Die Brautfahrt

[302] Durch des Meeresschlosses Hallen

Auf bespültem Felsenhang,

Weht der Hörner festlich Schallen;

Froher Hochzeitgäste Drang,

Bei der Kerzen Zauberglanze,

Wogt im buntverschlungnen Tanze.


Aber an des Fensters Bogen,

Ferne von der lauten Pracht,

Schaut der Bräut'gam in die Wogen

Draußen in der finstern Nacht,

Und die trunknen Blicke schreiten

Furchtlos durch die öden Weiten.


»Lieblich«, sprach der wilde Ritter

Zu der zarten, schönen Braut,

»Lieblich girrt die sanfte Zither –

Sturm ist meiner Seele Laut,

Und der Wogen dumpfes Brausen

Hebt das Herz in kühnem Grausen.


Ich kann hier nicht müßig lauern,

Treiben auf dem flachen Sand,[302]

Dieser Kreis von Felsenmauern

Hält mein Leben nicht umspannt;

Schönre Länder blühen ferne,

Das verkünden mir die Sterne.


Du mußt glauben, du mußt wagen,

Und, den Argonauten gleich,

Wird die Woge fromm dich tragen

In das wunderbare Reich;

Mutig streitend mit den Winden,

Muß ich meine Heimat finden!


Siehst du, heißer Sehnsucht Flügel,

Weiße Segel dort gespannt?

Hörst du tief die feuchten Hügel

Schlagen an die Felsenwand?

Das ist Sang zum Hochzeitsreigen –

Willst du mit mir niedersteigen?


Kannst du rechte Liebe fassen,

Nun so frage, zaudre nicht!

Schloß und Garten mußt du lassen

Und der Eltern Angesicht –

Auf der Flut mit mir alleine,

Da erst, Liebchen, bist du meine!«


Schweigend sieht ihn an die milde

Braut mit schauerlicher Lust,

Sinkt dem kühnen Ritterbilde

Trunken an die stolze Brust:

»Dir hab ich mein Los ergeben,

Schalte nun mit meinem Leben.«


Und er trägt die süße Beute

Jubelnd aus dem Schloß aufs Schiff,

Drunten harren seine Leute,

Stoßen froh vom Felsenriff;

Und die Hörner leis verhallen,

Einsam rings die Wogen schallen.[303]


Wie die Sterne matter blinken

In die morgenrote Flut,

Sieht sie fern die Berge sinken,

Flammend steigt die hehre Glut,

Überm Spiegel trunkner Wellen

Rauschender die Segel schwellen.


Monde steigen und sich neigen,

Lieblich weht schon fremde Luft,

Da sehn sie ein Eiland steigen

Feenhaft aus blauem Duft,

Wie ein farb'ger Blumenstreifen –

Meerwärts fremde Vögel schweifen.


Alle faßt ein freud'ges Beben –

Aber dunkler rauscht das Meer,

Schwarze Wetter schwer sich heben,

Stille wird es ringsumher,

Und nur freudiger und treuer

Steht der Ritter an dem Steuer.


Und nun flattern wilde Blitze,

Sturm rast um den Felsenriff,

Und von grimmer Wogen Spitze

Stürzt geborsten sich das Schiff.

Schwankend auf des Mastes Splitter,

Schlingt die Braut sich um den Ritter.


Und die Müde in den Armen,

Springt er abwärts, sinkt und ringt,

Hält den Leib, den blühend warmen,

Bis er alle Wogen zwingt,

Und am Blumenstrand gerettet,

Auf das Gras sein Liebstes bettet.


»Wache auf, wach auf, du Schöne!

Liebesheimat ringsum lacht,

Zaubrisch ringen Duft und Töne,

Wunderbarer Blumen Pracht

Funkelt rings im Morgengolde –

Schau um dich! wach auf, du Holde!«[304]


Aber frei von Lust und Kummer

Ruht die liebliche Gestalt,

Lächelnd noch im längsten Schlummer,

Und das Herz ist still und kalt,

Still der Himmel, still im Meere,

Schimmernd rings des Taues Zähre.


Und er sinkt zu ihr vor Schmerzen,

Einsam in dem fremden Tal,

Tränen aus dem wilden Herzen

Brechen da zum erstenmal,

Und vor diesem Todesbilde

Wird die ganze Seele milde.


Von der langen Täuschung trennt er

Schauernd sich – der Stolz entweicht,

Andre Heimat nun erkennt er,

Die kein Segel hier erreicht,

Und an echten Schmerzen ranken

Himmelwärts sich die Gedanken.


Scharrt die Tote ein in Stille,

Pflanzt ein Kreuz hoch auf ihr Grab,

Wirft von sich die seidne Hülle,

Leget Schwert und Mantel ab,

Kleidet sich in rauhe Felle,

Haut in Fels sich die Kapelle.


Überm Rauschen dunkler Wogen

In der wilden Einsamkeit,

Hausend auf dem Felsenbogen,

Ringt er fromm mit seinem Leid,

Hat, da manches Jahr entschwunden,

Heimat, Braut und Ruh gefunden. –


Viele Schiffe drunten gehen

An dem schönen Inselland,

Sehen hoch das Kreuz noch stehen,

Warnend von der Felsenwand;

Und des strengen Büßers Kunde

Gehet fromm von Mund zu Munde.[305]


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 302-306.
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