2. Szene

[267] Faust – Wagner.


WAGNER kommt von der Seite.

Magnifizenz! Ich muß euch unterbrechen,

doch stör' ich euch gewiß nicht lang:

Ein fremder Studiosus steht im Gang

und wünscht gar sehr mit euch zu sprechen.

FAUST.

Der Arme hofft, ich könnte ihm was geben –

und ringe selber zwischen Tod und Leben.

WAGNER.

Ach Herr, Ihr martert Euch zusehr,

ich hab' mir das schon oft gedacht –

mich freut ein Wissen nimmermehr,

wenn es mich unzufrieden macht.

Ihr wißt: Ich spar' nicht Fleiß und Mühe

und manches Morgens graue Frühe

fand mich in emsiger Geduld

bei meinen Büchern vor dem Pult,

bestrebt, in meinen Kopf zu zwingen,

worum sich andere einst geplagt;

doch hab' ich nie verborg'nen Dingen[267]

mit keckem Fürwitz nachgejagt.

Aus Fragen wachsen neue Fragen:

Hat man der Hydra einen Kopf

mit harter Mühe abgeschlagen:

Zehn and're packen uns beim Schopf.

Zwar will ich wissen, doch nicht bohren,

mich der gehob'nen Schätze freuen;

schon mancher hat sich selbst verloren,

der Altes ließ und folgt' dem Neuen.

FAUST ungeduldig.

Wozu das atemkurze Schwatzen?!

Will ich zur Höhe, weit und klar,

frag' ich den schwingenstarken Aar

und nicht im Mist die fetten Spatzen. –

Laß mir den Schüler doch herein,

der denkt wohl hoch von meinen Werten,

doch mag es heut', wie oft schon, sein,

daß Schüler ihre Meister lehrten.


Wagner ab, Faust setzt sich an das Pult.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 267-268.
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