2.

[301] Staunend auf den Göttersitzen

Die Unsterblichen nun stehn,

Sehn den Morgen drüben blitzen,

Fühlen Duft herüberwehn,

Und so süßes Weh sie spüren,

Lösen leis ihr Schiff vom Strand,

Und die Lüfte sie verführen

Fern durchs Meer zum jungen Land.


O wie da die Quellen sprangen

In die tiefe Blütenpracht

Und Lianen dort sich schlangen

Glühend durch die Waldesnacht!

Und die Wandrer trunken lauschen,

Wo die Wasserfälle gehn,

Bis sie in dem Frühlingsrauschen

Plötzlich all erschrocken stehn:


Denn sie sehn zum ersten Male

Nun die Sonne niedergehn

Und verwundert Berg' und Tale

Tief im Abendrote stehn,

Und der schönste Gott von allen

Sank erbleichend in den Duft,

Denn dem Tode ist verfallen,

Wer geatmet ird'sche Luft.


Die Genossen faßt ein Grauen,

Und sie fahren weit ins Meer,

Nach des Vaters Haus sie schauen,[301]

Doch sie finden's nimmermehr.

Mußten aus den Wogenwüsten

Ihrer Schiffe Schnäbel drehn

Wieder nach des Eilands Küsten,

Ach, das war so falsch und schön!


Und für immer da verschlagen

Blieben sie im fremden Land,

Hörten nachts des Vaters Klagen

Oft noch fern vom Götterstrand. –

Und nun Kindeskinder müssen

Nach der Heimat sehn ins Meer,

Und es kommt im Wind ein Grüßen,

Und sie wissen nicht woher.

Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 301-302.
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