CIV. Brief

An Amalie

[218] Daß die Weiber doch so sehr geneigt sind auf Extremitäten zu verfallen! – Ein unstreitiger Beweis, daß unsere weichen, empfänglichen Herzen nur zu leicht in Schwachheiten ausarten, besonders wenn wir nicht daran gewöhnt sind aufmerksam über uns selbst zu wachen. –

Theure Amalie! – Bei Allem, was Dir werth ist, beschwöre ich Dich, gieb in deiner Lage auf dein Herz Acht! – Uebersiehst Du darinnen nur den geringsten Flekken, dann bist Du für Ehre und Rechtschaffenheit verloren! – Ich kenne zwar deine reine, unbefangene Seele, deine eingeschränkten Begierden, deine Ehrliebe, und bin überzeugt, daß Dich blos Lebhaftigkeit und Haß gegen das andere Geschlecht zu solchen kleinen Eitelkeiten verleitet, worüber Dir beim Nachdenken selbst ekkeln wird. – Ich bin versichert, daß bei deiner lachenden Gestalt, bei dem Schein deiner Fröhlichkeit dein gefühlvolles Herz im Stillen an der tödtlichsten Langeweile kränkelt! – Der Ton der großen Welt ist eine armselige Sache, weil weder Redlichkeit noch aufrichtige Herzenssprache seine Unterhaltung leitet. Sich wechselsweise vorlügen; einander die lächerlichsten Thorheiten zu Markte tragen helfen;[218] sich vieles sagen, woran das Herz keinen Theil hat; seine offene, vertrauliche Seele in heimliches Mistrauen hüllen zu müßen; das Laster in der ganzen Häßlichkeit unter mancherlei Gestalten ertragen lernen; Schurken und Betrüger nicht anfeinden dürfen; – was hältst Du von so einem Zustand? – Kann es für ein empfindsames Herz etwas Unerträglicheres geben? – Sind nicht innerliches Misvergnügen und Abscheu die heimlichen Mörder deiner Zufriedenheit? – Stört nicht das Getümmel deine sanfte Gemüthsruhe, wenn die Augenblikke der Ueberlegung zurükkehren? – Warum willst Du Dich auf deine Unkosten an Unwürdigen rächen, die doch immer ungebessert bleiben werden? – Ist so ein herzloses Betragen, so eine verstellte Vermummung deinem erhabenen Geiste wohl angemessen gewesen? – Dein Herz muß bittere Unzufriedenheit fühlen, wenn Dir diese glattzüngigen Heuchler mit schamloser Stirne Dinge vorschwazzen, die deine gutartige, unverdorbene Seele empören! – Wenn sie Dir auch in öffentlichen Gesellschaften, von der Eitelkeit und vom Beispiel angespornt, vorschmeicheln, bis Du aus ihren Augen verschwindest; treiben sie dann nicht hinter deinem Rükken mit Vorurtheil und übler Meinung ihr teuflisches Gespött und ihre ehrenschänderische Verläumdung? –

Warum willst Du Dich wegen einem schlechtgesinnten Menschen ganzen Schaaren seines gleichen aussezzen? – Dein Herz wird dadurch nach und nach alles Gefühl für Wohlwollen und Liebe verlieren. – Die Gewohnheit des Welttons wird Dich zur gefälligen Maschine umschaffen, die sich mit abwesendem Herzen, mit böser Neigung, mit gallsüchtigen Ideen nach den Wünschen der Mode dreht. – Du wirst Andern eben so wenig Gutes zutrauen, als sie Dir zutrauen werden. – Nein, Amalie! – das ist nicht der Weg, dein Herz vom Männer-Haß zu heilen. – Leichtsinn würde sich dabei einschleichen; und Leichtsinn ist schon ein großer Sprung zur[219] Verderbnis des Herzens und zur Verunedlung der Seele. – Rechne die immerwährenden Verdrüßlichkeiten, das üble Urtheil, die schiefen Auslegungen der Andern und die Bitterkeiten weg, die Du hie und da von bösen Mäulern über dein Betragen wirst hören müßen; und was bleibt Dir dann übrig, als ein zerrissenes Herz? – Ich kenne deine Empfindlichkeit für deinen guten Namen; ich weis, daß die geringste Anmerkung Dich bis in den Tod kränken kann. – Und nun urtheile von meinem Kummer über deine kleinen Verirrungen. –

Halte meine Erinnerungen nicht für Verdacht wegen deinem Lebenswandel. – Ich kenne das Innerste deines Herzens, weis recht gut, daß es blos Schiksale und erlittene Mishandlungen sind, die Dich zuweilen auf eine kurze Zeit verstimmen. – Dein gutes Gemüth, deine fühlende Seele, dein feuriger Kopf bedürfen blos einer guten Leitung. – Die sanfte Vermahnung einer guten Freundin wird dein gekränktes Herz, deine verwirrten Sinnen von den Irrthümern reinigen, die Dir am Ende gefährlich werden könnten. – Du bist warm für Tugend und Moral, und wirst nie eines Lasters fähig seyn. – Aber auch Schwachheiten muß die Denkerin zu vermeiden suchen; – Schwachheiten, die ihr den Schein der Rechtschaffenheit benehmen. – Die Lobsprüche Anderer zu erwerben, soll nie die Triebfeder unserer guten Handlungen seyn, sondern eigene Ruhe und Bestreben nach Glükseligkeit, zu der wir geschaffen sind. – Ich kann zwar von deiner Jugend nicht jene zurükhaltende Ernsthaftigkeit fodern, welche zu behaupten dein Feuer nicht zuläßt; – nichtsdestoweniger bitte ich Dich, handle mit Klugheit, bewache dein Herz, verunstalte nicht durch Leichtsinn deine Seele, und liebe

Deine beßte Fanny.[220]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 218-221.
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