LXXXV. Brief

An Amalie

[17] Millionen Glükwünsche zu deiner Erlösung, gutes, sanftes Weibchen! – Die Nachricht davon erfüllte mich mit unbeschreiblichem Entzükken! – Meine Freude über deine Rettung brachte mich in einen Taumel von Seligkeit, dem ich mich nachher freiwillig überlies, um mich von der Wirklichkeit derselben ganz zu durchdringen. – O du gute, vortrefliche Seele, vergoßest noch Thränen bei dem Abschiede eines Undankbaren, der Dich vielleicht für die ganze Zeit deines Lebens unglüklich gemacht hätte! – Aber, meine geliebte Amalie, deine gutherzige Schwachheit ist demungeachtet weit von jener sinnlosen Schwäche verschieden, die man bei unserm Geschlechte leider so oft findet! – Ein Weib, das nicht denkt; – und wie viele denken denn? – Ein Weib ohne moralisches System, ist ein Wesen ohne Grundfeste, das der blose Hauch des Lasters zu jeder Ausschweifung hinreißen kann. Wenn der Kopf eines Weibes ihrer Reizbarkeit nicht Grundsäzze entgegensezt, dann ist sie verloren für Ehre und Tugend. – Mangel an Denken macht sie bei ihrer ohnehin schwachen Anlage wankelmüthig, leichtsinnig, eitel, und bereitet ihr am Ende manchmal unwillkührlich das Grab ihrer Tugend. Bei den meisten Weibern wird Liebe und Freundschaft verwahrloset oder gar verrathen, wenn ihre angeborne[17] Schwachheit durch Gewohnheit zum Laster ausartet. Ihr Herz führt sie ohne Beistand des Kopfs bei den geringsten Versuchungen irre. Das weibliche Herz ist von der Natur zu weich geschaffen, und ist durch seine Schwäche, wenn es nicht durch Vernunft zum Nachdenken geleitet wird, allzu empfänglich fürs Böse. – Die Ausschweifung der Weiber hat von jeher an Größe und Mannigfaltigkeit die Tollheiten der Männer übertroffen. Man wird immer weit mehr sträfliche Weiber als sträfliche Männer finden; denn der Kopf taugt bei den wenigsten Weibern etwas, und dann sinken sie gedankenlos hin in alle Fehler der Menschheit, die sich ihrer Schwachheit darbieten: Bosheit, Dummheit und Eitelkeit sind ihre mächtigsten Triebfedern zu allen übrigen Ausschweifungen. Die meisten Weiber sind zu wankelmüthig, um in der Liebe und Freundschaft jene Standhaftigkeit zu behaupten, die das Glük derselben ausmacht. Aus Romanensucht verliebt sich wohl hie und dort ein Mädchen; aber kaum hat sie die Hinderniße der Liebe überstiegen, so gelüstet es ihrem lekkern Gaumen schon wieder nach etwas anderem. – Das Wort Weib ist ein ewiges Geheimnis, dessen Karakteristik nie kann entwikkelt werden. Ich habe manches Weib durch Liebe sehr glüklich gesehen, die in den Armen ihres Gatten alle nur mögliche Glükseligkeit zu genießen schien, und doch war oft der elendeste Stuzzer im Stande, die geheiligten Bande eines Biedermannes zu beflekken. Die abscheuliche Eitelkeit macht so viele Weiber zu tändelnden Kindern, denen man so leicht Flittergold, statt dem ächten, in die Hände drükken kann. Das nichtdenkende Weib bleibt blos am Sinnlichen hangen und ist samt seinem weichen Herzen nur zu oft das Opfer eines schöngewachsenen Schandbubens. Schmeichelei und Eigennuz macht den größten Haufen von Weibern zu elenden Werkzeugen der Wollust, dessen sich jeder Bösewicht bedienen kann, wenn er Kunst dazu besizt. – Siehst Du,[18] Amalie, so ist unser Geschlecht beschaffen. Ein Geschlecht, dem die meisten männlichen Schriftsteller so vielen Weihrauch streuen, so daß es sich nicht einmal bessern kann, wenn es auch schon wollte. – Fehler aus Höflichkeit nicht aufdekken wollen, war nie meine Sache, und das Bestreben die Mängel meines eigenen Geschlechts zu verbergen, würde mich zu jener elenden Eigenliebe herabwürdigen, die so leicht an kriechendes Wesen gränzt. – Wenn ich mir denn auch das Nasenrümpfen meiner eitlern Mitschwestern dadurch zuziehe, so ertrage ich es weit leichter als die Beschuldigung einer heuchlerischen Schilderung, die mir von Kennern zur Last gelegt werden könnte, die mit Aufmerksamkeit unser Geschlecht studiert haben. Giebt es nun unter unserm Geschlechte zuweilen auch Ausnahmen, so mögen mir diese Wenigen durch ihr ruhiges Gewissen beweisen, daß sie über eine Wahrheit nicht böse seyn können, die nur die Schuldigen trift. – Keine Würdige wird sich so leicht in meine Schilderung eindringen, dahingegen eine Getroffene sich vielleicht von selbst aus beleidigter Eitelkeit verräth. Aufrichtigkeit war von jeher mein erster Grundsaz, und ich kann unmöglich durch dieselbe meine Mitschwestern beleidigen, wenn bei ihnen die Verstellung nicht schon ganz die Aufrichtigkeit verdrängt hat. – Zu dem kümmere ich mich auch um unser Geschlecht zu wenig, als daß sein Zorn mich kränken könnte. Weiberzorn ist ja oft so ungegründet, und gränzt so sehr an tausendfache Dummheit! – Der Neid meines Geschlechts war von meiner ersten Jugend an mein Gegner, und meine Gespielinnen verfolgten mich oft aus Gewohnheit, aus Langerweile, aus Hang zur Verläumdung, aus Misgunst, nie aber aus Ueberzeugung eines an mir entdekten Lasters. Ich liebte sie als Menschenfreundin alle, wie sie mir aufstießen, aber schäzzen konnte ich, wegen ihren abgeschmakten Bosheiten, nur wenige. – Wirklich, meine Amalie, außer[19] Dir wird wohl mein Herz ewig der Freundschaft und Achtung für dieses Geschlecht verschloßen bleiben. – Aber, nicht wahr, meine Theuerste, heute verweile ich zu lange bei einem Punkte, der fast den ganzen Raum dieses Briefs anfüllt? – Nun will ich aber auch geschwind wieder zu dem Aufenthalt deines Klosters zurükeilen: Ich zittere für deine Gemüthsruhe, meine Liebe; ich entdekte in deinem Briefe zu viel Schwermuth, um diese einsamen Mauern nicht als deine heimlichen Mörder zu betrachten, die Dich durch ihre betrügerischen Reize zur tödtlichen Melankolie hinreißen werden! – Es liegt eine gefährliche Anlage zur Verrükkung der Sinnen in Dir; Du nährst mit Wollust einen Hang, den das Unglük schon so tief in deiner Seele Wurzel fassen lies, um ihn wieder so leicht ausrotten zu können. Hüte Dich, Amalie, vor zu langwieriger Einsamkeit, sie würde in kurzer Zeit dein Blut vollends verdikken. – Und dann, wenn ich noch die Bedürfniße deiner Empfindsamkeit bedenke, o, so möchte ich laut aufrufen: O gütiger Allvater im Himmel! schenke meiner Amalie bald wieder einen andern, bessern Gatten, in dessen Armen sie für Leib und Seele Nahrung findet! – Lebe wohl, liebenswürdiges Weibchen, und vergiß nicht deine traute


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 17-20.
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