anlaß über seine Verfolgungen zu klagen. Aber sonst will mir die ganze Einrichtung nicht gefallen. – Es ist gar zu ärgerlich, wenn so wenig gute Schauspielerinnen bei einer Gesellschaft sind! – Man wird zu sehr mit Arbeit überhäuft, und dadurch entgeht dann einer Schauspielerin die Gelegenheit, mit einer andern in die Wette zu spielen. –

Madame M.... spielt mit vieler Lebhaftigkeit Kammermädchen, listige Bauermädchen, lose Fräuleins, u. dgl. Ihr Wuchs schikt sich ganz vortreflich dazu. – Sie würde in diesen Rollen mehr als mittelmäßige Schauspielerin werden, wenn ihr Ton, ihr Wesen, ihr Gang nicht zu sehr ins Niedrig-Komische fielen. – Sie läßt die ausgelaßne Dirne zu auffallend hervorblikken, und trift so selten zwischen zügelloser Wildheit und naivem Muthwillen die Mittelstraße. –

Madame K.... spielt ihre unschuldig leidenden Mädchen auch nicht ganz übel. – Aber gar zu oft nur kalt und flüchtig. – Sie arbeitet mehr aus Handwerk, als aus Lust, – und karakterisirt unter fünf Rollen kaum eine. Ihre Empfindung stünde ihr ziemlich zu Gebote, aber leider, wie so viele Schauspielerinnen, besizt sie einen zu leeren Kopf, um diese Empfindungen während des Spiels zu benüzzen. – Die Rollen, die ihr gerathen, – gerathen ihr mehr aus Zufall und Theater-Festigkeit.

Madame L... g ist die elendeste Schauspielerin unter der Sonne! – Ich begreife nicht, wie die Frau die Frechheit haben konnte, auf mehreren großen Theatern zu debutiren. Doch Ungeschiklichkeit ist immer am kühnsten, weil sie die Schwierigkeit der Kunst nicht einsieht. – Zu Liebhaberinnen wäre ihre Figur ganz artig, aber außer dieser ist sie auf[160] der Bühne ein bloser Kloz. Ihr schwäbischer Dialekt, ihre falschen Töne, ihre unsinnigen, kauderwelschen, verdrehten Worte, die ihr der Menge nach entfahren, machen sie unausstehlich. – –

Madame J.... hingegen spielt Mütter und Heldinnen mit vieler Würde und Feuer. – Es entgeht ihr selten eine Stelle, worinn sie nicht Werth zu legen weis. – Ihr Nachdruk hat Gewicht und ist gut angebracht. – Kurz sie besizt Beurtheilungskraft, Kenntnisse und vielen Fleiß. – In mancher Stelle dient sie mir zum Muster. –

Die Uebrigen von der Gesellschaft sind zu unbedeutend, um ihrer zu erwähnen. – Es werden hier viele gute Stükke aufgeführt, nur Herr M.... dürfte uns mit seinen eigenen Wischen verschonen, die er blos aus Eitelkeit zusammenschmiert. – Mit den moralischen Karaktern unserer Schauspielerinnen sollst Du im nächsten Briefe etwas näher bekannt werden. – Für heute tausend Küße von

Deiner Freundin Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 159-161.
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