Viertes Kapitel.

[258] Enthält zwei Briefe in ganz verschiedenem Stile.


»Mein würdigster Freund!


In meinem vorigen hab' ich Ihnen berichtet, daß man mir den Gebrauch des Wassers untersagt hat, weil die Erfahrung zeigte, daß es die Symptome meiner Krankheit eher verschlimmerte, als verbesserte. Jetzt muß ich Ihnen eine Nachricht schreiben, die, wie ich glaube, meinen Freund mehr betrüben wird, als sie mich betrübt hat: meine beiden braven Aerzte haben mir es nicht verhehlt, daß zu meiner Besserung keine Hoffnung mehr ist.

Ich habe irgendwo gelesen, der große Nutzen der Philosophie bestehe darin, sterben zu lernen. Ich will die meinige also nicht so tief heruntersetzen und darüber betroffen zu sein scheinen, wenn ich eine Lektion erhalte, die ich, Aller Meinung nach, so lange schon studiert haben muß. Jedoch, die Wahrheit zu sagen, lehrt eine Seite aus der christlichen Religion diese Lektion besser, als alle Folianten der ältern und neuern Philosophie. Die Zusicherung, welche das Evangelium uns von einem andern Leben gibt, ist einem guten Gemüte eine viel stärkere Stütze, als alle die Trostgründe, hergenommen von der Notwendigkeit zu sterben; von der Leerheit oder Sättigung im Genuß aller Dinge auf Erden; oder, was der Texte zu allen diesen Deklamationen mehr sein mögen, welche zuweilen vermögend sind, unsre Gemüter mit einer sinnlosen Geduld zu bewaffnen, um die Gedanken an den Tod zu ertragen, aber niemals hinreichen, den Tod selbst nur wirklich verachten, und viel weniger ihn als ein wahres Gut betrachten zu können. Ich wünsche nicht, daß Sie mich hier so verstehen möchten, als wollt' ich allen denjenigen, welche sich Philosophen nennen, den scheußlichen Vorwurf machen, als wären sie Atheisten oder als leugneten sie geradezu die Unsterblichkeit der Seele. Viele der philosophischen Sekten, sowohl der alten als der neuern, haben aus dem Lichte der Natur eine Hoffnung auf ein künftiges Leben geschöpft; aber in der That war dieses Licht so dunkel und schwach, und die Hoffnungen waren so ungewiß und schwankend, daß man mit Recht zweifeln darf, auf welche Seite ihr Glaube sich neigte. Selbst Plato schließt seinen[258] Phädon damit, daß er erklärt, seine stärksten Gründe gäben höchstens nur eine Wahrscheinlichkeit; und selbst Cicero läßt mehr eine Neigung blicken, daß er die Lehre von der Unsterblichkeit glauben möchte, als eine Ueberzeugung, daß er sie glaube. Was mich anbetrifft, um ganz offenherzig gegen Sie herauszugehen, so ist mirs mit diesem Glauben nie ein Ernst gewesen, bis ich im Ernst ein Christ geworden bin.

Sie wundern sich vielleicht über diesen letzten Ausdruck! Aber ich versichere Sie, es ist nur erst seit ganz kurzem, daß ich mich mit Wahrheit so nennen kann. Der Stolz der Philosophie hatte meine Vernunft berauscht, und die erhabenste Weisheit kam mir vor, wie ehemals den alten Griechen, als eine Thorheit. Indessen ist Gott so gnädig gewesen, mich meinen Irrtum noch zu rechter Zeit einsehen zu lassen und mich auf den Weg der Wahrheit zu leiten, ehe ich in den Abgrund der Finsternis hinunter sank.

Ich finde, daß meine Kräfte merklich abnehmen: ich will also eilen, auf den Hauptzweck meines Briefs zu kommen.

Wenn ich die Handlungen meines vergangenen Lebens überdenke, so find' ich nichts, das mir so schwer auf dem Gewissen läge, als die Ungerechtigkeit, deren ich mich gegen das arme Unglückskind, Ihren angenommenen Sohn, schuldig gemacht habe. Ich habe wirklich nicht nur zu der Bosheit anderer geschwiegen, sondern hab' ihn selbst thätig mit verfolgt. Glauben Sie mir, teuerster Freund, wenn ich Ihnen auf das Wort eines Sterbenden sage, man hat ihn sehr niederträchtiger Weise verleumdet. Was das Hauptfaktum betrifft, auf dessen fälschliche Vorstellung Sie ihn aus dem Hause gestoßen haben, so versichere ich Sie aufs feierlichste, er ist desselben nicht schuldig. Damals, als Sie nach unsrer Meinung auf dem Sterbebette lagen, war er der einzige Mensch im Hause, der eine wahre Betrübnis fühlte; und was sich darauf mit ihm zutrug, entsprang aus der ausgelassenen Freude über Ihre Genesung, und, ich sag' es ungern, aus der Niederträchtigkeit einer andern Person – doch meine Absicht ist nur, den Unschuldigen zu rechtfertigen, und nicht, jemand anzuklagen. Glauben Sie mir, mein Freund, dieser Jüngling besitzt die edelste Großmut des Herzens, die vollkommenste Fähigkeit zur Freundschaft, die unverbrüchlichste Redlichkeit, und in der That jede Tugend, die einen Mann wirklich adeln kann. Er hat seine Fehler, darunter aber kann man gewiß keinen Mangel pflichtvoller Anhänglichkeit oder Dankbarkeit gegen Sie rechnen. Im Gegenteile weiß ich gewiß, daß, als Sie ihn aus Ihrem Hause entließen, sein Herz mehr für Sie blutete, als für sich selbst.

Eigennützige Absichten waren die niedrigen schändlichen Ursachen, warum ich Ihnen dieses so lange verhehlte; und jetzt kann ich keine andern Gründe haben, es zu entdecken, als das Verlangen, der Wahrheit einen Dienst zu leisten, der Unschuld zu ihrem Recht zu helfen, und was ich vormals Uebels gestiftet, so viel in meinem Vermögen steht, wieder gut zu machen. Ich hoffe daher, diese Erklärung werde die gewünschte Wirkung thun und diesem verdienstvollen Jüngling Ihre Liebe und Gewogenheit wieder erwerben. Dieses[259] noch bei meinem Leben zu erfahren, würde ein höchst erquickender Trost sein für

Ihren höchst verbundenen,

gehorsamst ergebenen Diener

Thomas Quadrat.«


Nach diesem Briefe wird sich der Leser kaum wundern, daß Herr Alwerth so sichtbarlich verändert schien, ob er gleich mit derselben Post einen andern Brief ganz verschiedener Art von Herrn Schwöger erhalten hatte, welchen wir hier beifügen wollen, weil es vielleicht das letztemal ist, daß wir Gelegenheit haben, den Namen dieses geistlichen Herrn zu nennen.


»Hochzuehrender Herr Kirchenpatron!


Es wundert mich ganz und gar nicht, daß ich durch Ihren würdigen Herrn Neffen abermalige Beweise von der Ruchlosigkeit des Schülers von Herrn Quadrat, dem heillosen Atheisten, habe vernehmen müssen. Ich werde mich über keine Mordthat wundern, die er ausüben wird, und flehe nur zum Himmel, daß nur Ihr eigenes Blut nicht noch sein Endurteil besiegle, welches ihn hin an den Ort verdammen wird, wo ewiges Heulen ist und Zähneklappern.

Ob es Ihnen wohl ohnedem nicht an hinlänglichen Erweckungen fehlen kann, um die manchen Schwachheiten zu bereuen, wovon Sie, in Ihrem Betragen gegen diesen Verworfenen, Beispiele gegeben, und dadurch sich selbst, Ihrem Charakter und Ihren wahren Anverwandten Nachteil und Schaden genug zugefügt haben – ob dieses alles gleich, sag' ich, allem Vermuten nach, Ihr Gewissen hinlänglich beißen und brennen mag: so würde ich dennoch eine meiner heiligsten Pflichten versäumen, wenn ich es unterließe, Ihnen einige Lehren und Warnungen zu erteilen, die Sie zu einem bußfertigen Gefühle Ihrer begangenen Irrtümer erwecken können. Ich ermahne Sie also im Namen des Herrn, erwägen Sie wohl die schweren Gerichte, welche über dem Haupte des gottlosen Mörders schweben und nicht unterlassen werden, ihn zu treffen, und lassen Sie sich solche selbst wenigstens eine Warnung sein, damit Sie hinfüro nicht den Rat eines treuen Knechts des Herrn für gering achten, welcher Tag und Nacht anhält im Gebete für Ihr ewiges Wohlergehn.

Wäre nicht meiner Hand Einhalt gethan worden, die Zuchtrute gehörig zu führen, so hätt' ich vieles von diesem Geiste der Finsternis aus einem Knaben vertrieben, an dem ichs in seiner frühesten Kindheit bemerkt, daß der Teufel bereits völlig von ihm Besitz genommen hatte; aber, leider! kommen dergleichen Betrachtungen zu spät.

Es kann mir nicht anders als leid thun, daß Sie die einträgliche Pfarre zu Westerton so eilig vergeben haben. Ich würde mich dazu früher gemeldet haben, hätte ich nicht gedacht, Sie würden mich bei Besetzung dieser Stelle wohl wenigstens vorher um Rat fragen. Ihre Einwendungen wider die Gewohnheit, daß ein Prediger mehr als Eine Pfarre besorgt, fallen unter den Spruch Salomons: Seid nicht allzu gerecht. Denn wenn bei dieser Gewohnheit irgend etwas Anstößiges oder Ungerechtes wäre, so würde man nicht so[260] viele fromme und gottselige Diener der heiligen Kirche finden, welche das Seelenheil von mehr als Einem Kirchspiele besorgen. Sollte der Prediger zu Aldergrove sterben (wie ich höre, daß er sehr kränklich ist), so hoffe ich, Sie werden die Güte haben, bei Vergebung dieser Stelle meiner im besten eingedenk zu sein; denn ich zweifle keineswegs, Sie müssen von meiner aufrichtigen, treuen Ergebenheit überzeugt sein, womit ich für Ihre höchste Wohlfahrt besorgt bin, eine Wohlfahrt, gegen welche alles Irdische ebenso geringfügig ist als die Korn- und Fleischzehnten, deren die heilige Schrift erwähnt, gegen die Erfüllung des ganzen Gesetzes sind. Ich habe die Ehre zu verharren meines hochgeehrten Herrn Kirchenpatrons dienstwilliger Diener und getreuer Fürbitter

Melchior Schwoger.«


Dies war das erste Mal, daß Ehren Schwöger jemals in diesem Hochwürdenstile an Herrn Alwerth schrieb, und er hatte nachmals hinlängliche Ursache es zu bereuen, wie es gewöhnlich denjenigen zu gehen pflegt, welche irrigerweise den höchsten Grad von Güte für die niedrigste Stufe von Schwachheit halten. In der That hatte Herr Alwerth diesen Mann niemals so recht genießen können. Er wußte, daß er stolz und tückisch wäre; er sah auch wohl ein, daß selbst seine Theologie einen Anstrich von seiner Gemütsart angenommen hatte, weswegen er solche in verschiednen Rücksichten gar nicht annehmen oder billigen konnte. Aber Schwöger besaß zugleich manche gründliche Gelehrsamkeit und war im Unterricht der beiden Knaben unermüdet gewesen. Hierzu setze man noch die strengste Zucht in seinem Leben und in seinen Sitten, eine unverdächtige Ehrlichkeit und eine andächtige Uebung seines Gottesdienstes. So daß, obwohl, im ganzen genommen, Herr Alwerth diesen Mann weder liebte noch hochschätzte, er sich doch niemals entschließen konnte, einen Informator der beiden Knaben abzuschaffen, der zu diesem Amte sowohl in Rücksicht auf seine Gelehrsamkeit als auf seinen Fleiß mehr als gewöhnlich geschickt war. Dabei hoffte er, weil sie in seinem Hause und unter seinen Augen erzogen würden, allemal die Gelegenheit zu finden, das zu verbessern, was in Herrn Schwögers Erziehung etwa verschroben sein möchte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 258-261.
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