CXXXVIII. Brief

An Amalie

[174] Meine Freundin! –


Wie doch der gefühlvolle Mensch in seinen leidenschaftlichen Augenblikken so hofnungslos lärmen kann! – Der Gram zeigt ihm in seiner Begeisterung den Abgrund schon offen, noch eh er sich geöffnet hat. – Aber auch nur liebende Menschen sind im Unglük zaghafter als andere, weil diese Hauptleidenschaft die geschwindeste und stärkste Zerrüttung in ihrem Gehirne anrichtet! –

So gieng es gerade mir. Ich bin eine von jenen Schwachen, die sich immer das Aergste träumen! – Wo bleibt doch mein Zutrauen in die Vorsehung? – Vergieb mir, gutes Weibchen, wenn ich Dich durch meinen leztern Brief zu sehr ängstigte! – Das Unglük kam zu überraschend, um mir jene Fassung zu lassen, deren ich bedurft hätte. – Doch dir, o Menschenbeherrscher, sey's gedankt, daß du mir mit meinem Karl auch meine Ruhe wieder schenktest! –

Der Verwundete starb nicht; die Sache blieb geheim; und mein einziger, beßter Karl wird in wenig Tagen wieder in meine Arme fliegen! – Feurig will ich ihn dann an mein Herz drükken und aufrufen: Ich habe dich wieder!!! – Ich habe dich wieder! –[174]

Diese wenige Wochen seiner Abwesenheit dünkten mir eine schröklich lange Ewigkeit zu seyn! – So sehr bin ich an den Umgang dieses Lieblings gewöhnt, daß es mir eine Unmöglichkeit scheint ihn jemals entbehren zu können. – Wie kann es doch Eheleute geben, die einander zur Last werden können? – Eine Verbindung, die auf gutes Herz, Rechtschaffenheit, Vernunft und wahre harmonische Denkungsart gegründet ist, hat ja keine Flitterwochen. – Wie können die Reize eines denkenden Mannes in den Augen eines denkenden Weibes ihre Neuheit verlieren, wenn eben dieser Mann durch tausend häusliche Gefälligkeiten, durch sein gutes Herz, durch seine Nachsicht diese Reize alle Augenblikke auszudehnen und zu erneuern weis? – Die Empfindsamkeit eines denkenden Weibchens muß dann aus Dankbarkeit gegen ihren Gatten auf die nemliche Weise handeln. – Ketten sich denn nicht solche Herzen mit der seligsten Zufriedenheit immer mehr und mehr zusammen? – Selbst das Sinnliche unter zwei denkenden Eheleuten verliert seine Neuheit nicht, weil Denken seinen Gebrauch zu verfeinern weis. – Es gab eine Zeit, wo mir eheliche Glükseligkeit unbegreiflich war; wo ich blos nach dem Beweis so vieler misrathenen Ehen urtheilte; wo mir diese Sprache Romanensprache dünkte. – Aber nun bin ich anders überzeugt, und werde von nun an jedem denkenden Mädchen zurufen: Suche dir einen Gatten, der mit dir empfindet, der der Wiederhall deines Herzens ist, und der dich verstehet! –

Bald, meine Amalie, hoffe ich mit meinem Karl auch vor der Welt vereinigt zu werden. – Stößt dir dann einstens wieder ein guter Junge auf, o so folge doch meinem Beispiel! –

Ist es möglich! – Also auch der gute Direktor N.... erlebt in dem traurigen W... das Schiksal so vieler Künstler? – Pfui der Schande, daß Dürftigkeit und Verfolgung gemeiniglich Belohnung der beßten Talenten ist! – Aber der Adel muß sich selbst zuerst auszeichnender aus der Dummheit[175] herausschwingen, wenn er Verdienste will zu schäzzen wissen. –

Nicht wahr, Amalie, Du meldest mir doch bald, wo Du Dich hinzuwenden gedenkest, und glaubst mich doch immer

Deine unveränderliche Freundin

Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 174-176.
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