CXLVIII. Brief

An Fanny

[202] Verzeihung, Edelste! – Verzeihung einer Undankbaren, die Dich im lezten Briefe mit so übereilter Hizze behandeln konnte! – Ich mache mir izt selbst die bittersten Vorwürfe über die tolle Eigenliebe, womit ich Dir widersprach. – Du sollst sehen, daß ich in der Bekanntschaft mit dem jungen Mann mit aller Vorsicht handeln will. – Indessen muß ich seine Liebe doch zu unterhalten suchen, weil sie mir bei meiner Rükkunft in St... Erleichterung meines Schikals verspricht. –[202] Durch dieses Freundes Vermittelung wird mich dann der Direktor mit mehrerer Schonung behandeln müßen. – Es wäre überflüßig, Dir die vielen Schikanen zu schildern, womit mich izt der alte Sünder und sein löblicher Anhang zu unterdrükken sucht. – Seit etlichen Monaten wurde mir kaum eine gute Rolle zu Theil. – Die übrige Zeit sizze ich müßig, oder muß dann zum Nothstok dienen, wenn eine andere Schauspielerin gähling krank wird. – Es ist unverantwortlich, wie der Idiot mit mir verfährt! – Die gränzenlose Eitelkeit seines Weibes und seiner Mätresse zwingen den Dummkopf wider seinen eigenen Vortheil zu handeln. – Lezthin schikten sogar einige Herrschaften ihre Bedienten in meine Wohnung, und ließen sich um die Ursache erkundigen, warum ich so selten auf der Bühne erschiene. – Als sie erfuhren, daß es aus Kabale geschähe, stellten sie den Direktor darüber zu Rede, der sich aber durch allerlei Lügen meisterhaft aus der Sache zu ziehen wußte. – Mir ist eine Besoldung zur Last, die ich im Stande bin ohne Faullenzen und Müßiggang durch mein Talent zu verdienen. –

In wenig Wochen kehrt die Gesellschaft nach St... zurük; dann muß sich das Blatt wenden!

Indessen höre ein allerliebstes Abentheuer, das mir hier begegnete: – Ein gewisser Fürst von *** besuchte vor einigen Tagen inkognito unsere Bühne, sah mich, und bekam die Grille mir ein Billet zuzusenden, wovon ich Dir die Abschrift, so wie von meiner Antwort beischließe, damit Du sehen kannst, wie bescheiden ich ihn zurükwies. –

Große Herren haben große Schwachheiten; – das ist nun einmal richtig. – Bis izt hat mich mein Gesicht, das auf keine blendende Schönheit Anspruch machen kann, noch ziemlich vor solchen Avanturen geschüzt; – und ich war dessen herzlich froh; – denn ich hielt es immer für die größte Beleidigung, bei den Männern blos aufs Sinnliche zu wirken. –[203]

Darinnen ist gewis meine Denkungsart von derjenigen anderer Weiber sehr unterschieden; und wenn mir auch die Natur alle mögliche Reize zugetheilt hätte, so würde ich sie in der Liebe doch nur als ein glükliches Ungefähr betrachten, – als eine Gabe, die beim geringsten Fieber verschwinden kann, und alsdann so vielen Frauenzimmern blos einen leeren Schädel zurükläßt; durch welche Veränderung ihnen die Eroberungen, die blos auf das Körperliche angesehen waren, eben so geschwind wieder entgehen, als sie dieselben gemacht hatten. –

Der denkende Anbeter liebt ein mittelmäßiges Gesicht auch schwärmerisch, wenn angenehmer Umgang, Geist, Herz und Vernunft eines Frauenzimmers seine Einbildungskraft zu beschäftigen wissen. – Die Schönheit verliert durch die Gewohnheit; die mittelmäßige Gestalt hingegen gewinnt durch die Reize des Geistes, die keine Gewohnheit verältert. – Ein Philosoph – ein Denker muß noch mein Mann werden – oder ich heisse nicht

Amalie.


Billet des Fürsten von ***.


Madame! –


Ich habe Sie gestern in einem Trauerspiel spielen gesehen. – Das Feuer, womit Sie in Affekt geriethen, gefiel mir äußerst, und brachte mich auf den Gedanken, daß in Ihrer Seele Anlagen zu heftigen Leidenschaften liegen müßen. – Um dieses Vorzuges willen könnte ich leicht Ihre mittelmäßige Bildung einer Schönheit vorziehen. – Ich liebe eigentlich rasche Frauenzimmer, und duldete noch nie an meinem Hofe kaltblütige Schlafmüzzen. –

Zu dem hat man mich auch versichert, daß Sie Vernunft und Bildung besäßen; welches bei ihrem lebhaften Geiste leicht zu glauben ist. – Können Sie sich entschließen bei mir die Stelle einer Gesellschafterin anzunehmen, so soll[204] Ihre ohnehin misvergnügte Lage bald eine bessere Wendung bekommen. –

Ich bin zwar nicht mehr in den Jahren, wo ich Ihnen gefallen kann; – aber meine Bemühung soll Sie ein kummervolles Leben vergessen machen; und die werden Sie doch nicht mit Undank belohnen wollen? – Ich erwarte eine Antwort, und bin

Ihr geneigter Fürst von ***.


Antwort.


Ihro Durchlaucht! –


Wenn Ihnen mein gestriges Spiel gefiel, so bin ich unendlich für meine Mühe durch Ihren gnädigen Beifall belohnt. – Uebrigens bin ich gewis, daß alles Feuer meiner Leidenschaften nicht für Ihro Durchlaucht taugen wird, wenn ich Sie versichere, daß eben diese Leidenschaften unter der Herrschaft meiner Vernunft stehen, und nach meinen Grundsäzzen nie ins Sinnliche ausarten dürfen. – Obgleich Sie meiner mittelmäßigen Bildung die Gnade anbieten, sie einer Schönheit vorzuziehen, so würde mir doch mein großmüthiger Stolz nie erlauben, Dero geschmakvollen Sinnen Zwang aufzubürden. –

Daß Ihro Durchlaucht rasche Frauenzimmer lieben, ist leicht zu vermuthen: – Der Ueberfluß, worinnen Sie als Fürst leben, kann Ihre Leidenschaften leicht in den Grad der Wärme bringen, worinnen Sie dann gerne den Wiederhall in Andern erblikken möchten. –

Ob ich nun Vernunft und Bildung besizze, darf ich aus Bescheidenheit nicht selbst entscheiden. – Aber so viel liegt unstreitig in meiner Erziehung, daß ich mich nie entschließen könnte, die Gesellschafterin eines Fürsten zu werden, der mich blos zum Zeitvertreib wählte, da indessen mein feineres Gefühl sich darüber empören würde. –[205]

So misvergnügt meine Lage auch immer ist, so genieße ich doch einer Ruhe, die mir aller Glanz nicht verschaffen könnte. – Auch denke ich zu redlich, um Ihro Durchlaucht in Dero Jahren zu hintergehen; und ich bin nicht gesonnen meine Neigung um Wohlthaten hinzugeben, wozu mir weder mein Stand noch mein Herz Erlaubnis giebt. –

Ihro Durchlaucht werden geruhen, einem Frauenzimmer diese lebhafte Aufrichtigkeit nicht übel zu deuten, die gewohnt ist, gerade so bieder zu sprechen, als sie denkt. –

In dieser Zuversicht habe ich die Ehre mit aller Unterthänigkeit zu seyn

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 202-206.
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