6.

[62] Wolken, wälderwärts gegangen,

Wolken, fliegend übers Haus,

Könnt ich an euch fest mich hangen,

Mit euch fliegen weit hinaus!


Tag'lang durch die Wälder schweif ich,

Voll Gedanken sitz ich still,

In die Saiten flüchtig greif ich,

Wieder dann auf einmal still.


Schöne, rührende Geschichten

Fallen ein mir, wo ich steh,

Lustig muß ich schreiben, dichten,

Ist mir selber gleich so weh.


Manches Lied, das ich geschrieben

Wohl vor manchem langen Jahr,

Da die Welt vom treuen Lieben

Schön mir überglänzet war;[62]


Find ich's wieder jetzt voll Bangen:

Werd ich wunderbar gerührt,

Denn so lang ist das vergangen,

Was mich zu dem Lied verführt.


Diese Wolken ziehen weiter,

Alle Vögel sind erweckt,

Und die Gegend glänzet heiter,

Weit und fröhlich aufgedeckt.


Regen flüchtig abwärts gehen,

Scheint die Sonne zwischendrein,

Und dein Haus, dein Garten stehen

Überm Wald im stillen Schein.


Doch du harrst nicht mehr mit Schmerzen,

Wo so lang dein Liebster sei –

Und mich tötet noch im Herzen

Dieser Schmerzen Zauberei.

Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 62-63.
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