CLXI. Brief

An Fanny

[237] Traute, liebe Freundin! –


Du kränkst mich doch mit deinen vielen Bedenklichkeiten noch halb zu Tode! – Ich danke Dir immer für deine gütige Sorgfalt, aber Du mußt dich auch von dem guten Karakter meines Freundes überzeugen wollen. – Zu viel Furcht verbittert das Leben; nach mehreren Prüfungen wird übertriebenes Mistrauen endlich zur Beleidigung. – O und seine Seele ist doch so truglos, seine Vernunft so gebildet, sein Herz so rein, daß man ihm gut seyn muß! – Mitunter ist er freilich ein Bischen Brauskopf, eine Folge seiner Lebhaftigkeit, die aber die sanfte Güte seines Herzens gleich wieder entwaffnet. Jede seiner Handlungen wird von dem feinsten Ehrengefühl geleitet, er fühlt die Erhabenheit seiner Seele, aber ist demungeachtet weder eitel, noch hochmüthig; selbst in der Liebe (die seine einzige Glükseligkeit auszumachen scheint) kann er nicht kriechen. –

»Für jezt, (sagte er mir lezthin) für jezt bin ich mit Ihrer Freundschaft zufrieden. Können Sie mir einstens[237] mehr schenken, dann ist mein Glük ohne Gränzen! – Aber ich werde nichts erbetteln, nichts erschleichen, nichts ertrozzen.« –

Wie gefällt Dir dieser neue Zug aus seinem Karakter? – Ist er nicht der Beweis seines gefühlvollen, edeln Stolzes? – Wie unterscheidet sich der Edle von den gewöhnlichen Männern, die bei der Bekanntschaft eines Frauenzimmers alle Kunstgriffe anwenden, um eine eigennüzzige Eroberung zu erhaschen. – Wie absichtslos, wie unbefangen zeigt sich seine Liebe; wie weich, wie empfänglich ist seine Seele für jedes Gefühl der Tugend! – Und in dies Geschöpf sollte ich noch Mistrauen sezzen? – Ich sollte ihn noch länger von mir entfernen? – Noch länger nicht hinsinken an seinen warmen, klopfenden Busen? –

Rede mir doch in Zukunft nichts mehr von seinem vorigen Mädchen! – Er hat, er mußte die Elende ganz vergessen, sonst würde mir seine Vernunft verdächtig geworden seyn. – Noch nie fand ich ihn in seinen Entschlüßen wankend; er ist in seinen Leidenschaften nicht Weichling; er kennt den Werth der wahren Liebe, und weis sie durch Standhaftigkeit zu adeln. – Bis Morgen bleibt dieser Brief noch ungesiegelt; hernach das Weitere. –


Des andern Tages.

Er ist vorbei der Augenblik der seligsten Vereinigung! – Unsere Herzen haben sich einander ganz aufgeschlossen! – Wilhelm B.... gehört mein, und wird es auch ewig bleiben! – Ha! der Wonnetrunkenheit, die mich berauschte, als er den ersten warmen Kuß auf meine glühenden Lippen drükte! – Als er mich mit hinreißender, feuriger Begeisterung seine Gattin nannte! – Wie er dabei so feurig mich an sein lautpochendes Herz drükte, und wie er doch mitten im Taumel der Liebe Herr über seine gereizten Sinnen blieb! – Ist das etwa nicht der größte Beweis seiner auf Hochachtung[238] gegründeten Neigung? – Erhebt ihn nicht seine bescheidene Schüchternheit über tausend andere Alltags-Liebhaber? – Wo ich nur hinblikke, entdekke ich in ihm Seelen-Vollkommenheiten, die mich entzükken! – Gott! – Wie gränzenlos sind die Glükseligkeiten der ächten Liebe! – Und alle diese Glükseligkeiten warten in Wilhelms Armen auf mich!!! –


Einige Tage hernach.

So sind denn die Freuden dieses Lebens immer mit Bitterkeit gewürzt! – Hätte ich dies wohl vor einigen Stunden vermuthet? – Mein Gatte (denn das ist er izt vor Gott) mein Gatte leidet wegen meiner von seinen Verwandten die schröklichsten Verfolgungen! – Sie hätten ihn gerne von mir gerissen, die Habsüchtigen, aber es gelang ihnen nicht; er kämpfte wie ein Biedermann, bot dem Vorurtheile Troz, und ist jezt viel feuriger, viel schwärmerischer (wenn es je möglich ist) als zuvor! – Hindernisse sind in der Liebe ein mächtiger Sporn; aber er wird diese Hindernisse alle übersteigen! Kümmere Dich nicht, meine Freundin, er ist Mann; tausend noch ärgere Kabalen werden ihn doch nicht von der Seite seines Weibes reißen! – O, ich kenne ihn; er trägt ein teutsches Herz im Busen und würde aus Liebe einer Hölle trozzen, wenn sie sich gegen ihn auflehnte! – Groß ist seine Seele, entschlossen sein Muth und unnachahmlich seine Zärtlichkeit! – Künftigen Posttag die sichere Nachricht von meinem Brauttag, wenn nicht der Fluch des Schiksals auf mir ruht, nie, nie glüklich werden zu dürfen!!! –


Amalie.[239]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 237-240.
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