Die weinende Braut

[317] Du warst so herrlich anzuschauen,

So kühn und wild und doch so lieb,

Dir mußt ich Leib und Seel vertrauen,

Ich mocht nichts mehr, das meine blieb!

Da hast du, Falscher, mich verlassen

Und Blumen, Lust und Frühlingsschein,

Die ganze Welt sah ich erblassen,

Ach Gott, wie bin ich nun allein![317]


Wohl jahrlang sah ich von den Höhen

Und grüßte dich vieltausendmal,

Und unten sah ich viele gehen,

Doch du erschienst nicht in dem Tal.

Und mancher Lenz mit bunten Scherzen

Kam und verflog im lust'gen Lauf,

Doch ach! in dem betrognen Herzen

Geht niemals mehr der Frühling auf.


Ein Kränzlein trag ich nun im Haare,

In reichen Kleidern schön geschmückt,

Führt mich ein andrer zum Altare,

Die Eltern sind so hochbeglückt.

Und fröhlich kann ich mich wohl zeigen,

Die Sonne hell wie damals scheint,

Und vor dem Jauchzen und dem Geigen

Hört keiner, wie die Braut still weint.


Die Frühlingslieder neu beginnen –

Du kehrst nach manchem Jahr zurück,

Und stehest still, dich zu besinnen,

Wie auf ein längstvergangnes Glück.

Doch wüst verwachsen liegt der Garten,

Das Haus steht lange still und leer,

Kein Lieb will dein am Fenster warten,

Und dich und mich kennt niemand mehr.


Doch eine Lerche siehst du steigen

Vom Tal zum blauen Himmelsport,

Ein Bächlein rauschet da so eigen,

Als weinte es in einem fort.

Dort haben sie mich hingetragen,

Bedeckten mir mit Stein den Mund –

Nun kann ich dir nicht einmal sagen,

Wie ich dich liebt aus Herzensgrund.


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 317-318.
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