Drittes Kapitel.

[47] Ein Projekt von Madame Fitz Patrick, und ihr Besuch bei Madame Bellaston.


Als Madame Fitz Patrick sich zur Ruhe begab, waren ihre Gedanken mit nichts anderm beschäftigt, als mit ihrer Cousine Sophie, und mit Herrn Jones. Sie war wirklich ein wenig unwillig auf[47] die erste, wegen ihrer Zurückhaltung, welche sie jetzt entdeckte. Mit diesem Nachsinnen hatte sie ihre Einbildungskraft noch nicht lange beschäftigt, als sich ihr der folgende Einfall darbot: Sie würde nach aller Wahrscheinlichkeit, wenn sie es durch ihre Vermittlung dahin brächte, daß Sophie diesem Manne nicht in die Hände geriete, sondern ihrem Vater wieder zugestellt würde, durch einen so wichtigen, der Familie geleisteten Dienst ihren Onkel und ihre Tante Western wieder mit sich aussöhnen.

Und so wie das einer von ihren herzlichsten Wünschen war, so schien auch die Hoffnung des glücklichen Erfolgs so vernünftig und gegründet, daß ihr nichts weiter übrig blieb, als auf die schicklichsten Mittel zu denken, ihren Entwurf zur Ausführung zu bringen. Es kam ihr nicht ratsam vor, es auf eine vernünftige Ueberlegung der Sache mit Sophien ankommen zu lassen; denn weil sie Betty, aus Jungfer Honoriens Erzählung, benachrichtigt hatte, daß Sophie eine heftige Neigung zum Herrn Jones hätte, so sah sie wohl ein, es würde einerlei Unternehmen sein, ihr diese Verbindung aus dem Sinne reden zu wollen, oder eine Mücke herzlich und angelegentlich zu bitten, sie möge doch nicht ins Licht fliegen.

Wenn der Leser so gütig sein will, sich zu erinnern, daß die Bekanntschaft, welche Sophie mit der Frau von Bellaston hatte, im Hause des hochwohlgebornen Fräuleins von Western begonnen, und also grade die Zeit hindurch gepflegt sein mußte, da Madame Fitz Patrick sich bei der letztern Dame aufhielt: so wird er der Erinnerung nicht bedürfen, daß Madame Fitz Patrick gleichfalls mit ihr bekannt gewesen sein müsse. Ueberdem waren beide noch etwas weitläufig mit ihr verwandt.

Nach vielem Hin- und herdenken beschloß sie also, des Vormittags ganz zeitig zu dieser Dame zu gehen, und, ohne daß Sophie es wüßte, mit ihr zu sprechen zu suchen, und sie mit der ganzen Sache bekannt zu machen. Denn sie zweifelte im geringsten nicht, diese sehr kluge Dame, die sehr oft die romanhaften Liebeleien und die unbesonnenen Heiraten in ihrem Gespräche lächerlich gemacht hatte, würde auch in Ansehung dieser Verplämperung sehr bald ihrer Meinung zustimmen und ihr allen möglichen Beistand leisten, um ihr zuvorzukommen.

Diesen Vorsatz setzte sie demnach ins Werk, und des nächsten Morgens, noch vor Sonnenaufgang, warf sie sich in ihre Kleider und ging zu einer sehr unschicklichen, unzeitigen, mode- und besuchwidrigen Stunde zur Frau von Bellaston, welche ihren Besuch annahm, ohne daß Sophie davon das geringste wußte oder argwöhnte. Diese lag damals noch, zwar nicht schlafend sondern wachend, in ihrem Bette und ließ sich von Jungfer Honoria etwas vorschnarchen.[48]

Madame Fitz Patrick machte eine Menge Entschuldigungen für diesen frühen, unvorbereiteten Besuch, zu einer Stunde, wo sie, wie sie sagte, nicht daran gedacht haben würde, die gnädige Frau zu besuchen, wenn es nicht eine der wichtigsten Angelegenheiten veranlaßt hätte. Sie eröffnete darauf die ganze Sache, erzählte alles, was sie von ihrer Betty gehört hatte, und vergaß auch nicht den Besuch, welchen Jones des vorigen Nachmittags bei ihr abgestattet hatte.

Die Frau von Bellaston antwortete mit einem Lächeln: »Sie haben also diesen furchtbaren Mann gesehen, Madame? Sagen Sie mir doch, ists denn wirklich eine so schöne Gestalt, als man ihn abmalt, denn die Fahrwin hat mich gestern abend fast zwei Stunden von ihm unterhalten. Das Mädchen, glaube ich, ist in ihn verliebt, auf Hörensagen!« Hier mag sich der Leser vielleicht ein wenig wundern! Die Wahrheit aber ist, daß die Jungfer Fahrwin, welche die Ehre genoß, die Frau von Bellaston ein- und auszuschnüren und aus- und anzukleiden, die umständlichste Nachricht von besagtem Herrn Jones eingezogen, und solche gestern abend (oder vielmehr heute morgen) ihrer Dame beim Auskleiden aufs getreueste hinterbracht hatte; welches dann verursacht, daß ihre Amtsverrichtungen sich über anderthalb Stunden hinaus in die Länge gezogen hatten.

Ueberhaupt genommen war diese Dame gemeiniglich mit der Unterhaltung der Jungfer Fahrwin zu diesen Stunden ganz wohl zufrieden, aber diesmal hatte sie freilich die Nachricht, den Herrn Jones betreffend, mit außerordentlicher Aufmerksamkeit angehört; denn Honoria hatte ihn als einen sehr schönen Menschen beschrieben und Jungfer Fahrwin hatte in der Eile ihrer Verrichtungen dieser Beschreibung noch so viele persönliche Schönheiten hinzugefügt, daß ihre gnädige Frau anfing, ihn für eine Art von Wundergeschöpf der Natur zu halten.

Die Neugierde, welche ihr die Kammerjungfer eingeflößt hatte, ward jetzt durch Madame Fitz Patrick um ein großes vermehrt, welche von der Person des Herrn Jones ebensoviel Vorteilhaftes sagte, als sie vorher Nachteiliges von seiner Geburt, von seinem Charakter und seinem Vermögen gesagt hatte.

Als die Bellaston das Ganze angehört hatte, antwortete sie sehr ernsthaft: »In Wahrheit, Madame, die Sache ist sehr wichtig und Sie verdienen gewiß das größte Lob wegen der Partie, die Sie dabei genommen haben, und ich werde mich freuen, auch meinerseits dazu beizutragen, daß ein junges Frauenzimmer von so vielem Verdienste, und für welches ich so große Achtung hege, vor Unglück und Gefahr bewahrt werde.«

»Meine gnädige Frau, glaubten Sie nicht,« sagte Madame Fitz Patrick mit Lebhaftigkeit, »daß es der beste Weg wäre, wenn[49] man aufs baldigste an meinen Onkel schriebe und ihm den Aufenthalt seiner Tochter bekannt machte?«

Die Hofdame erwog dies ein wenig und antwortete alsbald: »Nun, sehn Sie, Madame, ich glaube, nein! Die alte Western hat mir ihren Bruder als einen solchen Brummbär beschrieben, daß ich nicht drein willigen kann, irgendein Frauenzimmer wieder in seine Gewalt zu bringen, das einmal draus entwischt ist. Ich habe gehört, er soll sich wie ein Ungeheuer gegen seine eigene Frau betragen haben; denn er ist einer von den Tölpeln, welche meinen, sie haben ein Recht uns zu tyrannisiren, und halt' ich's beständig für eine gemeinschaftliche Pflicht unsers ganzen Geschlechts, von solch einem Menschen ein jedes Frauenzimmer zu erlösen, das einmal so unglücklich gewesen ist, in seine Gewalt zu geraten. Hauptsächlich, liebe Kousine, wird es nur darauf ankommen, die kleine Western abzuhalten, daß sie den jungen Burschen nicht eher zu sehen und zu sprechen bekomme, bis die gute Gesellschaft, die sie hier in London Gelegenheit haben wird zu sehen, ihr eine bessere Art zu denken beigebracht haben wird.«

»Aber, gnädige Kousine,« antwortete die andre, »sollte er ihren Aufenthalt ausfindig machen, so wird er, verlassen Sie sich darauf, nichts in der Welt unversucht lassen, um zu ihr zu gelangen.«

»Aber, Madame,« antwortete die gnädige Frau, »es ist unmöglich, daß er hierher kommen kann, ob es gleich freilich wohl möglich ist, daß er erfahre, wo sie sich aufhält, und dann kann er um das Haus herum auflauern. Ich möchte deshalb fast wünschen, daß ich ihn von Person kennte.«

»Gibt es keinen Weg, Madame, daß ich ihn einmal zu Gesicht bekommen könnte? Denn sonst, sehn Sie wohl, Kousine, könnte sie es leicht so karten, daß sie ihn hier ins Haus kommen ließe, ohne daß ich's wüßte.« Madame Fitz Patrick antwortete: »Er habe sie auf diesen Nachmittag mit einem zweiten Besuch bedroht, und wenn die gnädige Frau ihr alsdann die Ehre geben wollte, bei ihr vorzufahren, so würde es ihr schwerlich fehlen können, ihn zwischen sechs und sieben Uhr zu sehen, und wenn er auch früher kommen sollte, so wollte sie schon auf eine oder die andre Art Mittel finden, ihn so lange aufzuhalten, bis die gnädige Kousine ankämen.« – Frau von Bellaston antwortete: Sie wolle den Augenblick kommen, da sie sich von der Mittagsmahlzeit losmachen könnte, welches nach ihrer Meinung spätestens um sieben Uhr sein würde. Denn es wäre platterdings notwendig, daß sie ihn von Person kennen lernte. »Auf mein Wort, Madame,« sagte sie, »es war sehr gut, diese Sorge für Fräulein Western zu tragen; die bloße Menschenliebe sowohl,[50] als die Achtung für unsre Familie macht es uns beiden zur Pflicht, denn es wäre in der That eine fürchterliche Heirat.« Madame Fitz Patrick ermangelte nicht, das Kompliment gehörig zu beantworten, welches die Frau von Bellaston ihrer Kousine gemacht hatte, begab sich nach einer kurzen unwesentlichen Konversation auf den Rückweg, verfügte sich, so behende als sie konnte und ungesehen von Sophie oder ihrer Kammerjungfer Honoria, in ihre Sänfte und ließ sich nach Hause tragen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 47-51.
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