2. Gesang

[78] Grad kehrte Gottvatter beim Schwanenwirth ein,

Zu trinken ein Schöpplein vernünftigen Wein,

Wollt' restauriren den Magen,

Darein ihm der Aerger geschlagen.


Ihn hatte der Schwanenwirth nie noch geseh'n

So wild und so zornig ins Wirthshaus 'reingehn,

Und ihm fährt in die Glieder der Schrecken,

Als der Hergott den Grund thut entdecken.


"Du kennst mich, ich bin ein langmüthiger Mann,

Ich drücke ein Aug zu, so lang als ich kann,

Aber ganz kann ich außer mich kommen,

Wenn Alles und gar nichts will frommen.


Fang' ich einmal zu verzürnen mich an,

So weißt Du, es hindert kein Mensch mich daran,

Und in meiner verlorenen Ruhe

Weiß ich selber nicht mehr, was ich thue.


Da komm' ich heut Mittag, die Zeit weiß ich nicht,

Ich hatte gerad an der Sonn' was gericht',

Vom Sinai runter nach Theben -

Die führen ein lästerlich Leben.


Da sitzen sie über bei Würfel und Spiel,

Polizeistund' die kennen sie gar nicht am Nil,

Sie saufen und fressen wie Thiere

Und strecken von sich alle Viere.
[78]

Wenn so was am heiligen Sonntag geschieht,

Zum Kukuk das geht über's Bohnenlied,

Besonders die fürnehmen Kasten

Wo thun sie noch beichten und fasten?


Wenn Einer einmal sich so recht übernimmt,

Da will ich nichts sagen, doch hat mich's verstimmt,

Daß sie in Neujahrstag 'nein tanzen,

Und schelten auf's Pfarrer's sein' Ranzen.


Das Schändlichste aber das stellst Dir nicht vor,

Da komm' ich vor's Memphisser Brückenthor,

Da machen die Heiden, Panduren,

Gott straf mich, auf mich Carrkaturen!


Da stellten sie hin einen Ochsen, ein Viech,

Und sagen: der Ochs, der Ochs, das wär Ich!

Ein Ochs vor sämmtlichen Leuten

Soll mich, den Hergott, bedeuten.


Und weiter, der Unfug geht über den Spott,

Da malen sie mich, o du lieber Gott -

Als Kranich mit krummen Beinen,

Vor Zorn möcht ich Blutigel weinen!"


Quelle:
Ludwig Eichrodt: Lyrischer Kehraus. Lahr 1869, S. 78-79.
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