Neuntes Kapitel.

[282] Weitere Fortsetzung.


Alwerth nahm die Gelegenheit, in der Sänfte den Brief von Jones an Sophie zu lesen, den ihm Western gegeben hatte, und er fand darin Ausdrücke gegen sich selbst, die ihm Thränen aus den Augen lockten. Endlich langte er in Herrn Westerns Wohnung an und ward in Sophiens Zimmer geführt.

Nachdem die ersten Komplimente vorüber waren, und Dame und Herr Stühle genommen hatten, erfolgte ein Stillschweigen von ein paar Minuten, während welcher das Fräulein, das von dem Vater auf diesen Besuch vorbereitet war, mit dem Fächer spielte und alle Merkmale der Verwirrung zeigte, sowohl in ihren Mienen, als im übrigen Betragen. Endlich begann Alwerth, der selbst ein wenig außer Fassung war, folgendermaßen: »Ich fürchte, mein liebes Fräulein von Western, meine Familie hat Ihnen viele Unruhe verursacht, und ich besorge auch, daß ich selbst unschuldigerweise mehr dazu beigetragen habe, als meine Absicht war. Seien Sie versichert, bestes Fräulein, hätte ich gewußt, wie unangenehm der Vorschlag war, ich würd' es nicht gelitten haben, daß man Sie solange damit verfolgt hätte. Ich hoffe also, Sie werden nicht glauben, daß mein Vorsatz bei diesem Besuche sei, Sie noch mit fernerm Anhalten in dieser Sache zu behelligen, sondern einzig nur, um Sie davon zu befreien.«

»O, Herr Alwerth,« sagte Sophie mit einer kleinen bescheidenen Aengstlichkeit, »dies Betragen ist sehr gütig und großmütig, und so wie ich es nur allein von Herrn von Alwerth erwarten konnte. Da Sie aber so gütig gewesen sind, dieser Sache zu erwähnen, so werden Sie mir verzeihn, wenn ich sage, daß sie mir[282] wirklich vielen Kummer gemacht hat und die Veranlassung gewesen ist, daß ich sehr harte Begegnungen von einem Vater habe erleiden müssen, welcher bis zu dieser unglücklichen Affaire der zärtlichste, liebreichste von allen Vätern war. Ich bin überzeugt, Sie, mein teuerster Herr Alwerth, sind zu gütig, zu großmütig, um mir deswegen feind zu werden, daß ich Ihrem Neffen meine Hand habe versagen müssen. Unsre Herzen stehn nicht immer in unsrer Gewalt; und so groß auch seine Verdienste sein mögen, so kann ich das meinige nicht zwingen, ihn zu lieben.« – »Ich versichre Sie, liebenswürdigstes Fräulein,« sagte Alwerth, »ich bin einer solchen Feindschaft nicht fähig, wäre auch die Person mein leiblicher Sohn gewesen, und hätt' ich auch die größte Hochachtung für ihn gehabt. Denn Sie sagen ganz richtig, bestes Fräulein, man kann sein eignes Herz nicht zwingen; viel weniger läßt es sich von andern Gesetze vorschreiben.« – »O, teuerster Herr Alwerth«, antwortete Sophie, »jedes Wort aus Ihrem Munde beweist, daß Sie den edlen, großen, den menschenfreundlichen Charakter verdienen, den Ihnen alle Welt beilegt. Ich versichre Sie, nichts geringeres, als die gewisse Aussicht auf künftiges Elend, hätte mich dahin bringen können, den Befehlen meines Vaters zu widerstehn.« – »Ich glaube Ihnen das aufrichtig, Fräulein,« sagte Alwerth, »und ich bezeige Ihnen meine Freude über Ihre weise Vorsichtigkeit, weil Sie durch diesen so sehr zu entschuldigenden Ungehorsam wirklich ein großes Elend vermieden haben.« – »Sie sprechen da mit einer Schonung, Herr Alwerth, deren nur sehr wenige Männer fähig sind; aber gewiß, nach meiner Meinung, muß es ein höchst unglücklicher Zustand sein, unser Leben mit einer Person hinbringen zu müssen, die uns völlig gleichgültig ist. Vielleicht würde ein solches Unglück durch die Ueberzeugung von den Verdiensten eines Gegenstandes, dem wir unsre Zuneigung nicht geben können, nur noch vergrößert. Hätte ich Herrn Blifil geheiratet –« – »Verzeihn Sie mir! daß ich Sie unterbreche,« rief Alwerth; »aber ich kann den Gedanken daran nicht ausstehn. – Glauben Sie mir, Fräulein Western, ich freue mich, ich freue mich von Herzen, daß Sie dem Unglück entronnen sind. Ich habe den Nichtswürdigen entlarvt, um dessentwillen Sie alle den grausamen Zwang von Ihrem Vater haben erdulden müssen! Es ist ein Bösewicht!« – »Wie, Herr Alwerth? – Sie können glauben, daß ich hierüber erstaune!« – »Ich bin ebensowohl darüber erstaunt, liebes Fräulein«, antwortete Alwerth; »und die Welt wird ebensosehr darüber erstaunen; aber ich habe Ihnen die reine Wahrheit gesagt.« – »Von den Lippen des Herrn von Alwerth,« sagte Sophie, »kann nichts anders als Wahrheit kommen, davon bin ich überzeugt. – Indessen – solch eine plötzliche, solch eine unerwartete Neuigkeit! – Entdeckt, sagen Sie? – Möchte es jede Bosheit werden!« – »Sie werden die Geschichte bald genug hören,« rief Alwerth; »jetzt lassen Sie uns einen so verhaßten Namen nicht mehr nennen! Ich habe Ihnen eine andre Sache, von sehr ernsthafter Natur, vorzutragen. O, mein edles Fräulein Western, ich kenne Ihren hohen Wert und kann meinen ehrgeizigen Wunsch, Sie in meine Familie[283] zu bekommen, nicht so leicht aufgeben. Ich habe einen nahen Verwandten, liebes Fräulein, einen jungen Mann, dessen Charakter, nach meiner besten Ueberzeugung, das gerade Gegentheil vom Charakter dieses Nichtswürdigen ist, und dessen Glücksumstände ich ebenso gut machen will, als die jenes andern hätten sein sollen. – Darf ich hoffen, liebes Fräulein, daß Sie so gütig sein wollen, einen Besuch von ihm anzunehmen?« Sophie schwieg eine Minute, und antwortete darauf: »Ich will gegen Herrn Alwerth mit der größten Aufrichtigkeit verfahren. Sein Charakter und die Verbindlichkeiten, die er mir soeben aufgelegt hat, fordern das. Ich bin für jetzt entschlossen, keinen solchen Vorschlägen von irgend einer Person Gehör zu geben. Mein einziger Wunsch ist, in der Liebe meines Vaters wieder hergestellt zu werden und von neuem wieder die Sorge für sein Hauswesen zu führen. Dies, verehrungswürdigster Herr von Alwerth, hoffe ich durch Ihre gütige Vermittlung zu erlangen. Erlauben Sie, ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, bei all der Edelmütigkeit, welche ich und alle, die Sie kennen, erfahren haben, setzen Sie mich nicht in eben dem Augenblick, da Sie mich von einer Verfolgung befreit haben, wieder einer andern aus, die mich ebenso unglücklich machen, aber ebenso fruchtlos sein wird.« – »In der That, Fräulein Western,« erwiderte Alwerth, »ich bin eines solchen Betragens unfähig; und wenn dies Ihr fester Entschluß ist, so muß er sich demselben unterwerfen, er mag darunter leiden, was für Qualen es ihm auch macht.« – »Ich sollte hier fast ein wenig lächeln,« antwortete Sophie, »wenn Sie von den Leiden und Qualen eines Mannes sprechen, den ich nicht kenne, und der folglich auch nur eine geringe Kenntnis von mir haben muß.« – »Verzeihen Sie mir, liebes, teures Fräulein,« versetzte Alwerth, »ich fange jetzt an zu fürchten, daß er für die Ruhe seines künftigen Lebens eine nur zu richtige Kenntnis von Ihnen hat; denn, wenn je ein Mann einer aufrichtigen, heftigen und edlen Leidenschaft fähig ist, so weiß ich's gewiß, ist es mein Neffe für das Fräulein von Western.« – »Ihr Neffe, Herr Alwerth?« antwortete Sophie. »Das ist doch wirklich sonderbar! Ich habe bisher noch nie von einem gehört.« – »In der That, liebes Fräulein,« sagte Alwerth, »es ist bloß der Umstand, daß er mein Neffe ist, welchen Sie noch nicht wissen, und welcher auch bis auf den heutigen Tag selbst mir ein Geheimnis war. Der gute Tom Jones, der Sie schon lange geliebt hat, der, der ist mein Neffe.« – »Herr Jones? Ihr Neffe!« rief Sophie; »ist das möglich?« – »Das ist er gewiß, mein liebes Fräulein,« antwortete Alwerth. »Er ist der Sohn meiner leiblichen Schwester, und dafür werd' ich ihn beständig erkennen, und werde mich dieser Anerkennung niemals schämen. Weit mehr schäm' ich mich meines bisherigen Betragens gegen ihn. Aber seine Verdienste waren mir ebenso unbekannt als seine Geburt. In der That, mein liebes Fräulein Western, ich bin grausam mit ihm umgegangen! – wirklich, grausam!« – Hier wischte sich der gute Mann die Augen, und nach einem kurzen Stillschweigen fuhr er fort: – »Ich werde niemals im stande sein, ihm seine Leiden zu vergelten, wenn Sie mir[284] darin nicht beistehen wollen. – Glauben Sie mir, mein liebenswürdigstes Kind, ich muß eine hohe Meinung von dem Anerbieten haben, das ich für Ihren Wert nicht zu schlecht halte. – Ich weiß, er hat sich einiger Vergehungen schuldig gemacht; aber im Grunde hat er ein außerordentlich gutes Herz! Glauben Sie mir es, liebes Fräulein, das hat er.« Hier schwieg er und schien eine Antwort zu erwarten, welche er auch so bald von Sophie erhielt, als sie sich ein wenig von der heftigen Wallung erholt hatte, die ihr eine so sonderbare und unerwartete Nachricht verursacht hatte. »Herr Alwerth, ich wünsche Ihnen aufrichtigst Glück zu einer Entdeckung, die Ihnen eine so große Freude zu machen scheint. Ich zweifle nicht, sie wird Ihnen all das Vergnügen gewähren, das Sie sich nur davon versprechen können. Der junge Herr hat gewiß tausend gute Eigenschaften, welche es unmöglich machen, daß er sich gegen einen solchen Onkel nicht gut betragen sollte.« – »Ich hoffe, mein liebes Fräulein«, sagte Alwerth, »er hat diejenigen guten Eigenschaften, welche ihn zu einem guten Ehemanne machen müssen. – Er müßte sonst gewiß der sittenloseste von allen Männern sein, wofern er, wenn ein Frauenzimmer von Ihrem Verdienste die Herablassung hätte, ihn –« – »Ich muß um Verzeihung bitten, Herr Alwerth,« antwortete Sophie, »daß ich einen Antrag von dieser Art nicht anhören kann! Herr Jones hat viele Verdienste, davon bin ich überzeugt; aber, ich werde den Herrn Jones niemals als den Mann betrachten, der mein Ehemann werden kann, und in dieser Rücksicht keinen Besuch von ihm annehmen – Auf meine Ehre! das werd' ich niemals.« – »Verzeihen Sie, mein Fräulein,« sagte Alwerth, »wenn mir dies, nach dem, was ich von Herrn Western vernommen habe, ein wenig unbegreiflich ist. – Ich hoffe doch nicht, daß der unglückliche Jüngling etwas gethan habe, wodurch er sich Ihrer guten Meinung verlustig gemacht, da er doch ehemals die Ehre hatte, sich derselben zu erfreuen. – Vielleicht ist er bei Ihnen fälschlich verleumdet worden, eben, wie bei mir geschehen ist. Dieselbige Bosheit kann ihn allenthalben angeschwärzt haben. – Er ist kein Mörder, wie man ihn beschuldigt hat, das versichr' ich Sie.« – »Lieber Herr von Alwerth,« antwortete Sophie, »ich habe Ihnen meinen Entschluß gesagt. Ich wundre mich nicht über das, was Ihnen mein Vater vielleicht erzählt hat! Aber, wie groß auch seine Furcht und Besorgnis gewesen sein mag, so habe ich, wenn ich irgend mein Herz kenne, dazu keinen Anlaß gegeben: weil es allemal ein fester Grundsatz bei mir gewesen ist, niemals ohne seine Einwilligung zu heiraten. Dies ist, denke ich, die Pflicht eines Kindes gegen die Eltern; und diese Pflicht, hoff' ich, hätte mich nichts vermögen können, jemals aus den Augen zu setzen. Ich kann mich freilich nicht überzeugen, daß uns die väterliche Gewalt nötigen könne, uns ganz und gar gegen unsre Neigung zu verheiraten. Um einem Zwange dieser Art, welchen ich Ursache zu vermuten hatte, auszuweichen, verließ ich das Haus meines Vaters und suchte anderwärts Schutz. Dies die Wahrheit von meiner Geschichte; und wenn die Welt oder mein Vater meiner Absicht nur die geringste weitere[285] Ausdehnung geben, so rechtfertigt mich mein eignes Gewissen.« – »Fräulein Western,« rief Alwerth mit Bewunderung, »ich höre Sie, ich bewundre die Richtigkeit Ihrer Grundsätze; aber gewiß, es muß noch etwas mehr vorgegangen sein! Ich möchte nicht gern etwas sagen, das Ihnen zuwider wäre, liebes Fräulein; aber, sollte ich denn alles, was ich bis dahin gesehn und gehört habe, für einen bloßen Traum halten? Und haben Sie so viele Grausamkeit von Ihrem Vater eines Mannes wegen erduldet, gegen den sie immer ganz und gar gleichgültig gesinnt waren?« – »Ich bitte Sie, liebster Herr von Alwerth,« antwortete Sophie, »bestehn Sie nicht darauf, meine Ursachen zu wissen! – Ja! ich habe wirklich gelitten; ich will es nicht verhehlen. – Ich will sehr aufrichtig gegen Sie sein, Herr Alwerth. – Ich gesteh' es Ihnen, ich hatte eine große Meinung von Herrn Jones – ich glaube – ich weiß, was ich für meine Meinung gelitten habe – ich bin hart behandelt worden, von meiner Tante sowohl, als von meinem Vater. Aber, das ist nunmehr vorbei! – Ich bitte nur, daß man nicht ferner in mich dringen möge; denn, wie es auch sonst gewesen sein mag, für jetzt ist mein Entschluß ein- für allemal fest. Ihr Neffe, Herr Alwerth, besitzt manche Tugend, er besitzt große Tugenden, Herr Alwerth. Ich zweifle nicht dran, er wird Ihnen in der Welt Ehre und Sie selbst glücklich machen.« – »Ich wünschte auch ihn glücklich machen zu können, mein liebstes Fräulein,« erwiderte Alwerth! »Aber das bin ich überzeugt, steht nur in Ihrer Gewalt. Diese Ueberzeugung ist es, welche mich zu einem so ernstlichen Fürbitter bei Ihnen gemacht hat.« – »Sie sind hintergangen, in der That, mein teuerster Herr von Alwerth, Sie sind hintergangen,« sagte Sophie – »ich hoffe nicht von ihm – Es ist schon genug, daß ich hintergangen bin, Herr Alwerth! Ich muß darauf bestehn, daß man wegen dieser Sache nicht weiter in mich dringe. – Es sollte mir leid thun! – Nein, ich will ihm in Ihrer Gewogenheit keinen Eintrag thun! Ich wünsche Herrn Jones alles mögliche Gute; ganz aufrichtig wünsch' ich es ihm, und nochmals widerhol' ich's, was er auch an mir verschuldet haben mag, so bin ich gewiß, daß er viele gute Eigenschaften hat. Ich leugne meine vorigen Gesinnungen gegen ihn nicht; aber sie können durch nichts wiederhergestellt werden. Gegenwärtig wüßt' ich keinen Mann auf Erden, den ich mit mehr Entschlossenheit ausschlagen würde, als den Herrn Jones. Selbst die Bewerbung des Herrn Blifil würde mir weniger unangenehm sein.«

Der Junker Western war schon längst wegen des Ausgangs dieser Unterredung sehr ungeduldig gewesen und war gerade eben jetzt an die Thür gekommen, um zu horchen, als er bei Anhörung dieser letzten Gesinnung des Herzens seiner Tochter alle Mäßigung verlor, die Thür in voller Wut aufsprengte und zu schreien begann: »'s ist 'ne Lüge, 's ist 'n verdammte Lüge! 's ist alles d' Schuld des vertrackten Buben, des Jon's! und wenn sie 'n nur kriegen könnte, den; sie nähm'n gleich all' Stund' und Augenblick'.« Hier legte sich Alwerth ins Mittel, und indem er sich mit einigem Verdruß im Blicke gegen den Junker wendete, sagte er: »Herr Nachbar,[286] Sie halten mir nicht Wort. Sie versprachen mir, sich aller Gewaltthätigkeiten zu enthalten.« – »Nun ich hab's ja gethan!« schrie Western, »so lang's möglich war; aber zu hören, daß 'ne Dirne solch' ausverschämte Lügen vorbringt – alle Hagel! meint sie, sie kann ander' Leute eben so gut foppen, als sie mich gefoppt hat? Nee, Herr Nachbar, ich kenn' sie besser, als du thust.« – »Ich sag' es Ihnen nicht gern, Herr Nachbar,« antwortete Alwerth, »aber aus Ihrem Betragen gegen Ihre Tochter erhellt es nicht, daß Sie sie nur im geringsten kennen! Verzeihen Sie mir, was ich da sage; aber mich deucht, unsre genaue Bekanntschaft, Ihr eignes Verlangen, und die Veranlassung berechtigen mich dazu. Sie ist Ihre Tochter, Herr Western, und ich denke, sie macht Ihrem Namen Ehre. Wenn ich jemand beneiden könnte, so würde ich Sie ihretwegen eher beneiden, als irgend einen Mann auf der Welt.« – »Nu! daß ich alle Tausend!« schrie der Junker; »ich wollt' 's wäre dein, und Schmuckhand dazu sollt'st bald froh sein, wenn du den Brast wieder vom Halse hätt'st.« – »In der That, mein lieber Freund,« antwortete Alwerth, »Sie selbst sind schuld an aller Last und Unruhe, worüber Sie klagen. Setzen Sie das Vertrauen in das junge Fräulein, welches sie so wohl verdient, und ich bin überzeugt, Sie werden der glücklichste Vater auf Erden sein.« – »Ich? Vertrauen in sie?« schrie der Junker. »Blix und der Hagel! Was vor 'n Vertrauen kann ich in ihr setzen, wenn sie nicht thut, was ich haben will? Laß sie nur gutwillig heiraten, wen ich hab'n will! Sollst sehn, ob 'ch nich alles Vertrauen in 'r setzen will, was sie verlangen könne!« – »Sie haben kein Recht, Herr Nachbar,« antwortete Alwerth, »drauf zu bestehn, daß sie einwilligen soll. Eine verneinende Stimme räumt Ihnen Ihre Tochter ein; und Gott und Natur haben für diensam erachtet, Ihnen nichts weiter einzuräumen.« – »Verneinende Stimme!« schrie der Junker. »Ei, seht doch! Ich will Euch weisen, was vor 'ne verneinende Stimme ich hab' – schier dich fort! Fort in deine Kammer! geh du eigensinnig's Mensch!« – »In der That, Herr Nachbar,« sagte Alwerth, »in der That, Sie gehen grausam mit ihr um! So etwas kann ich nicht mit ansehn. – Sie sollen, Sie müssen ihr gütiger begegnen! Sie verdient die liebreichste Behandlung.« – »Ja, ja!« sagte der Junker, »ich weiß wohl, was sie verdient. Nun sie fort ist, will ich's Ihn'n wohl zeigen, was sie verdient. – Sehn Sie 'n mal hier, Nachbar! hier ist 'n Brief von meiner Kousine, von Frau von Bellaston, worin sie so gütig ist und mir zu verstehen gibt, daß der Kerl wieder aus 'n Gefangenhaus los ist, und hier rät sie mir, daß ich ja 'n wachsames Aug' aufs Mädchen hab'n soll. Ja, beim Teufel! Nachbar Alwerth Sie wissen dar viel von, was 's heißt, ne Tochter recht zu regieren.«

Der Junker endigte seine Rede mit einigen Komplimenten, die er seinem Verstande machte; und alsdann gab ihm Alwerth, nach einer förmlichen Vorrede, Nachricht von der ganzen Entdeckung, welche er in Ansehung des Herrn Jones gemacht hatte, nebst seinem[287] Zorn über Blifil, und von andern Vorfällen, womit der Leser bereits im vorigen Kapitel bekannt gemacht ist.

Menschen von überheftiger Gemütsart sind gemeiniglich auch ebenso veränderlich. Der Junker Western war sonach nicht so bald von des Herrn Alwerth Vorsatz unterrichtet, daß er Herrn Jones zu seinem Erben einsetzen wollte, als er in jedes Lob des Onkels, das er seinem Neffen erteilte, aus vollem Herzen einstimmte, und eben so begierig nach einer Heirat seiner Tochter mit Herrn Jones war, als er sie vorher an Blifil hatte verkuppeln wollen.

Hier ward Herr Alwerth abermals gezwungen, ihm Einhalt zu thun, und dasjenige zu erzählen, was zwischen ihm und Sophie vorgefallen war, worüber er seine höchste Verwunderung bezeigte.

Der Junker dachte einen Augenblick stillschweigend nach und sah ganz wild aus und erstaunt über diese Nachricht; endlich schrie er aus: »Was in aller Welt soll'n das heißen, Nachbar Alwerth? Liebhalten that sie 'n, drauf will 'ch wohl 'n körperlichen Eid thun – alle Hagel! ha! ich bin derhinter! Ich hab's auf 'n Korn, so gut als ich nur immer 'nen Fuchs drauf gehabt habe! Da hat d' Schwester schon wieder d' Finger im Brei! Sollst sehen, da hat das Mensch ein Gelüster nach dem Bastard von Grafen gekriegt! Ich fund sie zusammen in meiner Kousine Haus, der Frau von Bellaston. Ja, ja, der hat 'r 'n Kopp verdreht, ganz richtig! aber Gott straf mich, wenn 'r sie haben soll! Ich will ken'n Grafen und solch Hofpack in mein'r Familie haben!«

Alwerth hielt ihm nun eine lange Rede, in welcher er ihm seinen Entschluß, alle gewaltthätigen Maßregeln zu vermeiden, von neuem vorhielt, und Herrn Western sehr ernstlich ein gelindes Verfahren anriet; womit er versichert sein könnte, seine Tochter am besten nach seinem Willen zu lenken. Er nahm hierauf Abschied, und kehrte zurück nach Madame Miller, war aber genötigt, auf das dringendste Ersuchen des Junkers zu versprechen, Herrn Jones noch den Nachmittag zu einem Besuche mitzubringen, »damit er,« wie er sagte, »mit dem jungen Herrn wieder alles ins Feine bringen möchte.« Bei Herrn Alwerths Weggehen versprach ihm Western, seinen Rat, in Ansehung des Benehmens gegen Sophie, zu befolgen. »Ich weiß nicht, wie's kommt,« sagt er; »aber hol's der Teufel! Alwerth, wenn Sie nicht all'mal machen, daß 'ch thun muß, just was 'e hab'n woll'n! Und mein Güter tragen doch wohl ebensoviel ein, als Ihre? und bin doch ebensowohl 'n Gerichtsherr wie Sie!«

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 282-288.
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