Dreizehntes Kapitel.

[124] In welchem die vorhergehende Geschichte weiter fortgesetzt wird.


»Mein Universitätsbruder hatte mich nunmehr in eine neue Szene des Lebens eingeführt. Ich war bald mit der ganzen geheimen griechischen Brüderschaft bekannt und in ihre Geheimnisse eingeweiht. Ich verstehe unter ihren Geheimnissen die fast plumpen Kunstgriffe, womit man die rohen und unerfahrnen Dobbeler zu berücken pflegt, denn es gibt Handgriffe von Schnellen, Setzen und Kneifen der Würfel von einer feinern Gattung, welche nur einigen Wenigen von der Bande oder den Meistern von ihrer Profession bekannt sind; ein Grad von Ehre, der über meine Erwartung hinaus lag, weil der Trunk, dem ich bis zum Uebermaß ergeben war, und die natürliche Hitze meiner Leidenschaften mich verhinderten, es in einer Kunst bis zu einem hohen Grade zu bringen, welche ebensoviel Kaltblütigkeit erfordert als die strengste Schule der stoischen Philosophie.

Herr Watson, mit dem ich jetzt in der engsten Freundschaft lebte, hatte zum Unglück den ersten dieser Fehler gleichfalls in einem hohen Grade an sich, dergestalt daß er, anstatt sein Glück durch seine Profession zu machen, wie einige thaten, wechselsweise bald arm bald reich, und zuweilen genötigt war seinen kaltblütigeren Freunden bei einer Flasche Wein, wovon sie niemals kosteten, die Beute wieder auszuliefern, welche er einigen Gimpeln am öffentlichen Spieltische abgenommen hatte.[124]

Unterdessen suchten wir uns doch so gut als möglich durch dieses ungemächliche Leben durchzuhelfen, und ich blieb zwei Jahr hindurch bei diesem Gewerbe, während welcher Zeit ich alle die verschiedenen Abwechselungen des Glücks erfuhr, zuweilen im blühenden Wohlstande und zuweilen gezwungen gegen fast unglaubliche Not und Mangel anzukämpfen. Heute wälzte ich mich im üppigsten Ueberfluß und morgen war ich bis zu der kümmerlichsten Hausmannskost heruntergebracht. Oft trug ich meine feinsten Kleider des Abends auf meinem Leibe, und des folgenden Morgens standen sie schon wieder bei einem Wucherer zum Pfande.

Eines Abends, als ich mit völlig ausgeleerten Taschen vom Spieltische wegging, bemerkte ich in der Gasse ein großes Getümmel und einen starken Haufen von zusammengelaufenen gemeinen Leuten. Da ich von keinem Taschendiebe was zu besorgen hatte, wagt' ich mich unter das Gedränge, wo ich nach eingezogener Erkundigung fand, daß ein Mann von Spitzbuben bestohlen und dabei sehr übel behandelt worden war. Der verwundete Mann vergoß viel Blut und schien kaum noch so viel Kräfte zu haben, sich auf den Füßen halten zu können. Da mich nun meine gegenwärtige Lebensart und mein schlechter Umgang noch nicht aller meiner Menschlichkeit beraubt, ob mir solche gleich wenige Ehre und Scham übrig gelassen hatten, so bot ich der unglücklichen Person auf der Stelle meinen Beistand an. Der Mann nahm mein Anerbieten mit Dankbarkeit an, überließ sich meiner Führung und bat, ich möchte ihn nach einem Gasthause führen, woselbst er einen Wundarzt rufen lassen könne, weil er, wie er sagte, durch den starken Blutverlust ganz schwach wäre. Er schien wirklich sehr froh darüber zu sein, daß er einen rechtlich gekleideten Mann gefunden hätte, denn was alle übrigen von den um ihn her Versammelten betraf, so war keiner drunter, dessen Aeußeres von der Beschaffenheit gewesen, daß er sich ihm mit irgend einiger Klugheit hätte anvertrauen können.

Ich nahm den unglücklichen Mann an den Arm und führte ihn nach dem Weinhause, wo wir unsre Zusammenkünfte hielten, weil es uns grade das nächste bei der Hand war. Ein Wundarzt, der sich zum Glück eben im Hause befand, kam also herbei und machte sich dran, ihm seine Wunden zu verbinden, welche, wie ich zu meinem Vergnügen hörte, nicht den Schein hatten, daß sie tödlich werden könnten.

Der Wundarzt, nachdem er sein Geschäft mit vieler Behendigkeit und Geschicklichkeit verrichtet hatte, begann sich zu erkundigen, in welchem Teile der Stadt der verwundete Mann wohne? Dieser antwortete, er wäre eben heute morgen zur Stadt gekommen; sein Reitpferd stände in einer Herberge in Biccadilly und er habe noch[125] kein ander Logis und auch wenige oder gar keine Bekanntschaft in der Stadt.

Dieser Wundarzt, dessen Namen ich vergessen habe, ob ich mich gleich noch erinnere, daß solcher sich mit einem R anfing, war einer der geschicktesten in seiner Profession und Leibchirurgus des Königs. Er hatte überdem viele andre gute Eigenschaften; er war ein sehr großmütiger, menschenfreundlicher Mann und immer bereit seinen Nebengeschöpfen alle möglichen Dienste zu leisten. Er bot seinem Patienten an, er möge sich seines Wagens bedienen, um sich nach seiner Herberge bringen zu lassen und flüsterte ihm zu gleicher Zeit ins Ohr, wofern er Geld bedürfe, könne er ihm damit aushelfen.

Der arme Mann befand sich jetzt nicht im Stande ihm für dieses großmütige Anerbieten zu danken, denn nachdem er eine Zeitlang seine Augen fest auf mich geheftet hatte, fiel er in seinen Stuhl zurück und rief aus: ›O mein Sohn, mein Sohn!‹ und sank darauf in Ohnmacht.

Einige von den gegenwärtigen Personen meinten, dieser Zufall wäre von dem häufigen Verlust des Blut entstanden, ich aber begann um diese Zeit mich der Gesichtszüge meines Vaters zu erinnern, und seine Ausrufungen bestärkten mich in meiner Vermutung und überzeugten mich, daß er es selbst sei, den ich da vor mir hatte. Ich rannte augenblicklich auf ihn zu, faßte ihn in meine Arme und küßte seine kalten Lippen mit der wärmsten Inbrunst. Hier muß ich einen Vorhang über einen Auftritt ziehen, den ich nicht beschreiben kann. Denn ob ich gleich nicht wie mein Vater auf eine Zeit lang meine ganze Besonnenheit verlor, so waren doch meine Sinne von Schrecken und Erstaunen dergestalt überwältigt, daß ich mich nicht erinnere was einige Minuten hindurch um mich her vorgegangen ist, und dieser Betäubung dauerte solange bis mein Vater sich von seiner Ohnmacht wieder erholt hatte und ich mich in seinen Armen befand, da wir uns denn beide ganz zärtlich umfaßt hielten, unterdessen daß über unser beider Wangen ein reichlicher Thränenstrom herabrollte.

Die meisten von den gegenwärtigen Personen schienen über diesen Auftritt gerührt zu sein, den wir, die man als die spielenden Personen betrachten konnte, den Augen aller Zuschauer so bald als möglich zu entziehen wünschten. Mein Vater nahm also das gütige Anerbieten des Wundarztes an und ließ sich in seinem Wagen nach seiner Herberge bringen, wohin ich ihn begleitete.

Als wir uns allein befanden, machte er mir darüber sanfte Vorwürfe, daß ich so lange Zeit versäumt hatte, ihm zu schreiben, erwähnte aber des Verbrechens mit keiner Silbe, welches hierzu die Veranlassung gegeben hatte. Er gab mir hierauf Nachricht von[126] dem Tode meiner Mutter und bestand darauf, daß ich mit ihm nach Hause kehren sollte, indem er sagte, er habe schon seit langer Zeit meinetwegen den größten Kummer erlitten, er wisse nicht, ob er meinen Tod mehr gefürchtet oder gewünscht habe, weil er in so mancher schrecklichen Besorgnis um mich gewesen sei. Endlich, sagte er, habe ihm ein benachbarter guter Freund, welcher eben einen Sohn von eben dem Ort nach Hause bekommen hätte, Nachricht gegeben, wo ich mich aufhielte, und die einzige Ursache seiner Reise nach London wäre gewesen, mich von dieser Lebensart zurückzubringen. Er dankte dem Himmel, daß es ihm insofern gelungen mich durch einen Zufall ausfindig zu machen, der ihm sehr leicht das Leben hätte kosten können, und daß er das Vergnügen habe, zu denken, er habe seine Erhaltung großenteils meiner menschenfreundlichen Denkart zu verdanken, die ihm, wie er beteuerte, mehr Freude machte, als er über meine kindliche Empfindung gehabt haben würde, wenn ich gewußt hätte, daß der Gegenstand aller meiner Sorgfalt mein eigner Vater wäre.

Das Laster hatte mein Herz noch nicht bis zu dem Grade verderbt, daß es gegen eine so große väterliche Liebe, ob sie gleich auf einen so Unwürdigen fiel, hätte unempfindlich sein sollen. Ich versprach alsobald seinem Befehle zu gehorchen und mit ihm heimzukehren, sobald er im stande sein würde zu reisen, und unter dem Beistande des vortrefflichen Wundarztes der seine Kur übernommen hatte, war er in wenig Tagen vermögend den Rückweg anzutreten.

Den Tag vor meines Vaters Abreise (bis dahin hatte ich ihn kaum einen Augenblick verlassen) ging ich hin, von einigen meiner genauesten Bekannten Abschied zu nehmen, besonders vom Herrn Watson, welcher mir abriet mich aus bloßer Gefälligkeit gegen die affenliebigen Wünsche eines grillenhaften alten Mannes (wie er's nannte) lebendig zu begraben. Dergleichen Zureden hatten unterdessen keine Wirkung und ich betrat von neuem meine väterliche Wohnung. Mein Vater fing an stark in mich zu dringen, ich möchte drauf denken mich zu verheiraten. Meine Neigungen aber waren allen dergleichen Gedanken völlig zuwider. Ich hatte bereits gekostet was Liebe sei, und vielleicht kennen auch Sie den unbändigen Flug dieser zärtlichsten und heftigsten aller Leidenschaften.« Hier hielt der Alte inne und sah dem Herrn Jones sehr ernsthaft ins Gesicht, dessen Wangen in der Zeit einer Minute die äußersten Schattierungen von rot sowohl als weiß darlegten, worauf der alte Mann ohne irgend weitere Anmerkungen seine Erzählung wieder anknüpfte.

Da ich nunmehr mit allen Bedürfnissen des Lebens versorgt war, nahm ich abermals mein Studieren wieder vor, und zwar mit mehr und heftigerem Fleiße als jemals vorher. Die Bücher, welche[127] jetzt allein meine ganze Zeit beschäftigten, waren diejenigen, welche sowohl unter den alten als neuern von der wahren Philosophie handeln, ein Wort, welches von vielen für einen Gegenstand des Lachens und Spottens gehalten wird. Ich las nun von neuem die Werke des Aristoteles und Plato, nebst den übrigen jener unerschöpflichen Schätze, welche die alten Griechen der Welt hinterlassen haben.

Diese Schriftsteller lehrten mich nun freilich keine Wissenschaft, vermittelst welcher die Menschen sich versprechen können, den geringsten Reichtum oder die mindeste weltliche Macht zu erwerben. Aber sie lehrten mich den höchsten Erwerb beider verachten. Sie erheben den Geist und stählen und härten ihn gegen die eigensinnigsten Behandlungen des Glücks; sie lehren nicht nur die Weisheit finden und kennen, sondern bestärken auch die Menschen in ihrer Ausübung und zeigen uns deutlich, daß sie unser Wegweiser sein müsse, wofern wir uns vorsetzen, jemals zum höchsten Gipfel zeitlicher Glückseligkeit zu gelangen, oder uns mit einiger zuverlässigen Sicherheit gegen das Elend zu verteidigen, welches uns von allen Seiten umringt und belagert.

»Zu diesem fügte ich noch ein anderes Studium, verglichen mit welchem alle Philosophie, welche uns selbst die weisesten Heiden gelehrt haben, wenig besser ist als ein Traum und in der That eben so leer und eitel, als es dem einfältigsten Possenreißer jemals in den Sinn gekommen sein mag, sie vorzustellen. Dies ist diejenige himmlische Weisheit, welche allein in den Büchern der heiligen Schrift zu finden ist: denn diese leitet uns in die zuverlässige Kenntnis solcher Dinge, die unsrer Aufmerksamkeit weit würdiger sind als alles, was diese Welt unsrem Wünschen und Verlangen darzubieten vermag: solcher Dinge, welche der Himmel selbst sich herabgelassen hat, uns zu offenbaren und zu deren mindester Kenntnis der höchste menschliche Witz ohne höhern Beistand sich nicht emporschwingen könnte. Ich begann nunmehr zu denken, daß alle Zeit, welche ich auf die besten heidnischen Schriftsteller verwendet hatte, nicht viel besser als reiner Verlust gewesen sei; denn so angenehm und ergötzend ihre Lehren sein, oder so anwendbar solche auf die beste Einrichtung unsrer Aufführung in Rücksicht auf diese Welt befunden werden mögen, so werden doch, wenn man sie mit den erhabenen Endzwecken der heiligen Offenbarung vergleicht, ihre höchsten Gründe der Weisheit ebenso unwichtig und unbedeutend erscheinen, als die Gesetze und Regeln, nach welchen Kinder ihre kleinen kindischen Spiele und Zeitvertreibe einrichten. Wahr ist's, daß die Philosophie uns zu weiseren, aber das Christentum zu bessern Menschen macht. Die Philosophie erhöht und stählt den[128] Geist, das Christentum aber macht ihn mild und sanft. Die erste macht uns zu Gegenständen der menschlichen Bewunderung, das letztere aber zu Gegenständen der Liebe Gottes. Jene versichert uns eine zeitliche, dieses aber eine ewige Glückseligkeit. – Aber ich besorge, meine Rhapsodie mache Ihnen Langeweile.«

»Ganz und gar nicht!« rief Rebhuhn; »'s wäre schlimm, wenn wir nicht wüßten, was es heißt:

Je besser Ding je mehr Weile!«

»Ich hatte,« fuhr der Fremde fort, »ungefähr vier Jahre auf die angenehmste Weise für mich selbst hingebracht, mich ganz allein mit mir selbst und meinem Nachdenken beschäftigt, ohne mich um irgend eine Sache in dieser Welt zu bekümmern, als ich den besten der Väter verlor, den ich so aufrichtig liebte, daß mein Gram über seinen Verlust sich auf keine Weise beschreiben läßt. Ich legte jetzt meine Bücher beiseite und überließ mich einen ganzen Monat den Ausbrüchen der Betrübnis und Verzweiflung. Die Zeit, als der beste Arzt der Seele, brachte mir indessen am Ende einige Erleichterung.« – »Ja, ja; tempus edax rerum!« sagte Rebhuhn. – »Ich beschäftigte mich also,« fuhr der Fremde fort, »von neuem mit meinem vormaligen Studieren, welches, wie ich sagen mag, meine Genesung völlig zustandebrachte: denn Philosophie und Religion können Uebungen der Seele genannt werden, und wenn diese kränklich ist, so sind ihr solche ebenso heilsam und gesund, als Uebungen und Bewegungen einem schwachen kränklichen Körper. Sie bringen wirklich ähnliche Wirkungen wie die körperlichen Bewegungen hervor: denn sie stärken und kräftigen die Seele, bis der Mensch so wird, wie Horaz sagt:


Fortis et in se ipso totus teres atque rotundus,

Externi ne quid valeat per leve morari:

In quem manca ruit semper fortuna.


Fest auf sich selbst, vollendet um und an,

Gewandt und ganz und sicher seiner Bahn,

Daß nichts ihn seitwärts je verweile, daß

Des Unglücks Anfall stets den kürzern zieh'.«


Hier lächelte Jones über einen Einfall, der sich vor seine Imagination drängte; der Fremde aber, glaub' ich, ward solches nicht gewahr und fuhr folgendergestalt fort:

»Meine Umstände waren nunmehr durch den Tod dieses besten unter den Menschen gar merklich verändert worden: denn mein Bruder, der jetzt zum Besitze des Hauses gelangt war, besaß eine solche Denkungsart und solche Neigungen, die von den meinigen ganz verschieden waren. Auch lagen die Zwecke und Beschäftigungen[129] unseres Lebens so weit auseinander, daß wir die schlimmste Gesellschaft zusammen ausmachten. Was uns aber unser geselliges Leben noch unangenehmer machte, war die wenige Eintracht, welche unter den wenigen, welche mich besuchten und unter dem zahlreichen Haufen von Weidmännern, welche meinen Bruder von der Jagd zu Tische begleiteten, obwalten konnte. Denn solche Menschen, nicht gerechnet den Lärm und Unsinn, womit sie die Ohren vernünftiger Menschen quälen, bestreben sich beständig, sie durch allerlei Beleidigungen ihre Verachtung fühlen zu lassen. Dies ging hier soweit, daß weder ich selbst noch meine Freunde uns jemals mit ihnen zu einer Mahlzeit niedersetzen konnten, ohne ihnen dadurch zu ihren Spöttereien zu dienen, daß wir in der weidgerechten Sprache unbewandert waren. Männer von wahrer Gelehrsamkeit und fast allgemeiner Wissenschaft haben allemal Mitleiden mit der Unwissenheit anderer: Leute hingegen, welche in einer geringfügigen, niedrigen, unbedeutenden Kunst ein wenig mehr wissen als andere, glauben gewiß allemal berechtigt zu sein, diejenigen zu verachten, welche in dieser Kunst unerfahren sind.

Kurz wir säumten nicht, uns zu trennen, und auf den Rat eines Arztes reiste ich nach Bath, um den Brunnen zu trinken, weil mein heftiger Gram und meine stillsitzende Lebensart mir eine Art von Gicht zugezogen hatten, gegen welche das Wasser zu Bath für ein fast unfehlbares Mittel geachtet wird. Den zweiten Tag nach meiner Ankunft, als ich an dem Bache spazieren ging, schien die Sonne so innig heiß (ob's gleich noch früh im Jahre war), daß ich den Schatten einiger Bäume suchte, worin ich mich am Ufer des Baches niedersetzte. Hier war ich noch nicht lange gesessen, als ich an der andern Seite der Weiden jemand seufzen und bittere Klagen ausstoßen hörte. Auf einmal rief er mit Vorausschickung eines höchst gotteslästerlichen Fluches: Nein, das will ich nicht länger tragen! und damit stürzte er sich plötzlich ins Wasser. Ich sprang augenblicklich auf, rannte nach dem Orte hin und rief zu gleicher Zeit so laut ich konnte um Hilfe. Glücklicherweise war etwas tiefer den Strom hinab ein Mann mit Angeln beschäftigt, ob ihn gleich einiges Gebüsch meinem Blicke verborgen hatte. Er kam augenblicklich heraus, und wir beide zogen mit vereinten Kräften, nicht ohne einige Lebensgefahr, den Leichnam ans Ufer. Anfangs merkten wir kein Zeichen des noch vorhandenen Lebens an ihm, als wir ihn aber bei den Füßen in die Höhe hoben (denn wir bekamen bald Beistand genug), gab er eine Menge Wasser durch den Mund von sich, und endlich entdeckten wir einige Anzeichen von Respiration und kurz darauf, daß er an Händen und Füßen noch einige Bewegungen äußerte.[130]

Ein Apotheker, der unter andern gegenwärtig war, gab den Rat, daß der Körper, der sich nun so ziemlich vom Wasser ausgeleert zu haben schien und hin und wieder in krampfartige Bewegungen geriet, gleich aufgenommen und in ein warmes Bett gebracht werden müsse. Dieser Rat ward befolgt und der Apotheker und ich blieben bei ihm.

Als wir nach dem Wirtshause zugingen (weil wir nicht wußten, wo der Mann wohnte), begegnete uns zum Glück eine Frau, welche uns nach einem heftigen Geschrei sagte, der Herr wohne in ihrem Hause.

Nachdem ich den Unglücklichen daselbst in Sicherheit gebracht gesehen hatte, überließ ich ihn der Sorge des Apothekers, welcher nach meiner Meinung die beste Methode mit ihm einschlug; denn ich hörte des nächsten Morgens, er sei völlig wieder zu Sinnen gebracht worden.

Ich ging darauf hin, ihn zu besuchen in der Absicht, so gut ich könnte, die Ursache zu erfahren, die ihm zu einer so verzweifelten Handlung Anlaß gegeben hätte, und so viel bei mir stünde zu verhindern, daß er solch einen gottvergessenen Vorsatz inskünftige nicht ausführen möchte. Ich war nicht sobald in sein Zimmer getreten, als wir uns augenblicklich einander erkannten: denn wer sollte diese Person anders sein, als mein alter Universitätskamerad, Herr Watson! Hier will ich Ihnen nicht mit der Erzählung desjenigen beschwerlich sein, was bei unsrer ersten Erkennung vorging, weil ich so viel als möglich gern alle Weitschweifigkeit vermindern möchte.« – »O lassen Sie uns doch alles hören!« rief Rebhuhn; »ich bin nicht wenig neugierig zu erfahren, was ihn nach Bath gebracht hat.«

»Sie sollen alles hören, was wesentlich ist,« antwortete der Fremde und fuhr darauf fort zu erzählen, was wir fortfahren wollen zu schreiben, wenn wir vorher einen kleinen Ruhepunkt gemacht haben, damit sowohl wir selbst als der Leser ein wenig Atem schöpfen können.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 124-131.
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