CLI. Brief

An Fanny

[210] Die Ueberraschung, als ich dein Glük vernahm, hat mir eine dankbare Freuden-Thräne entlokt! – Warm dankte ich dem Schöpfer für die ewige Verbindung zwoer so edler Seelen! – Aber darf ich es wohl ohne Erröthen gestehen, daß mich dein gütiger Antrag nicht so ganz entzükte, als es seine Großmuth verdient hätte? – Es blieb in meinem Herzen ein gewisses unbefriedigtes Etwas übrig. – Und was meinst du wohl, daß es seyn möchte? – Ists möglich? – Du bist Braut, schwärmst in den Armen der Liebe, geniessest Seligkeiten, um die Dich Engel beneiden, kennst mein Gefühl, und erräthst es doch nicht! – Auch mein Herz klopft einem Gatten entgegen! – Auch ich nährte Hofnungen, auf die ich schon lange eine idealische Glükseligkeit gründete! – Auch ich suchte schon lange einen biederen teutschen Jüngling – aber umsonst! –

Die Liebe warf mir in meiner Geburts-Stunde ihren Fluch zu! – Für mich hat der Himmel Niemand geschaffen, der mir mit Gatten-Liebe die Beschwerlichkeiten des Lebens tragen hälfe! – Selbst die Bekanntschaft mit dem jungen Manne wird mir fehlschlagen; ich ahnde mein Schiksal schon zum voraus! – Deine Prophezeihung trift ein! – Lies folgende Karakteristik von ihm, die ich blos für Dich entwarf. –

Im Grunde ein gutes Herz, aber dabei flüchtig, eitel, und ohne feste Grundsäzze. – Ueberfluß an Wankelmuth, der aus Mangel an Ueberlegung entsteht und den lokkern Jungen eben so geschwind wieder von der Liebe wegreißen wird, als ihn Lebhaftigkeit des Temperaments daran fesselte. –[210]

Hinlängliche Vernunft, Gutes vom Bösen zu unterscheiden, doch zu faselnd, zu zerstreut, um darüber nachzudenken. – Nicht fühllos, aber vom übeln Beispiel und französischer Galanterie schon zu sehr verdorben, empfindet er die Liebe nur augenbliklich und verliert dieses Gefühl eben so leicht wieder, wenn ihn neue Reize oder Eitelkeit zur Ausschweifung einladen. – Nur selten überdenkt er eine Sache, handelt meistens aus Ungefähr, wie es der Anlaß gerade mit sich bringt. – Sein Enthusiasmus in der Liebe ist Stroh-Feuer, brennt schnell, brasselt, stinkt, und verlöscht! –

Gutherzigkeit treibt er bis zur Verschwendung, nur nicht aus Grundsäzzen, mehr aus Schwachheit, als aus Ueberlegung. – Oft offenherzig bis zur Unbesonnenheit, und dann wieder zur Unzeit verschlossen, bis zur Heuchelei und Lüge. – Roh, unbescheiden gegen unser Geschlecht – und in gewissen leichtsinnigen Augenblikken der ungereimteste Wildfang, den ich je kannte. – Er studiert weder sein eignes Herz, noch seine Leidenschaften; seine Grundsäzze sind zusammengeraffte Waare, die ein widersprechender Hauch zertrümmern kann! – Ueber sich selbst denkt er nie nach, als wenn ihn Widerwärtigkeiten oder Langeweile dazu zwingen. – Rasch in seinen Entschlüssen, aber verzagt wie ein Kind, wenn er Widerstand findet. – Das sanfte Gefühl der Liebe kennt er nur aus Büchern. – Sein Herz wäre vielleicht noch einer Besserung fähig, wenn wahre Liebe die Seele zum Denken, zur Sanftmuth und zur strengsten Untersuchung seiner Handlungen leitete. – Doch dazu glaub ich nicht, daß es mit ihm ein Frauenzimmer bringen wird, und wenn sie auch aus dem Elysium käme! – Welche Sterbliche wäre wohl fähig, Lügen aus einem Herzen zu tilgen, die durch Leichtsinn, Gewohnheit, Flatterhaftigkeit schon so tief hinein gegraben wurden? –[211]

Durch die sanfte, nachgebende Güte eines Weibes wird er noch zügelloser, – das habe ich schon erfahren – und durch strenge Vorwürfe wird er gar halsstarrig – und verzagt. –

Das ist ungefähr das Bildnis dieses Jünglings, der dem allem ungeachtet doch so artige Briefe schrieb, die mich zu seinem Vortheil einnahmen. – Gute Nacht, Liebe! – Gute Nacht! –

Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 210-212.
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