Frisch auf!

[122] Ich saß am Schreibtisch bleich und krumm,

Es war mir in meinem Kopf ganz dumm

Vor Dichten, wie ich alle die Sachen

Sollte aufs allerbeste machen.

Da guckt am Fenster im Morgenlicht

Durchs Weinlaub ein wunderschönes Gesicht,

Guckt und lacht, kommt ganz herein

Und kramt mir unter den Blättern mein.

Ich, ganz verwundert: »Ich sollt dich kennen« –

Sie aber, statt ihren Namen zu nennen:

»Pfui, in dem Schlafrock siehst ja aus

Wie ein verfallenes Schilderhaus!

Willst du denn hier in der Tinte sitzen,

Schau, wie die Felder da draußen blitzen!«

So drängt sie mich fort unter Lachen und Streit,

Mir tat's um die schöne Zeit nur leid.

Drunten aber unter den Bäumen

Stand ein Roß mit funkelnden Zäumen.[122]

Sie schwang sich lustig mit mir hinauf,

Die Sonne draußen ging eben auf,

Und eh ich mich konnte bedenken und fassen,

Ritten wir rasch durch die stillen Gassen,

Und als wir kamen vor die Stadt,

Das Roß auf einmal zwei Flügel hatt,

Mir schauerte es recht durch alle Glieder:

»Mein Gott, ist's denn schon Frühling wieder?« –

Sie aber wies mir, wie wir so zogen,

Die Länder, die unten vorüberflogen,

Und hoch über dem allerschönsten Wald

Machte sie lächelnd auf einmal halt.

Da sah ich erschrocken zwischen den Bäumen

Meine Heimat unten, wie in Träumen,

Das Schloß, den Garten und die stille Luft,

Die blauen Berge dahinter im Duft,

Und alle die schöne alte Zeit

In der wundersamen Einsamkeit.

Und als ich mich wandte, war ich allein,

Das Roß nur wiehert' in den Morgen hinein,

Mir aber war's, als wär ich wieder jung,

Und wußte der Lieder noch genung!


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 122-123.
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