XCIII. Brief

An Amalie

[44] Theuerste, liebste Amalie! –


Ich habe mich satt über deinen Weiberkrieg gelacht! – Der Sieg, den Du aber auch davon trugst, war herrlich! – Du hast[44] es gewagt, dem Vorurtheil und seinen Anhängern zu beweisen, daß man ihnen trozzen kann, wenn man anders den Muth dazu hat. Aber nimm Dich in Acht, Amalie, Du wirst überzeugt werden, daß diese Geschichte Dir unter dem Weibsvolke Feindseligkeiten zuziehen wird. Die Nonnen werden Dich durch tausend Nekkereien so lange quälen, bis Du ihr Kloster gerne freiwillig verlässest. Die Verfolgung der Bigotterie ist anhaltend hartnäkkig, und ruht nicht eher, als bis der verfolgte Gegenstand sie von selbst flieht, oder zu Boden liegt! – Wie viele brave Männer haben leider dies Schiksal schon erlebt! – Der äußerste Winkel der Erde war oft keine sichere Freistätte für solche Märtirer der Wahrheit, die es wagten, den Misbräuchen und Vorurtheilen die Stirne zu bieten. Kaiser Joseph und König Friedrich waren die Schuzgötter so vieler von der Andachtssucht ins Elend verwiesener Unglüklichen, die mit der Aufrichtigkeit eines ehrlichen Mannes die Heuchelei entwaffneten, womit gutherzige Christen so viele Jahre durch geprellt wurden. Sei vorsichtig, meine Liebe! die Schlingen unter dem Dekmantel der Religion gelegt, sind weit gefährlicher, als Du Dir vorstellst. Weißt Du nicht, Weiberhaß ist gränzenlos, er erreicht erst dann sein Ende, wenn die so ihn besizt in den lezten Zügen liegt. Also vorsichtig, mein Malchen! – Doch nun zu der Unterrichtung deiner Kostgängerinnen, die mir äußerst wohlgefiel. Es dürfte sich wohl mancher Vorsteher einer deutschen Schauspielergesellschaft diese Art merken, damit er sein Häuschen erträglicher stimmte, als die vielen herumschweifenden schlechten Gesellschaften, die außer dem Schuldenmachen und der Buhlerei nicht das geringste von der Kunst verstehen. Du hast es durch deine Bemühung bewiesen, daß die Kunst blos durch starke Uebung und Fleis zu einer gewissen Vollkommenheit zu bringen ist. Aber noch immer verfehlt die deutsche Bühne ihren Endzwek; noch immer[45] stiftet sie mehr Schlechtes als Gutes, schaffet mehr unerträgliches Zeugs als Unterhaltung. Noch immer nicht ist diese Bühne rein von schlechtem Lebenswandel und abscheulichen Lastern. Noch immer predigt die Ausschweifung selbst eine verdächtige Moral, die im Munde des lüderlichen Schauspielers entheiligt wird. Ordnung und Gesezze zieren nur ganz wenig einige Nazionaltheater; unmöglich sind diese wenigen gutgesitteten Theater im Stande, den moralischen Nuzzen zu ersezzen, der von so vielen herumziehenden Dieben und Diebinnen der Tugend durch ihr übles Beispiel geraubt wird. Man möchte vor Entsezzen schaudern, wenn man das herumstreichende verkappte Laster in den kleinsten Städten willkommen sieht. – Keine Obrigkeit scheint sich um diese heimlichen Stifter des Verderbens zu kümmern. Würde man nur wenige Bühnen dulden, und diese wenigen durch scharfe Gesezze in Ansehung der Sittlichkeit im Zaume halten, so hätte die kleinere Anzahl gesitteter Schauspieler bequemeres Brod zu genießen, und die übrige Menge von Landstreichern würden in ihre schändliche Atmosphäre zurükkehren, woselbst sie dem Zuchthause gewis nicht entgangen wären, wenn sie nicht bei einer solchen Gesellschaft Zuflucht gefunden hätten. – Amalie, um Gotteswillen thue nur in der äussersten Noth diesem Hang zum Theater Genüge! – Du würdest Dir unbeschreibliche Leiden über den Hals laden. Denke nur einmal dem giftigen Neide nach, der Dich armes gefühlvolles Mädchen so geschwind ins Grab drükken würde. – Ewig nie würdest Du, eben so wenig als ich, mit deiner Aufrichtigkeit die wetterläunische Gunst der boshaften Theaternimphen erhalten; gerade so wenig, als Du mit deiner Beinkleidergeschichte den Anmerkungen einiger alten Zieraffen von Weibern entgehen wirst. So naiv, launigt und wahr Du sie skizzirtest, so wird sie doch ihrer Heuchelei, mit der sie gewohnt sind, ihre Keuschheit zu übertünchen, ein großes[46] Hindernis seyn. Diese heimlichen Sünderinnen scheuen sich nur, öffentlich von Beinkleidern zu sprechen, und sättigen dann ihre verborgene Lüsternheit unter vier Augen. – O, man traue nur keinem Weibe, wenn sie Ziererei affektirt! denn dadurch verräth sie gerade Kenntnis des Lasters. – Ein schuldloses Geschöpf giebt jedem Kleidungsstük den einfachen Sinn, und findet ohne Erfahrung des Gegentheils nicht leicht eine Zweideutigkeit darinne. – Glaube mir, Beßte; die Frauenzimmer, welche am ersten über ein anstößiges Wort in Gesellschaft schreien, hören es am liebsten, und entdekken nichts Neues darinn. Die wahre Tugend bleibt mitten in allen Versuchungen kalt, und hängt unerschütterlich fest an den Grundsäulen ihrer Reinheit. – Das Frauenzimmer, das beim übeln Beispiel zwischen Verachtung und Wohlgefallen einen Mittelweg findet, ist gewis das vernünftigste und tugendhafteste. Ein feiner Scherz entehrt ein Frauenzimmer eben so wenig, als ganz gewis eine grobe, kühne Zote sie in Gesellschaften beschämt. – Aftertugend herrscht so allgewaltig in diesem Punkt unter den Frauenzimmern, und nur wenige wissen sich durch feinen Wiz die Achtung eines Menschenkenners zu erwerben, der heuchlerische Ziererei von der Aechtheit des Karakters zu unterscheiden weiß. – Wenn die Weiber über ihr Loos nachdenken wollten, sie würden bis zu ihrer lezten Stunde nicht fertig. – Doch, meine Beßte, für heute muß ich von Dir Abschied nehmen, weil es meine Geschäfte erfodern. – Leb indessen ruhig, zufrieden, bis deine Fanny Dir bald wieder sagen wird, wie sehr sie Dich liebt! – –[47]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 44-48.
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