LXXXIII. Brief

Fanny an Amalie

[12] Meine Beßte!


Wollte der Himmel, daß alle Martern deiner sinkenden Kräfte deinem abscheulichen Manne auf die Seele fielen, damit er büßen möchte für deine Gesundheit, die er Dir so mörderisch raubte! – Gott! verzeihe mirs! – Noch nie hat mein Herz Böses gewünscht. Aber wäre es denn auch möglich, den Werth und die Leiden einer Amalie zu kennen, und nicht Dem zu fluchen, der so einen Engel mishandelt? – O meine gutherzigste Dulderin! – Wenn Du mich je liebtest, so raffe Dich auf von den Gefahren des Todes, die so drohend deiner warten! – Um Gotteswillen pflege mit aller Vorsicht deiner Gesundheit! – Bei meiner Liebe, bei den heiligsten Banden der Freundschaft beschwöre ich Dich, muntere Dich auf, verscheuche durch Zerstreuung den Kummer, der dein armes Herz benagt! Der Gedanke, Dich vielleicht zu verlieren, ist für mich eine folternde Angst, und reißt mich zur tiefsten Wehmuth hin! – So selten findet man auf Erden ein Herz wie das deinige, und wer würde mir denn die Wonne der süßesten Vereinigung wiedergeben, wenn Du für mich hinwelktest in den Staub der Verwesung? – Ha! – deine fürchterliche Schwermuth hat mich durch und durch erschüttert! – Was doch dein Schiksal ein unglaubliches Labyrinth ist! nur wenige Menschen würden seine andauernde Härte begreifen. – Ich selbst mit all meiner Ueberzeugung stand schon oft staunend dabei stille, und schlug die Hände über mir zusammen, wenn mir die Erfahrung für die Wirklichkeit bürgte.[12] Die meisten Menschen würden deine Geschichte für das Hirngespinste irgend eines melankolischen Dichters halten, wenn sie ihnen unter die Augen käme, denn man ist zu sehr gewöhnt, in Romanen Lügen zu finden. Auch fehlt es den meisten Menschen zu sehr an Erfahrung, um das so mannigfaltige heimliche Elend ihrer Mitmenschen zu glauben. – Bosheit und Verfolgung wird unter ihnen zu heuchlerisch getrieben, um den Umfang ihrer Vertilgung zu kennen. – Nur dem Auge des Menschenkenners sind solche Schiksale begreiflich, der große Haufen hüpft darüber weg, sobald er das Unglük nicht auf dem öffentlichen Markte ausgeschrieen findet. – Besonders gehen in der Liebe und Ehe oft Dinge unter beiden Geschlechtern vor, die man bei den wildesten Nazionen kaum antrift. – Es scheint, als ob alle Güte des Herzens bei Männern und Weibern in der Liebe und Ehe verschwunden wäre. Man findet gerade da die unmenschlichsten Grausamkeiten, wo die sanften Bande des Gefühls ihre beßte Wirkung thun sollten. – Da doch aber Liebe und Ehe in dem menschlichen Leben die größten Epochen ausmachen, so sollten sich die Moralisten besonders Mühe geben, die gegenseitigen, so sehr einreißenden Mishandlungen durch gute, vernünftige Lehren zu verhindern. Wenn die Liebe den Menschen zum sanften Nachdenken hinreißt, warum sollte die Liebe nicht auch in jedem Stand Gutherzigkeit und Vernunft hervorbringen? – Aber leider wird in unsern verdorbenen Zeiten die Liebe zur Buhlerei herabgewürdigt! – Man knüpft ihre tugendhaft seyn sollende Bande nur körperlich, und dann bleibt ihr nichts mehr übrig, als Sättigung. Selbst die Romanendichter entheiligen die Liebe mit ihren unächten Schilderungen. – Sie machen diese vortrefliche Lehrmeisterin zur empfindelnden Sucht, oder im Gegentheil zur heuchlerischen Heldin, die in der schwachen Menschheit keine Nachahmer findet. Die Menschen würden ihre beiderseitigen Betrügereien in der Liebe weit eher[13] unterlassen, wenn das Männer- Herz durchs Denken moralischer, besser, und das weibliche stärker würde. – Von übelm Beispiele angestekt, scheut sich kein Jüngling mehr, die Liebe durch Leichtsinn zu entweihen, und eine weinende, genoßene Unschuld barbarisch der öffentlichen Schande zu opfern! – Eben so wenig als eine diebische Kokette es für Verbrechen hält, ganze Reihen voll Jünglinge an Seel und Leib zu Grunde zu richten. Gerade so sündhaft geht es in den jezzigen meisten Ehen zu. Der Mann brutalisirt das schwächere Weib, und sie beschimpft ihn dafür im Dunkeln in den Armen eines Eheschänders! – Doch weg, meine Freundin, von einem Gemälde, das jezt gar nicht für dein blutendes Herz taugt. Könnt ich Dich doch mit etwas Beßerm trösten, als mit der Hofnung einer glüklichern Zukunft, die Dir in diesem Leben noch alles versüßen muß, was Dich bisher so gräßlich peinigte! – Ha! – Wie gerne würde ich all meine Vernunft zu diesem Vorsaz aufbieten, die meiner Freundin vielleicht Linderung verschaffte! – Aber wir arme Menschen sind so ohnmächtig in unsern Unternehmungen, und können weiter nichts als blos wünschen. – Doch sey ruhig, mein liebes, gutes, sanftes Malchen, und freue Dich über ein wohlwollendes, freundschaftlich pochendes weibliches Herz, weil Du keines unter den Männern fandest, das feurig genug für Dich schlug! Ist dieses Andenken in einer so feindseligen Welt nicht Trost genug, um die Stunden deines Harrens zu erleichtern? – Fasse Dich, meine sanfte Amalie! Fasse Dich, und wähle Dir je eher je lieber einen ruhigern Aufenthalt, wo bessere Tage deiner warten, als in dem Umgang eines blutdürstigen Tiegers, der Dich in seiner Gallsucht unmenschlich würgte! – Tausend Segen, Theuerste, zu deiner Trennung – und von mir Millionen Küße mit einem Herzen voll schwesterlicher Liebe! –


Deine zärtliche Fanny.[14]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 12-15.
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