XC. Brief

An Amalie

[33] Herzens-Weibchen! –


Du hast in deinem Brief mit Wahrheit und Nachdruk über den beiderseitigen Betrug in der Liebe gesprochen, und ich stimme Dir von Grunde des Herzens darinn bei. Nur zuerst noch ein Wörtchen von der weiblichen Eitelkeit: – Ja, meine Freundin, diese abscheulichste aller Thorheiten beherrscht das weibliche Geschlecht bis zur Sträflichkeit. – Auch das dümmste Weib ist selten zum Puz zu dumm. Es scheint, als ob die Eitelkeit im Mutterleibe schon auf die Töchter fortgepflanzt würde. Diese sträfliche Neigung hält unser Geschlecht vom Denken ab, und macht aus Menschen blos Affen, die sich nach der Modegrille drehen. So viele Weiber taumeln träumend, mit ihrer Eitelkeit beschäftigt, die Tage ihres Lebens durch, und erinnern sich erst auf dem ungepuzten Sterbebette, daß sie Diebinnen der kostbaren Zeit waren. – Der Fehler rührt von der Mutter her, weil sie durch eigenes Beispiel ihrer Tochter leichtsinnig den Weg des zeitlichen und ewigen Verderbens zeigt. Ein elender Wunsch zu gefallen, macht die alte Matrone eben so erfinderisch im Puzze, als das junge schlecht erzogene Mädchen, die unter der Leitung ihrer koketten Mutter ihre größten Pflichten über der Mode versäumt. – Die erfinderischen eiteln Frauenzimmer haben[33] die Reinlichkeit in kostbaren Staat verwandelt, der Ehemänner zu Grunde richtet, und Jungfrauen zu Buhldirnen macht. Dieser abscheuliche Hang öffnet das Herz eines Weibes dem Neid und der Misgunst. – Ehrabschneiderei hat unter den Frauenzimmern am meisten ihren Aufenthalt, weil ihre eiteln Herzen so leicht über den schönern Puz ihrer Gespielinnen bluten. Kurz, Eitelkeit ist für ein schwaches weibliches Herz der erste Wegweiser zu allen Ausschweifungen. Kein Laster hält schwerer unter den Weibern auszurotten, als gerade Eitelkeit. – Eben durch diese wird oft im ehrlichsten Weibe eine heimliche Eroberungssucht genährt, die über kurz oder lang ihren Mann gewis beschimpft. – Nur die liebende Gattin unterhält mit Geschmak und mäßigem Aufwande ihre reinlichen Kleider, und gefällt ihrem liebenden Manne weit besser, als die übertünchte Kokette ihrem buhlenden Stuzzer, dessen flatternder Neigung sogar am schönsten Puzze ekkelt. – Würden die Weiber über ihre Bestimmung mehr nachdenken lernen, so bliebe ihnen zur verschwenderischen Eitelkeit keine Zeit übrig, die sie dann mit Buhlen oder Schminken tödten müßen. Sie tragen ja blos ihre verhunzte Larve zu Markte, und kümmern sich nicht, um den leichtgläubigen Käufer, wenn er nur ihre Eitelkeit, ihren Eigennuz befriedigt. – Die Männer haschen mit ihren feurigern Trieben blos nach dem, was sich ihnen so leicht darbietet, und vergessen im Taumel ihrer Befriedigung, daß sie eine öffentlich feile Waare vor sich haben. Eine Menge solcher feiler, eitler Weiber sind nicht im Stande, eine Männerseele zu reizen, und mitten im Genuß schon verlieren sie des Mannes Achtung. – Dann eilt dieses Männervolk auf den Flügeln der Wollust und Galanterie von Körper zu Körper, und vermißt bei so vielen Weibern das, wodurch er zur ernsthaften moralischen Liebe gefesselt werden könnte. Gewis, Freundin! – Viel ist es auch die Schuld[34] der Weiber, daß die Mannsleute überall hin flattern und so oft der bloßen Schale nachjagen. Die üble Gewohnheit, nur Bedürniße zu befriedigen, reißt unter jungen Leuten so sehr ein, daß sie darüber Menschenliebe, Ehre, gutes Herz und Rechtschaffenheit aus der Acht lassen. Wenn ihre rohen Triebe gesättigt sind, dann kümmern sie sich wenig um das Geschehene, und wenn es auch die gräßlichsten Folgen nach sich zöge! Der vorbeieilende Taumel des Temperaments verhärtet das Herz eines Jünglings gegen das Weheklagen eines Gegenstandes, der seinem Körper blos augenblikliche Dienste leistete. Kopf und Seele wird bei einer solchen Handlung zu wenig in dem flattern den Jüngling intereßirt, als daß eine solche Gehülfin durch ihren Dienst auf einige Schonung und Rüksicht hoffen könnte. Die blos thierische Befriedigung ist der äußersten Hartherzigkeit fähig. Jünglinge, die ihre Leidenschaften nicht durchs Denken verfeinern, verkennen am Rande des Grabes noch ihr eigenes Blut; und nur zu oft fließen die Thränen einer verführten Unschuld für ihren angewöhnten Leichtsinn ohne sie zu rühren; leicht vergessen ist von den Grausamen ein Mädchen, die sich ihren Lüsten anvertraute. – Treulosigkeit in der Liebe ist ein so gemeines Laster, daß man es unter den Menschen schon ohne Ahndung duldet. Der Fehler dieser Unbeständigkeit liegt auch sehr viel im weiblichen Geschlechte, weil es die Männer aus Mangel am Denken zu nichts Besserm gewöhnt. – Leichtsinn in der Liebe ist so üblich unter den Mannsleuten geworden, daß ein rechtschaffenes Frauenzimmer bei einem Liebesantrag eher zwanzig Jünglingen ins Gesicht schlagen sollte, ehe sie es wagte, Einem zu glauben. – Die gutherzigsten Mädchen werden gerade am meisten betrogen, weil ihnen Unbeständigkeit fremd ist. Wie manche gute weibliche Seele überläßt ihr ganzes Daseyn einem heuchlerischen Schurken, der schlechtes Herz genug hat, sie nach dem Genuß zu verlassen. Aber[35] alle Flüche der Erde sind eine zu leichte Strafe, für so einen Lügner, der die Kühnheit hat, die ganze Ruhe eines armen Geschöpfs zu zernichten! – Galere und Gefängniße sollten für dergleichen Ungeheuer eben so wohl offen stehen, als für andere Mißethäter, die vielleicht nie mit Vorsaz ein gutes Herz zerfleischten! – Wenn der vertrauliche Umgang eines ehrlichen Frauenzimmers so schändlich misbraucht wird, so hat die Arme das Recht einer Natur zu fluchen, die ihr Triebe gab, um sie aus Gefühl und Gutherzigkeit zur ewigen Schande von einem Ehrenräuber misbrauchen zu lassen. – So bald der Ruf eines Frauenzimmers untadelhaft ist, so begeht ein Jüngling das größte Verbrechen, wenn er sie nach dem Genuß verläßt! – Dieses enge, entzükkende Band der seligsten Wonne, kann von einem denkenden Jüngling nie ohne Meineid gebrochen werden. So wie es ihm bei der feilen Befriedigung keine Pflichten, nur Abscheu auflegt; eben so unzerreißlich muß es ihn in den Armen eines ehrlichen gefühlvollen Frauenzimmers binden, die voll Zutrauen ihre Ehre, ihre Ruhe, ihre ganze Seligkeit einem Geliebten überlies. – O der unmenschlichen Grausamkeit! nach so einem warmen Zutrauen, nach so vielen Entzükkungen diejenige zu verlassen, welche die Schöpferin eines Vergnügens war, das man ewig nie in den Armen einer feilen Dirne findet. – Möchten nun Jünglinge und Mädchen über meine Beobachtung nachdenken, Sie würden hineilen in die Arme der Liebe – und Schwelgerei, Eitelkeit und Bedürfnis nur den Lasterhaften überlassen. – Nächstens ein Mehreres von deiner Dich liebenden


Fanny.[36]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 33-37.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen