CXLV. Brief

An Amalie

[194] Ich will heute deinen ersten Brief ganz übergehen, weil er mehr das Theater-Wesen als Dich selbst betrift; und mich eben deswegen blos an den zweiten halten. –

Kümmere Dich nicht, meine Amalie, über die Feindseligkeiten die unter eurer Gesellschaft herrschen. – Entferne Dich von diesen Leuten, so viel es Dir nur möglich ist; erfülle deine Pflicht, und überlaß dann das Uebrige dem Allgewaltigen. –[194]

Nun eile ich zu einem Geschäfte, das mir vielleicht deinen Unwillen zuziehen wird, wenn ich es mit der äußersten Aufrichtigkeit werde vollendet haben. – Wird sich nicht dein ganzes Herz gegen mich empören – wenn ich deine Lieblings-Idee zu stören wage? – wenn ich aus dem mir mitgetheilten Briefe in jenem jungen Manne Züge entdekke, die mir nicht gefallen wollen? – Traue deinem Herzen nicht so leicht wieder; es war immer die Quelle deines Unglüks! – Begeisterung – augenblikliche Empfindsamkeit eines Jünglings, sind noch lange nicht Festigkeit in der Liebe. –

Wie kann ein denkender junger Mann, den Verlust einer Geliebten beklagen indem er um eine andere buhlt? – Ist er von ihrer Untreue überzeugt, besizt er Ehrenliebe, dann muß sie ganz aus seiner Seele verbannt seyn! – Ist er es nicht, – dann begeht er ein doppeltes Verbrechen: – hintergeht die erste und betrügt die zweite. –

Auch kann er ihr Bildnis eben so wohl aus beleidigter Eitelkeit zerrissen haben, als aus wahrem Schmerz. – Diese rasche Handlung beweist unüberlegtes Feuer – aber deswegen noch nicht ein zur Liebe geschaffnes Herz. – Die wahre Liebe, meine Beßte, zeigt sich mit mehr sanftem Gram, der untilgbar in der kranken Seele umherschleicht. – Der junge Mann scheint ein brausender, empfindlicher Kopf zu seyn, der seine Neigungen wenig auf Ueberlegung gründet. Ich muß es sagen, denn ich bin es der Freundschaft schuldig, so schwer es mich auch ankömmt.

Was soll denn das Du gegen ein Frauenzimmer, mit der er noch in keiner so nahen Verbindung steht? Ist das nicht Uebereilung? – Ist es nicht Geringschäzzung? – Doch weiter zum ersten Absazze seines Briefs: –

»Du bist fort, und meine Seele ist Dir nach! – Das mag Dir der Anblik dieses Briefs beweisen, der noch vor Dir in U... eintreffen wird.« –[195]

Die Eilfertigkeit seines Briefs beweist weiter nichts, als eine hochgespannte Schwärmerei, die durch Abwesenheit und Langeweile gereizt wurde. – Wenn ihn auch dein Umgang zu diesem Enthusiasmus hinriß, so konnte er in so kurzer Zeit eben so wenig dein Herz kennen, als Du das seinige kanntest. – Kann man ein redliches Herz mit so vieler Unbesonnenheit hinwerfen? –

»Holdes, vortrefliches Weibchen! – wie ganz hast Du das Bild einer Ungetreuen aus meinem Herzen vertilgt; und wie unendlich ersezzest Du mir einen Verlust, der mich ohne Dich vielleicht noch lange martern würde! –«

Fühltest Du denn die Beleidigung dieses Sazzes nicht? – Was? deine Vorzüge sollen nur dazu gemacht seyn, ein Herz auszuflikken, das eine andere Undankbare zerriß? – Wie kann dieser Junge solche Gleichnisse anstellen? –

»Heute besuchte ich jenes grüne Pläzchen auf dem bewußten Spaziergange, wo sich mein Herz Dir ganz aufschloß. Die Erinnerung riß mich dann wieder von der seligsten Freude zur tiefsten Schwermuth hin.« –

Wie kann ein zärtlicher Liebhaber über eine Liebe freudig entzükt seyn, die er selbst noch auf Hofnungen hinaussezt? – Der wahre leidenschaftliche Liebhaber zittert bei einer solchen Ungewisheit, und fühlt nicht eher ruhige Freude, als bis er mit seinem Mädchen vor dem Altare steht. –

»O! wenn mir doch mein Schiksal bald die Freude gönnte, Dich, gutes Weib, für deine ausgestandenen Leiden schadlos zu halten! wie äußerst froh wollte ich dann seyn!«

Dazu braucht es die Gunst des Schiksals nicht! – Besizt der junge Herr, Kopf, Talenten, Fleiß, und liebt er Dich ohne glänzende Absichten, dann wird er auch das Schiksal zwingen können. –

»Meine Lage ist noch etwas unvermögend, aber sie wird[196] bald besser werden, um Dich, Theuerste, von meiner Liebe überzeugen zu können.«

So spricht der Biedermann nicht! – Fühlt er die Unmöglichkeit einer Verbindung, dann reizt er kein gutes Geschöpf zur Leidenschaft. Liebe, diese allmächtige Bezwingerin, muß ihm Stärke geben durchzudringen, und dann schildert er aufrichtig seine Lage und berathschlagt sich darüber mit seinem Liebchen. –

»Daß ich Dich ohne sinnliche Absicht liebe, das hast Du am Morgen unseres Abschiedes gesehen. Wußte ich mir nicht zu gebieten? – Sag, hab ich Dich auch nur mit einer Miene beleidigt? –«

So etwas ist ja die Schuldigkeit eines jeden ehrliebenden Mannes, wenn er es mit einem wohlgezogenen Frauenzimmer zu thun hat. – Folglich kein Verdienst, womit man prahlen soll. –

»Ehe Du ganz mein bist, will ich unser Band nicht enger knüpfen. – Aber, hörst Du, ganz mußt Du mein werden; das ist der eigentliche Verstand einer gutartigen Liebe.« –

Und der Liebe beßte Sicherheit, eheliche Verbindung. – Wenn es ihm wirklich Ernst wäre, Dich zu heirathen, dann würde er deutlicher sprechen. –

»Wenn Dir etwas zustößt, oder was Dich immer für ein Schiksal treffen mag, so wende Dich an mich; ich bin ja dein einziger beßter Freund!« –

Hier blikt eine Spure gutes Herz hervor, wenn es nicht Eitelkeit ist.

Und nun, meine Beßte, wären das meine Gedanken über deine neue Bekanntschaft. – Schlägt dein Herz ohne Eitelkeit, ohne Verblendungssucht, blos für mich, dann kannst Du nicht zürnen über die Aufrichtigkeit einer Freundin, die mit ungeheuchelter Wahrheit blos für dein Wohl besorgt ist. –

Fanny.[197]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 194-198.
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